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GENF: SIGURD von Ernest Reyer – Wiederentdeckung einer Opernrarität. Konzertant

09.10.2013 | KRITIKEN, Oper

Wiederentdeckung einer Opernrarität in Genf: „Sigurd“ von Ernest Reyer (konzertante Vorstellung: 8. 10. 2013)

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Andrea Caré in der Titelrolle mit Anna Caterina Antonacci (im Hintergrund) mit dem Dirigenten Frédéric Chaslin (Foto: Vincent Lepresle)

 Zum ersten Mal nach hundert Jahren wurde vom Grand Théâtre de Genève die Oper „Sigurd“ von Ernest Reyer wieder in Genf dargeboten – in einer konzertanten Aufführung in der prunkvollen Victoria Hall. Die Uraufführung des Werks, dessen Text von Camille du Locle und Alfred Blau nach der Nibelungensage verfasst wurde, fand 1884 im Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel statt und wurde danach auch in London, Lyon, Paris und an der Mailänder Scala gezeigt, ehe die Oper in Vergessenheit geriet.

 Der in unseren Breiten eher unbekannte französische Komponist, der eigentlich Ernest Rey hieß, wurde 1823 in Marseille geboren. Ohne fundierte Musikausbildung trat er 1850 mit seiner sinfonischen Ode „Le sélam“ an die Öffentlichkeit und wandte sich nach der positiven Aufnahme in den folgenden Jahren in seinen Bühnenwerken verstärkt exotischen Themen zu: „Maître Wolfram“ (1854), „La Statue“ (1861), „Érostrate“ (1862). Ab den 60er Jahren arbeitete er an „Sigurd“, in dem er einen thematisch ähnlichen Stoff wie Richard Wagner im „Ring des Nibelungen“ behandelte und das neben „Salammbô“ – 1890 in Brüssel aufgeführt – sein bekanntestes Werk blieb. Reyer wurde in späteren Jahren ein kenntnisreicher Kritiker, der besonders für Richard Wagner und Hector Berlioz eintrat. Ab 1866 war er Archivar der Pariser Oper, er starb 1909 in Le Lavandou.

 Die Handlung der Oper in vier Akten und neun Szenen in Kurzfassung: Hilda, Gunthers Schwester, gelingt es mit Hilfe eines Zaubertranks, Sigurds Liebe auf sich zu ziehen. Um Hildas Liebe zu erringen, muss Sigurd vorher Gunther beistehen, die in Island gefangene Brunehild zu erobern. Er nähert sich verkleidet der Walküre und bringt sie zu Gunther. Doch Brunehild und Sigurd verlieben sich ineinander, als der Zaubertrank seine Wirkung verloren hat. Sigurd wird von Hagen ermordet – und Brunehild steigt mit ihm ins Reich Odins auf. Hilda ruft Attila zur Rache auf.

 Die musikalische Leitung dieser konzertanten Aufführung lag in den bewährten Händen von Frédéric Chaslin, dem es mit dem Orchestre de la Suisse Romande gelang, das im Stil der französischen Grand opéra komponierte Werk, dessen farbig schillernde Partitur in künstlerischer Verwandtschaft zu Giacomo Meyerbeer steht, in allen Nuancen – von wild-romantischen bis lyrisch-zarten Klängen – wiederzugeben.

 Für die Wiederentdeckung dieser vergessenen Oper wurde vom Grand Théâtre de Genève ein hochkarätiges internationales Sängerensemble aufgeboten: In der Titelrolle brillierte Andrea Carè mit seiner kraftvollen, leuchtenden Tenorstimme, die er den Stimmungen entsprechend einzusetzen verstand. Eine kongeniale Partnerin war ihm Anna Caterina Antonacci mit ihrem dramatischen Sopran, den sie als Brunehild in allen Facetten hören ließ. Ebenso exzellent die Sopranistin Anne Sophie Duprels, die ihre Rolle als Hilda nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch darzustellen versuchte und ihre Rachegefühle mit körperlichem Einsatz wiedergab. Allein schon wegen dieser drei Protagonisten tat es einem leid, dass das Werk nur konzertant wiedergegeben wurde. Sie hätten ihre starke Bühnenausstrahlung in einer szenischen Aufführung gewiss hervorragend zur Geltung gebracht.

 Auch die weiteren Rollen waren stimmlich ausgewogen besetzt: Der in Wien aus vielen Produktionen bekannte belgische Bassist Tijl Faveyts lieh seine dunkel gefärbte Stimme dem grimmigen Hagen, der russische Bariton Boris Pinkhasovich sang die Rolle des Gunther und die französische Mezzosopranistin Marie-Ange Todorovitch die Rolle der Uta. Zur gelungenen Aufführung trugen noch die beiden Bässe von Nicolas Courjal als Barde und Nicolas Carré als Rudiger sowie der armenische Bariton Khachik Matevosyan als Odins Priester bei.

 Eine eindrucksvolle Leistung bot der stimmgewaltige Chor des Genfer Opernhauses, der in dieser Oper eine tragende Rolle innehatte und diese machtvoll demonstrierte (Einstudierung: Ching-Lien Wu). Die hohe musikalische Qualität und die glänzenden Leistungen des Sängerensembles animierten das begeisterte Publikum schon nach jedem Aktschluss zu starkem Beifall und am Ende der Vorstellung zu Bravorufen und zu minutenlangem Applaus.

 Es wäre reizvoll, Reyers Oper „Sigurd“ in einer szenischen Aufführung auf einer Bühne erleben zu können. Appetit darauf hatte diese konzertante Vorstellung allemal gemacht.

 Udo Pacolt

 

 

 

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