Graz: „LA RONDINE“ – Premiere 12.1. 2017
Das Liebespaar: „Sie konnten zueinander nicht kommen“. Copyright: Werner Kmetitsch/ Oper Graz
Außer ein paar Inhaltsangaben in diversen Medien, aus denen ich nicht recht klug wurde, war ich völlig unvorbereitet – als Publikum, nicht als übergescheite Kritikerin, nach Graz gekommen. Ich pflege ein mir bis dato unbekannten Werk gern zuerst einmal auf mich wirken zu lassen, um so ganz unbefangen seine Qualität zu beurteilen. Ich verspürte somit keine Verpflichtung, das Gesehene und Gehörte mit dem angelesenen Wissen zu vergleichen. Was mir aufgrund der dürftigen Vor-Informationen an dieser „Schwalbe“ mangels innerer Logik nicht wirklich schlüssig erscheinen mochte, war sofort vergessen, als Puccinis Musik einsetzte und sich in Rolando Villazóns Inszenierung eine mühelos verständliche Handlung mit klar definierten Charakteren vor atmosphärischen Szenenbildern und mit exquisiten Beleuchtungseffekten abspielte. Die Optik entsprach immer der musikalischen Aussage. Beides erwies sich als durchaus originell. Ich war von Werk und Wiedergabe gefesselt – von Anfang bis Ende.
Ja, ich fand es sehr bald geradezu lächerlich, bei dieser durchaus inspirierten, eigenständigen und mit viel psychologischem Feingefühl ausgestatteten Musik nach Lehár-Anklängen oder Eigenzitaten zu suchen. Puccinis Eingebungen wechseln zwischen kraftvoller, wo nötig, auch dissonanter Instrumentierung, rhythmisch mitreißenden Nummern, darunter auch Walzer, einmal leise, einmal derb, aber jedem Vorbild fern, und dazwischen gekonnten parlando-Szenen ernsten und heiteren Inhalts und schönen, meist kurzen Lyrismen, und vor allem viel Abwechslung zwischen Solo- und Ensemble-Szenen, gewürzt durch originelle Instrumetaleinfälle. Quantitätsmäßig wären die musikalischen Wechselbäder etwa mit Verdis „Falstaff“ zu vergleichen, aber eben in einer Tonsprache, wie sie sich für einen Komponisten mit offenen Ohren 20 Jahre später ergab. Und es sei gleich hinzugefügt, dass der italienische Dirigent Marco Comin die orchestralen Mitteilungen des großen Musikdramatikers aus Lucca bestens dosierte und somit die Ohren der Zuhörer nie überforderte, uns hingegen die diversen sinnlichen Reize dieser Partitur nicht vorenthielt. Auch hörte man von Seiten der Mitwirkenden nur begeisterte Äußerungen über die Musik.
In drei verschiedenen Welten (Pariser Salon; Pariser Ballsaal; Urlaubsort Nizza) bleibt die Titelheldin Magda, die „Schwalbe“ doch immer sie selbst. Bühnenbildner Johannes Leiacker zeigt im 1. Akt als Hintergrund quer über die ganze Bühne eine Nachbildung von Tizians sich räkelnder Venus von Urbino, im 2. Akt auf mehrstufigem Boden sich tummelnde Ballgäste unterschiedlichsten Charakters und im 3.Akt abermals als Hintergund ein Venus-ähnliches Motiv von Magritte in Form eines traumblauen Wolkengebildes, umgeben von schwerem dunkelgrauem Gewölk, dazu im Vordergrund ein hell ausgeleuchteter, sehr sauberer, holzgetäfelter Raum mit schlichtem Mobilar, welcher für „klare Verhältnisse“ symbolisch sein mag.
In diesen Räumlichkeiten bewegen sich die Menschen in Kostümen der 20er Jahre des 20.Jhs., von Brigitte Reiffenstuel auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen DarstellerInnen abgestimmt. Das passt bestens zur Entstehungszeit des Werkes, besser als zu der von Puccini angegebenen Originalzeitspanne, den 60er-70er-Jahren des 19. Jhs., denn hier ist der Aufbruch aus der gutbürgerlichen Enge verflossener Jahrzehnte im Denken und Verhalten von Puccinis Franzosen mit italienischem Einschlag bereits vollzogen.
Rolando Villazón hat bezüglich der Personenführung ganze Arbeit geleistet. Realität, Symbolismus und Traumverlorenheit gehen eine reizvolle Verbindung ein. So befinden sich unter den erkennbaren Personen auch Männer mit gesichtslosen Köpfen, denen weiße Masken übergestülpt sind. Am Ende wird auch Magdas leidenschaftlicher Liebhaber unter die „Maskierten“ eingereiht. Die diversen poetischen Ergüsse verschiedener Personen und ihre damit verbundenen Traumvorstellungen kommen durch die Musik und das passende Licht (Davy Cunningham) zu überzeugendem Ausdruck. Die dem Regisseur Rolando Villazón häufig vorgeworfene Neigung zu Klamauk kommt hier nicht zum Tragen. Ein Clown, der vor Beginn des Pariser Ball-Akts stumm vor dem Vorhang steht, ehe er das Zeichen zum Beginn mit Knall und Fall gibt und sich auch später immer wieder pantomimisch ins turbulente Geschehen einmischt, ist eine passende Ausnahme.
