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GERA/ Bühnen der Stadt: MASEPA von Pjotr Iljitsch Tschaikowski

20.05.2017 | Oper

Bühnen der Stadt Gera/19.05.17/MASEPA, Oper in drei Akten von Pjotr Iljitsch Tschaikowski/Libretto Viktor Burenin

Wie aus Freunden Feinde werden und Land und Menschen verwüsten

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Copyright: Bühnen der Stadt Gera

Aus Freunden werden verhasste Gegner, eine Liebe endet im Wahnsinn, ein blühendes Land wird verwüstet, ein Machtpokerer wird zum Verfolgten und Geschlagenen. Nichts bleibt wie es war. Am Ende gibt es nur noch die Vision vom heilen Leben, allerdings schon als Erinnerungsfunken im Wahnnebel, der einst liebenden Maria. Das sind die Ingredienzien der Oper Masepa von Peter Iljitsch Tschaikowsky. Mit düsteren Farben bringt Intendant Kay Kuntze, die seit 1948 nicht mehr in Gera gespielte Oper Masepa, auf die Bühne. Gemeinsam mit seinem Ausstatter Martin Fischer stellt er eine Atmosphäre her, die an die Stalin-Zeit erinnert. Die Figuren handeln in einer monströsen Präsentationsarchitektur. Eine kalte Welt der Machtkalkulierer, in der echte Gefühle wenig Platz haben. Und doch existiert auch anderes. Musikalisch entstehen Kontraste zu dieser Außenwelt, die GMD Laurent Wagner präzis und feinfühlig herausarbeitet.

Masepa – wer war das überhaupt? Blättert man im Lexikon, kann man folgendes lesen: „Jan Mazeppa, Kosakenführer 1644-1709, Vertrauter Peter des Großen, später abtrünnig und mit dem Schwedenkönig Karl XII. im Bunde“ Masepa ist also der Titelheld, die eigentliche Hauptfigur dieser Tschaikowsky-Oper und die junge Maria mit ihrer verhängnisvollen, verbotenen Leidenschaft für den alten Masepa. Maria opfert Masepa, gegen alle Vernunft und Konvention, ihr eigenes Glück und Elternhaus. Das ist eine Konstellation, die in Tschaikowskys Wesen, seinem eigenen Schicksal und seinen unerfüllbaren Leidenschaften und Erfahrungen durchaus Widerhall finden musste.

Verknappt klingt die Story recht simpel: Ein alter Mann will die Tochter seines Freundes. Sie geht gegen den Willen des Vaters mit ihm. Der Vater will sich rächen, wird jedoch selbst zum Opfer. Die Tochter wird darüber wahnsinnig. Doch das Ganze hat historischen Tiefsinn, wenn auch in Puschkins Volkspoem sorgfältiger dokumentiert als im Libretto. Die Entstehung gestaltet sich schwierig, die Komposition ist Tschaikowsky alles andere als leicht gefallen und hat für seine Verhältnisse auch relativ lange Zeit in Anspruch genommen, nämlich rund zwei Jahre. Im April 1881 hatte der Komponist das Libretto erhalten und auch sofort und begeistert vier Nummern komponiert. Eigentlich schrieb Viktor Burenin das Libretto nach Puschkins Poem für den Komponisten Karl Juljewitsch Dawidow, der später darauf verzichtete.

Bald aber musste er in einem Brief an seinen Komponisten-Freund Sergeij Tanejew eingestehen, dass seine Kräfte „zu mehr wohl nicht ausreichen werden“. Schließlich raffte er sich aber doch zur Weiterarbeit auf, überarbeitete selbst das Libretto, wobei er auch Puschkin im Original einbrachte. Und so konnte er seiner legendären Brieffreundin Nadeshda von Meck plötzlich von einem „herzlicheren Verhältnis zu den handelnden Personen“ berichten.

