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GRAZ: JENUFA. Premiere

30.03.2014 | KRITIKEN, Oper

GRAZ: „JENUFA“ – PREMIERE – 29.3.2014 (Helmut Christian Mayer)

Szenebild Jenufa
Copyright: Werner Kmetitsch/ Oper Graz

 „Was klagt und wimmert da draußen….Wie wenn der Tod vorbeigeschaut hätte!“- Auf dem Tisch stehend schreit die Küsterin diese Worte in Panik hinaus. Sie hatte gerade die Vision, das uneheliche Enkelkind, das sie ins Eis zum Sterben gelegt hat, zu hören. Dabei reißt sie sich die Oberkleider von Leib und legt sich wie zum Sterben auf den Tisch. Währenddessen wird sie von donnernden Paukenschlägen und mächtigen, schneidenden Bläserakkorden des Orchesters begleitet, das Licht wird magisch blau und es beginnt zu schneien bis der Vorhang fällt: Es ist die Schlussszene des zweiten Aktes von Leos Janáceks „Jenufa“ an Grazer Opernhaus, die packt und mitreißt.

Aber auch sonst weiß Iris Vermillion als Küsterin mit enormer Präsenz und ausdruckstarkem Gesang zu faszinieren. Mit ihrem schwarzen, puritanischen Kleid und ihrer Unerbittlichkeit vermag sie alle anderen zum Fürchten zu bringen. Aber auch ihr Ringen um das Kind vor und nach dem Kindsmord wie auch die beginnenden Wahnsinnsattacken beeindrucken.  Eine echte Meisterleistung! Sie ist nun mal eine  Singschauspielerin ersten Ranges.

Wie überhaupt Peter Konwitschny bei diesem packenden und genialen Musikdrama des 20. Jahrhunderts, das in tschechischer Sprache gesungen wird, ein großer Wurf gelungen ist. Ein großer Wurf, der mit einer minimalistischen Szene von Ausstatter Johannes Leiacker auskommt: Ein Tisch, Sessel, ein Bett, das war es. Aufgelöst ist jegliche Verortung, es gibt keine Räume nur die offene Weite der Bühne statt bäuerliche Enge. Die Akte unterscheiden sich durch den Boden gemäß den Jahreszeiten: eine saftige Wiese für den Sommer, eisiger Schnee für den Winter oder gelbe Blumen für den Frühling. Der deutsche Regisseur, der immer wieder für Überraschungen gut ist, hat hier nicht mit der Pranke zugeschlagen und entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten keinerlei Brüche oder Verfremdungen eingebaut sondern sich ausschließlich auf die Emotionen der Protagonisten konzentriert, diese scharf analysiert und glaubhaft nach Außen gekehrt.  Dabei bleibt er immer hart am Libretto und zeigt auch die Doppelmoral der ländlichen Gesellschaft und die Frauenfeindlichkeit der katholischen Kirche auf. Von großer Sensibilität, Präzision und Nachvollziehbarkeit ist seine bis ins kleinste, ideenreiche Detail, auch bei den Choristen, ausgefeilte Personenführung. Ein bestechendes psychologisches Kammerspiel!

Auch das Sängerensemble, das in der tschechischen Originalsprache singt, kann sich Hören lassen: Gal James ist eine innig blühende Jenufa mit feinen Tönen,  die die vielen Nuancen der Figur herausstreichen kann. Ales Briscein, der einzige Tscheche im Ensemble, als viriler Laca erfreut  mit seinem ausgesprochen schönen, lyrischen Tenor. Da kann Taylan Reinhard als Stewa auch vom Typ her bei weitem nicht mithalten. Die alte Buryia wird von Dunja Vejzovic, die seinerzeit unter Karajan die Kundry in „Parsifal“ sang, dargeboten. Sie ist eine sehr präsente Erscheinung. Durchaus gut besetzt sind die vielen Nebenrollen, von denen besonders Nazanin Ezazi als Jano, Tatjana Miyus als Karolka und David McShane als Altgesell aufgefallen sind.

Die unter anderen vom Dirigenten Charles Mackerras, der sich ja bekanntlich sehr für Janacek eingesetzt hat, herausgegebene, originale  „Brünner Fassung“ aus 1908, die nicht die von Karel Kovarovic geschaffenen spätromantischen Glättungen enthält, wurde für Graz auserwählt. Dirk Kaftan am Pult der Grazer Philharmoniker kann nach anfänglich zu verhaltener Lesart, möglicherweise wegen zu großer Sängerfreundlichkeit, was auf Kosten der Gesamtklanges ging, die Musiker dann doch zu großem Nuancenreichtum und prächtigen Farben animieren. Berührend ist auch der Dialog  der Sologeigerin Fuyu Iwaki mit Jenufa, die ihr Violinsolo als deren Vision auf der Bühne spielt.

Widerspruchloser Jubel für eine durchaus gelungene Opernproduktion.

 Helmut Christian Mayer

 

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