Im Zentrum dieser „Commedia lirica“ steht eine von Puccinis interessantesten Frauenfiguren. Und sie wird von Sophia Brommer faszinierend und stücktragend verkörpert. Die hübsche junge Dame mit den feinen Gesichtszügen, großgewachsen, von schlanker Gestalt, bleibt durchwegs eine elitäre Erscheinung. Sie kann mimisch, mit dezenter Gestik und vor allem vokal alle ihre Gefühle und auch Gedanken gleichsam greifbar machen. Ihr gehaltvoller Sopran „spricht“ in allen Lagen an, ist warm timbriert und leuchtend in den Höhen, wird unforciert absolut sicher geführt. Das Stimmvolumen würde nach meinem Dafürhalten auch für ein noch größeres Haus ausreichen, weil die Stimme sehr gut trägt – nicht zuletzt eben die darzustellende Rolle. Im Salon eine durchaus sympathische Erscheinung, die ihre Freundinnen und Freunde liebevoll-höflich behandelt, im Ballsaal sehr lebendig und elegant sich zwischen den Welten und Männern bewegend, spielt sie die Tragik des 3. Aktes ergreifend aus. Ihre Liebe zu Ruggero, dem konventionellen italienischen Liebhaber, bleibt ungebrochen, auch wenn sie sich von ihm trennt. Hauptgrund dafür: das beengende kleinbürgerliche Glück als Hausfrau und Mutter ist nicht das ihre. Nicht – wie sie das spielt – aus finanziellen Erwägungen, sondern weil sie weiß, dass sie diese Rolle nicht optimal würde ausfüllen können. Da bleibt sie lieber ehrlich und frei sie selbst und behält diese Liebe als schöne Eerinnerung bei sich. Allein dieses feine Rollenporträt von Sophia Brommer ist einen Besuch der Aufführung wert!
Copyright: Werner Kmetitsch
Ruggero, der Schwärmer, der seine arios dargebrachte Vorstellung vom Pariser Leben sehr bald mit der Liebessschwärmerei für die neu entdeckte, ihm schon von einer früheren kurzen Begegnung bekannten Magda verbindet, wird von Puccini ähnlich leicht entbrennbar wie seine bekannteren tenoralen Liebhaber gezeichnet. Ein fescher spinto-Tenor wie Mickael Spadaccini kommt da gerade recht. Kraftvoll wie Cavaradossi oder Des Grieux bringt er seine Gefühle spontan mit fester baritonaler Mittellage und glänzender Höhe zum Ausdruck, spielt charmant den Verehrer und bringt am Ende verzweifelt schluchzend sich auf dem Boden wälzend seine Gefühle zum Ausdruck. Nicht der Typ, um träumend seine Erinnerungen zu hätscheln.
Das „kleine Paar“, Lisette und Prunier, dem jedoch nichts Klischee-haftes, Operettiges anhaftet, wird von der tänzerisch und stimmlich beweglichen ukrainischen Sopranistin Tatjana Miyus und dem russischen Tenor Pavel Petrov locker und sympathisch dargestellt. Der steirische Bassist Wilfried Zelinka, seit 15 Jahren Ensemblemitglied, verkörpert überzeugend des Salonbesitzer, der Magda viele Jahre ausgehalten (im doppelten Sinn) hat. Jeder und jede einzelne der übrigen Mitspieler (nebst dem Regisseur, versteht sich, der ihnen bei der amüsanten Gestaltung ihrer Rollen beigestanden ist) verdient zumindest eine Namensnennung: Sonja Šariĉ (Yvette), Anna Brull (Bianca), Yuan Zhang (Suzy), Markus Murke (Gobin), Dariusz Perczak (Péichaud), David McShane (Crebillon) und Konstantin Sfiris (Haushofmeister). Dazu kommen noch 4 „Gigolos“, ein Conférencier (András Kurta) und 8 Täünerinnen und Tänzer), sowie der Grazer Opernchor, bestens studiert von Bernhard Schneider.
Da es sich bei der Inszenierung zwar um eine Co-produktion mit der Deutschen Oper Berlin handelt, das gesamte Ensemble jedoch Grazer Eigenbesitz ist, verdienen alle Beteiligten für das Gelingen dieser keineswegs leicht zu bewältigenden Aufgabe höchste Anerkennung.
Wenn das Publikum so einhellig jubelt (ungeachtet möglicher kritischer Einwände gegen Werk und Wiedergabe), so ist das wohl nicht nur auf einen vergnüglichen Abend im Sinne Operetten-hafter Unterhaltung zurückzuführen, sondern auf eine Aufführung, die Freude macht. Und den Wunsch aufkommen lässt, sie mehrmals zu sehen.
Sieglinde Pfabigan
PS: Jetzt erst werde ich mir die eben gekaufte CD anhören, vielleicht andere Rezensionen lesen und für die Print-Ausgabe des „Neuen Merkers“ auf Details zu sprechen kommen.
Auf jeden Fall eine herzliche Empfehlung, sich diese Produktion anzusehen!
Weitere Vorstellungen am 15. (15 Uhr), 18. und 25. Jan; 2., 5. (15 Uhr) und 10. Feb; 5. (18 Uhr), 11., 18. und 24. März. Beginn jeweils um 19.30 Uhr, wenn nicht anders angegeben