Doch nun die ganze Geschichte noch mal in Longplay-Form: Der Kosakenhauptmann Masepa liebt seine Patentochter, die viel jüngere Gutsbesitzerstochter Maria. Eine gesellschaftlich problematische Liaison. Marias Eltern versuchen die Verbindung zu torpedieren, auch mittels einer Intrige: So denunziert Gutsherr Kotschubej seinen früheren Freund Masepa beim Zaren. Der Hetman sei im Bunde mit dem schwedischen König. Doch der Zar glaubt ihm nicht, sondern übergibt Kotschubej in den Gewahrsam Masepas. Der informiert, die nun an seinem Hof lebende Maria, nicht darüber, dass er ihren Vater hinrichten lassen will. Das geschieht auch und Maria, die sich die Schuld am Tod des Vaters gibt, verfällt dem Wahnsinn. Am Ende der Oper lässt der alternde Masepa Maria im Stich. Er flieht, nachdem der siegreiche Zar ihn als Verräter erkannt hat, den es zu ergreifen gilt.

Es geht Tschaikowsky auch um die Figur Marias, sie bestimmt das Ende der Oper mit ihrer Arie, mit der sie ihrem sterbenden Jugendfreund Andrej ein Wiegenlied singt. Da löst sich die Oper quasi in Luft auf, ohne am Ende ein sonst übliches orchestral-wuchtiges Finale zu veranstalten.

Tschaikowsky konzentriert alles auf die höchst zwiespältige Figur des ukrainischen Heerführers Masepa und die, ihn gegen alle Konventionen liebende Maria. Tschaikowsky berührte dieses Schicksal ganz persönlich, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen waren seine Vorfahren, ukrainische Kosaken, selbst in der Schlacht gegen die Schweden bei Poltawa 1709 umgekommen. Er kannte die Gegend gut; seine Schwester lebte dort. Zum anderen fand er sich mit seiner unbewältigten emotionalen Verwirrung, die als amoralisch galt, in den Zweifeln der Hauptfigur wieder. Trotz der unzähmbaren Brutalität, die ihn bis zur Selbstvernichtung führt, wirbt Masepa um Verständnis, dass seine Liebe zu Maria echt ist. Dieses Zusammenspiel von Brutalität und echter Liebe stellte Tschaikowsky als Komponist vor eine große Herausforderung, an der er selbst mehrfach verzweifelte. Dennoch ist ihm dieser Spagat kompositorisch gut gelungen.

Die Oper Masepa stellt einen Gipfel seiner Arbeit dar. Diese Oper wird von starken Leidenschaften und Charakteren geprägt. Intensive Konflikte werden anschaulich dramatisch umgesetzt. Es gibt die tragische Macht Kotschubejs, die Liebe und die Grausamkeit Masepas kombiniert mit der Lyrik Marias. Und es gibt humorige Szenen wie die des betrunkenen Kosaken.

Tschaikowsky erweist sich als brillanter Meister des psychologischen Porträts. Er skizziert die Akteure vielfältig. Das komplexe und widersprüchliche Bild von Masepa entwickelt er in spannenden musikalischen Facetten: auf der einen Seite seine Macht und Grausamkeit auf der anderen Seite zeigt er auch die Skala eines Individuums, der mit der lyrischen Arie „O Maria“ seine Liebe zu Kotschubejs Tochter glaubwürdig betont.

Musikalisch ist das höchst beeindruckend. Tschaikowsky bedient sich verschiedener Leitmotive schon in der Ouvertüre und erzählt so auch Dinge, die sich nicht auf der Bühne einfach zeigen lassen. Die Musik enthält Volkslieder, Gebete, Klagegesänge, um sich dann wieder lebhaft für Dialoge und Handlung zu öffnen, das hat Kolorit, Dramatik und Ausdruck, wie man sich das von einer Oper nur wünschen kann.

