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GRAVENHORST/ Kunsthaus im Kloster: Franz Schuberts WINTERREISE mit Benjamin Hewat-Craw und Yuhao Guo

19.10.2020 | Konzert/Liederabende

Kunsthaus Kloster Gravenhorst: Franz Schuberts Winterreise mit Benjamin Hewat-Craw und Yuhao Guo (17.10.2020)


Foto: Pieper

Trauer, Zweifel, Getriebenheit, Überwältigung, Wehmut, Verbitterung, Bejahung, Triumph. Man kommt als Hörer gar nicht schnell genug mit den Adjektiven mit, wenn sich Benjamin Hewat-Craw und Yuhao Guo auf ihrer neuen CD – und noch mehr live im Konzert – Franz Schuberts Winterreise annehmen. Es kommt darauf an, all dies im Heute, vor neuem Publikum erfahrbar zu machen. Dafür steht dieses junge, aufgeweckte Gesangs-Piano-Duo bereit.

Der gebürtige Brite und der in Köln groß gewordene Pianist bekamen dank der Vermittlung der Richard-Carl-Dörken Stiftung Gelegenheit, ihre Debut-CD im westfälischen Kloster Gravenhorst aufzunehmen. Das ist eine weitläufige, aus hellem Sandstein im 14. Jahrhundert errichtete Klosteranlage, die seit ihrer aufwändigen Restaurierung im Jahr 2004 für die Kultur bereit steht und seitdem als Denkmal Atelier Kunsthaus Gravenhorst ein Publikumsmagnet für die Region ist. Dass das Release-Konzert ebenfalls in diesem exklusiven Ambiente stattfinden würde, war für Benjamin Hewat-Craw und Yuhao Guo Ehrensache.

Hautnah darf das Publikum spüren: Für diese beiden jungen, neugierigen Musiker ist die Winterreise nicht irgendein künstlerisches Projekt, sondern eine unmittelbare Erfahrung fürs Leben, die weitergegeben sein will.

Sie sind auf der Bühne recht unterschiedliche musikalische Charaktere, was für eine spannende, auf jedem Fall diesem aufwühlenden Sujet dienende Reibung sorgt. Und was ist schon das schnöde Wort „Begleitung“, wenn man erlebt, wie dieser Pianist in seinem empfindsamen und sehr aktiven Spiel dem Gesangssolisten starke dynamische Impulse wie Bälle zuspielt. Der britische Sänger baut unerschütterlich seinen Vortrag darauf auf. Die Konsequenz ist ein verlässlicher Spannungsbogen, der die 70 Aufführungsminuten wie im Fluge vergehen lässt. Mit jugendlich-schlankem Timbre spürt Benjamin Hewat-Crawls Stimme wie ein empfindlicher Seismograph den Gefühlsregungen hinter den Worten und Noten nach. Wenn es im Inneren dieser romantischen Figur mächtig tobt, türmen sich im Saal des alten Klosters verstörende Crescendi auf. Dieser Vortrag erzeugt plastische Bilder zuhauf: Der einsame, verlassene Wanderer prescht vor, reflektiert, fantasiert, bricht zusammen, sehnt sich nach Vergangenem, ist am Boden zerstört. Aber er rappelt sich auch auf, begreift und erkennt. Nein, die Erinnerungen ans verflossene Liebesglück werden nie verblassen, aber dennoch darf kein Stillstand herrschen. Die Lebendigkeit dieses Vortrags unterstreicht die Einsicht, dass dieser Weg kein Ziel hat. Das Finale inszeniert das mit geradezu spektakulärer, zugleich symbolträchtiger Wucht: Die eigenwillige Mollskala der Schlussmelodie im Klavier wirkt fast exotisch-experimentell, während Benjamin Hewat-Craw die Begegnung mit dem Leiermann, diesem eigenwillig-morbiden Leidensgenossen besingt. Alles bleibt eine offene Frage in diesem Leben, das vor dem Tod stattfindet. Ob man will oder nicht.

Es brauchte eine Weile, bis sich das Publikum aus gebannt versunkener Erstarrung löste und vorsichtig Beifall zu spenden begann, um dieser ganzen fragilen Kostbarkeit dankbaren Respekt zu erweisen.

Ein weiteres Release-Konzert gibt es am Freitag, 6. November im Pianosalon Christophori.

Stefan Pieper

 

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