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GIESSEN: FOSCA von Antonio Carlos Gomes. Premiere

03.02.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Opernrarität in Gießen: „Fosca“ von Antônio Carlos Gomes (Premiere: 2. 2. 2013)


In der Titelrolle gefiel sich die italienische Mezzosopranistin Giuseppina Piunti in hochdramatischem Spiel und Gesang (Foto: Rolf K. Wegst)

 Mit Spannung erwartete man im Stadttheater Gießen die Premiere der ganz selten gespielten Oper „Fosca“ des brasilianischen Komponisten Antônio Carlos Gomes, von dem in diesem Haus vor zwei Jahren sein Werk „Lo schiavo“ mit großem Erfolg produziert wurde. Leider war die Enttäuschung groß, obwohl die dramatische und ins Ohr gehende Musik des Komponisten gut zur Geltung kam. Man könnte es sich leicht machen und die Premiere mit „Schmierentheater für Schwerhörige“ abtun. Aber das wäre einigen Sängern und dem Chor gegenüber ungerecht.

 Die Uraufführung der Erstfassung des Melodrams in vier Akten fand 1873 an der Mailänder Scala statt. Fünf Jahre später wurde die zweite und endgültige Fassung an der Scala für Gomes zu einem wahren Triumph. Doch nach seinem Tod gerieten der Komponist und seine Werke rasch in Vergessenheit, nur wenige Neuinszenierungen seiner Opern wurden in den letzten Jahren außerhalb Brasiliens verzeichnet, darunter eben „Lo schiavo“ in Gießen und „Salvator Rosa“ in Braunschweig.

 Die Handlung von „Fosca“, deren Libretto von Antonio Ghislanzoni nach der Erzählung „La festa delle Marie“ von Luigi Marchese Capranica del Grillo verfasst wurde und die in Venedig des 10. Jahrhunderts spielt: An der Küste der Adria herrschen die Freibeuter mit ihrem Anführer Gajolo, der den venezianischen Adeligen Paolo in seine Gewalt gebracht hat, um von dessen Vater, dem Senator Michele Giotta, Lösegeld zu fordern. Die Piratin Fosca, die Schwester Gajolos, verliebt sich in den Gefangenen und verspricht ihm die Freiheit, wenn er sie zur Frau nimmt, doch Paolo ist bereits mit der jungen Delia verlobt. Als die Piraten aus Venedig mit dem Lösegeld zurückkehren, wird Paolo zum Entsetzen Foscas freigelassen. Anlässlich des Marienfestes, bei dem venezianische Adelige mit armen Waisenmädchen verheiratet werden, will Paolo Delia ehelichen. – Die Piraten planen, während der Feierlichkeiten in die Kirche einzudringen, um die Frauen zu entführen. Fosca wiederum will sich an Paolo rächen und stört die Zeremonie, womit sie den Piraten in die Quere kommt. Gajolo entschärft die Situation und erklärt sie verrückt. Die Frauen wie auch Paolo und Delia werden entführt, Gajolo jedoch von den Venezianern gefangen genommen. ¬– Nun stehen die Piraten unter der Herrschaft von Fosca und dem Sklaven Cambro, der Foscas Hass auf Paolo und Delia schürt. Delia bietet ihr an, auf Paolo zu verzichten, wenn er freigelassen wird. – In Venedig fordert inzwischen Gajolo vom Dogen die Freilassung, um Paolos Leben zu retten. Er kommt frei und kehrt nach Pirano zurück, wo der gefangene Paolo auf seine Hinrichtung wartet. Fosca überreicht Delia ein tödliches Gift: wenn sie es trinkt, ist Paolo frei, andernfalls würde er exekutiert. Als Gajolo, der Cambro getötet hat, kommt und die Freilassung von Paolo und Delia befiehlt, trinkt Fosca selbst das Gift. Im Sterben bittet sie Paolo um Vergebung. Die Piraten ziehen aufs Meer hinaus.