Laurent Wagner hat das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera eher auf temperamentvolle Präzision als auf Pathos ausgerichtet. So kommen die eigentümlich düsteren Bläsermischungen von Oboen und Klarinetten plastisch zur Geltung, von denen sich die Flöten dann in der Höhe abheben. Eindrucksvoll und dämonisch gräbt sich das Schlagwerk in die Ohren der Zuhörer. Laurent Wagner bringt alle atmosphärischen Stimmungen gut auf den Punkt.

Auch das Sängerensemble zeigt sich den Herausforderungen gewachsen. Gesungen wird übrigens deutsch. Bei den Arien wirkt das ganz gut, aber bei verschiedenen Chorstücken bleibt die speziell russische Melodik etwas auf der Strecke. Es entsteht nicht ganz die russische Atmosphäre, obwohl der Chor in der Einstudierung von Holger Krause gut singt und spielt. Johannes Beck als Masepa singt einen kernigen Bariton, der aber auch die lyrischen Stellen dieser Oper prägnant umzusetzen weiß. Sicher ist er für die Rolle noch zu jung, spielerisch versteht er es aber ausgezeichnet, diesen machtgierigen Militärführer umzusetzen. Sein Gegenspieler Kotschubej gespielt von Ulrich Burdack passt für die Rolle des besorgten Vaters genau. Er ist im Machtspiel, der von Anfang an Unterlegene. Mit seiner Arie vor der Hinrichtung erreicht er die Herzen der Zuschauer. Maria, die Tochter, gesungen von Anne Preuß, singt einen warmen und reifen Sopran, das entspricht nicht ganz einer 15jährigen, erweist sich aber in dieser Inszenierung als musikalischer Glücksfall. Innerhalb der Aufführung steigert sie sich am meisten und mit ihrem tragischen Ende singt sie sich in die Herzen des Publikums. Ljubow Kotschubej, ihre Mutter wird dargestellt von Christel Loetzsch. Mit ihrem Mezzosopran trifft sie sehr gut die verzweifelte Ehefrau und Mutter. Hans-Georg Priese stellt den Jugendfreund und Masepa-Gegner Andrej dar. Sein Tenor entspricht dem jungen Kosaken-Typ, heißblütig und kämpferisch und am Ende vollkommen scheiternd. Filipp Orlik, Mazeppas Getreuer wird von dem ukrainischen Bass Andrii Chakov mit viel Echtheit verkörpert. Du Wang als Kotschubejs Freund passt mit seinem Tenor gut zu seinem Mentor. Vor allem in der Hinrichtungsszene parliert er hervorragend im Duett mit seinem Leidensgefährten. Alexander Voigt als betrunkener Kosak wirkt sehr überzeugend und verpasst der Aufführung mit seinen tenoralen ruppigen Späßen viel Unterhaltung und auch die Einsicht wie dicht Tragik und Komik beieinander liegen können. Die Choreografie für das Kindersoldaten-Ballett liefert Silvana Schröder und verleiht damit der Inszenierung eine sichtbar absurde Seite des Krieges.

Intendant Kay Kuntze schafft gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Martin Fischer starke atmosphärische Bilder. Gemeinsam mit den Lichtstimmungen und den Handlungsabläufen ist hier eine Inszenierung entstanden, die auch unter die Haut geht und nicht mehr so schnell aus dem Zuschauergedächtnis verschwindet. Diese Bilder überzeugen auch durch eine gut nachvollziehbare Personenführung, mit der sich dem Zuschauer das Stück selbst erschließt. Kay Kuntze findet starke Theaterbild-Lösungen für alle Szenen, die immer die Handlung wiedergeben, ohne plump zu sein. Das reicht von der Hinrichtungsszene bis zur Schlussszene mit dem Kindheitsrückblick.

Das Theater Gera ist mit Masepa ein kalkuliertes Risiko eingegangen und das Ergebnis ist unbedingt sehenswert. Da sieht auch das Publikum so und spendet dafür viel Beifall.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

Weitere Termine: Gera: Sa 24.06.2017, 11. März 2018, 15. März 2018
Altenburger Premiere am 29. April 2018 18 Uhr, 3. Mai, 4. Mai 2018

 

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