Die Götter weinen“/Schauspielhaus Graz am 25.9.2014
Das dunkle Drama „Die Götter weinen“ vom britischen Starautor Dennis Kelly kreist um die Themen Vernichtung, Selbstfindung und Liebe. Udo Samel spielt den Wirtschaftsmagnaten Colm. Ein zeitgemäßer König Lear.
Regie führte bei dieser österreichischen Erstaufführung am Grazer Schauspielhaus Anna Badora, die scheidende Direktorin und zukünftige Wiener Volkstheaterchefin.
Im Land der Utopie blühen Brennnesseln
Er steht da, blickt gen Himmel. Und, es sieht aus, als wolle er sie auffangen: die Tränen der Götter. Colm, heisst jener Tränenausgucker und Utopiesucher.
Ja, die Götter weinen. Und, ihre Tränen sind so schwarz wie Asche.
In Dennis Kellys Stück Die Götter weinen – 2010 von der Royal Shakespeare Company uraufgeführt- wandelt sich unter brutalsten Erkenntnissen ein Welt beherrschender Konzernchef, Colm (Udo Samel) in einen Natur verliebten Sinnesmenschen. Ohne Rücksicht ist er einst vorgegangen. Seine Mitarbeiter hat er zu Bestien geformt, nein eher trainiert, um seinen Nahrungsmittelkonzern „Argeloin“ mächtig zu machen. Nun ist er müde. Er gibt sein Reich ab, übergibt die Leitung seinen zwei besten „Kampfhunden“, Catherine und Richard. Den eigenen Sohn Jimmy, den er für zu schwächlich hält, übergeht er. „Immerhin, er kann lieben“, so Colm. Das disqualifiziert Jimmy von vornherein. Das passt so gar nicht in seine auf Machtoptimierung getrillte Welt. Eindringlich, facettenreich mit leicht psychopathischem Touch Samouil Stroyanov. Colm selbst will Belize, ein von Terrormilizen beherrschtes Fleckchen Erde in Zentralamerika als Prestige-Objekt behalten. Das floppt natürlich ganz gewaltig. So wie im Shakespearchen Original „König Lear“, an dessen Stoff Dennis Kelly sein Stück angelehnt hat, bricht unter den Erben ein erbitterter Kampf um die Macht aus. Lear, Colm auf seine eigene nackte Existenz reduziert ist zum Fremden in der seiner geschaffenen Welt geworden.
Für die Österreichische Erstaufführung wurde das Stück von John Birke sehr gestrafft und die Handlungen in Bürohäuser und Banken verlegt. Es ist ein als Triptichon angelegtes Stück.
Im Grazer Schauspielhaus wird zu Beginn in eine schwarz-graue Managerwelt geschaut (Raimund Orfeo Voigt, Bühne): ein langer Konferenztisch, grelle breite Neonröhren fahren von der Decke, im Hintergrund betreiben die Manager Sportarten: Boxen, Laufen, Körperaktionen, die eine Immer-am-Ball-bleiben Haltung demonstriert. (Choreographie, Salome Schnebeli)
Diese übertrieben überdrehte Welt wirkt manchmal als Selbstläufer. Weniger wäre hier mehr gewesen.
Ganz dick kommt es dann im zweiten, schwierigen Akt. Catherine und Richard, (Verena Lercher und Marco Albrecht) die Spitzenchefs kämpfen wie in einem amerikanischen Blockbuster gegeneinander. Im Hintergrund sieht man Videos mit Nachrichten aus Bagdad, Terror aus diversen Rebellenhochburgen.
Hier kämpft Beth, eine Versicherungsfachfrau für das schwache Belize. Am Irrsinn der Zeit, am Nichts- Bewirken-Können ist sie wahnsinnig geworden. Eine Wahrheitskämpferin, die noch ein Gewissen hatte und daran zerbricht. Kraftvoll elektrisierend Birgit Stöger als Beth.
Und, es spritzt Blut, das verführt zu so einigen Lachern. Denn es spritzt recht hoch und viel.
Auch knallt und tönt ohrenbetäubend. Ein wüster, gar zu wüster Kampf. Anna Badoras Regie badet in realem Kriegsszenario. Verständlich ist es schon, denn der dritte Akt wirkt dadurch auch um so stärker als subtiles Herzstück des gesamten Dramas.
Im letzten Szenario der Trilogie, in der die Erde als seelenloser Feuerball weiter umher kreist und Verwüstung durch Kriege an der Tagesordnung ist, treffen wir auf den alternden Colm. Die Heide, die er wie Lear erkundet, ist in Schutt und Asche gelegt. Er ist in Begleitung von Barbara, der Tochter eines einstigen Konkurrenten. Diesen hat er eiskalt in den Tod getrieben, seine Familie vernichtet. Barbara ist genauso verloren wie Colm. Katharina Klar ist diese wunderbare stabile, selbstbewusste Retterin, die den Träumer Colm in seiner, ihm ganz eigenen Seltsamkeit gewähren lässt.Denn auch sie braucht ein Gegenüber in jenen letzten Tagen der Menschheit.
Udo Samel spielt ihn, diesen einstigen „Monsterkreator“. Langsam, behutsam fast zärtlich schält er die Häute Colms bis auf eine Seelenhaut aus feinmaschigem Papier herunter. Udo Samel formt aus Colm einen archaischen Poeten, der Brennnesseln und Muscheln sammelt in einer Welt aus Asche, Trümmern und Destruktion. Momente des Glücks, die berühren.
Barbara Röder