 Thomas Oliver Niehaus fügte in seiner Inszenierung eine weitere Person hinzu: Eine weibliche Figur, die er „What I am“ nennt. Diese schwarzgekleidete junge Frau irrt fortwährend auf der Bühne umher und überreicht Blümchen (einziges Requisit ist ein Stuhl, der immer wieder von einem der Darsteller auf die Bühne getragen wird und meist das Zentrum des Geschehens bildet). Ein zweites Ich der handelnden Personen? Ein Geist? Das Publikum durfte rätseln – und tat es in der Pause auch angeregt. Die leere Bühne, die sich nach hinten bis zu einer Türe verengt, durch die meistens die Darsteller kommen, wurde von Neonröhren umrahmt (Bühne: Lukas Noll, Licht: Andrea Leib). Hin und wieder trugen Darsteller einen Bilderrahmen vor sich her, der wohl einen Spiegel symbolisieren sollte, manchmal vielleicht auch ein Fenster – man durfte wieder raten… Die Kostüme inklusive Schuhe der Venezianer waren durchwegs ganz in Weiß gehalten, die der Seeräuber und des „Geists“ als Kontrast dazu in Schwarz (Entwürfe: Bernhard Niechotz).

 Man fragte sich während der Vorstellung, ob der Regisseur eine Persiflage auf die Piratenoper inszenieren wollte, agierten doch die meisten Darsteller merkwürdig überdreht. Manchmal boten sie reinstes Schmierentheater. Auch sangen sie fast immer vorne an der Rampe in den Zuschauerraum, wobei einige in eine Lautstärke verfielen, die man nur noch als Schreien bezeichnen kann. Man war gezwungen, sich die Ohren zuzuhalten!

 In der Titelrolle tobte sich die attraktive italienische Mezzosopranistin Giuseppina Piunti mit hochdramatischem Gesang und Spiel regelrecht aus. Dass sie ihre Hass- und Rachegefühle auch mimisch auszudrücken verstand, ist positiv zu bemerken. Sie als Feindin zu haben, war mit einem Todesurteil gleichzusetzen. Der amerikanische Bariton Adrian Gans outrierte in der Rolle des Sklaven Cambro maßlos. Wo er witzig sein wollte, bot er bloß schlechtes Bühnentheater, dazu schrie er in einem fort. Den Venezianer Paolo spielte der deutsche Tenor Thomas Piffka differenzierter, leider ließ er sich offenbar bei der Lautstärke anstecken, da auch er unnötigerweise des Öfteren ins Schreien verfiel.

 Ganz anders hingegen die fesche russische  Sopranistin Maria Chulkova in der Rolle der Delia, der Geliebten Paolos. Sie spielte zurückhaltender, war stimmlich erstklassig und war das beste Beispiel dafür, dass zu forciertes Singen kein Qualitätsmerkmal ist. Da sie am Schluss der Vorstellung den stärksten Applaus bekam, bewies, dass ein Teil des Publikums der gleichen Meinung war. Auch der deutsche Bariton Tomi Wendt sang und spielte den Dogen überzeugend. Michele Giotta, den Vater Paolos, gab Aleksey Ivanov, die Rolle des Freibeuters Gajolo wurde vom rumänischen Bassbariton Calin-Valentin Cozma mit großer Bühnenpräsenz dargestellt. Die Figur „What I am“ spielte die sympathisch wirkende Sora Korkmaz. Sehr stimmkräftig agierte der von Jan Hoffmann einstudierte Chor und Extrachor des Stadttheaters, der sowohl die Piraten wie auch die venezianischen Senatoren darzustellen hatte.

 Ein großes Kompliment verdient Florian Ziemen, der das Philharmonische Orchester Gießen leitete. Es gelang ihm, die teils dramatische, teils zarte Partitur des Komponisten, dessen Werke fester Bestandteil des südamerikanischen Repertoires sind, sehr nuanciert wiederzugeben. Auch ließ er das Orchester nie zu laut spielen, umso unverständlicher das „Gebrüll“ auf der Bühne. Man bekam Appetit auf die Oper „Il Guarany“ von Antônio Carlos Gomes, die dem Komponisten weltweit Anerkennung einbrachte und die nach ihrer Uraufführung an der Mailänder Scala auf nahezu allen großen Bühnen Europas gespielt wurde.

 Das Publikum im Stadttheater Gießen sparte nach der Vorstellung nicht mit Beifall für alle Mitwirkenden, wobei es in der Phonstärke aber doch zu unterscheiden wusste. Für das Regieteam waren etliche, allerdings verhaltene Buhrufe zu entnehmen.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

 

 

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