Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

GENF / Grand Théâtre: EUGEN ONEGIN

20.10.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Genf: „EUGEN ONEGIN“ – Grand Théâtre 19.10.2014

 Onegin sitzt auf der leeren Bühne, lässt den Liebesbrief Tatjanas aus den Händen gleiten, während Herbstlaub vom Schnürboden herabfällt. Mit diesem wunderschönen Bild beginnt diese Aufführung zu den ersten Klängen des Orchestervorspiels. Der Ausstatter Michael Levine erzeugt in einem fast leeren Raum, bestehend aus weißen Wänden, mit einigen Stühlen, kahlen Birkenstämmen, dem schon erwähnten Laub, traumhaften zeitgemäßen Kostümen und faszinierenden Lichteffekten eine leicht melancholische und schwermütige Stimmung, in der Robert Carsen das Spannungsfeld zwischen Innerlichkeit und unterdrückten Emotionen detailreich in Szene gesetzt hat. Große Bedeutung kommt hier der Beleuchtung (Original: Jean Kalman, in Genf einstudiert: Christine Binder) zu. Ganz besonders gelungen ist hier die Duellszene, die zunächst in fahlen Blautönen beginnt, sodass man zunächst die Personen nur als Silhouetten erkennen kann. Das blaue Licht verändert sich ständig und schließlich liegt der tote Lenski im Lichtkegel der aufgehenden Sonne. Ein wirklich unvergesslicher Eindruck. Am Ende, nachdem Tatjana die Bühne verlassen hat, sitzt Onegin – wie zu Beginn – verzweifelt mit dem Brief in der Hand in dem Stuhl.

 DSC9992_StephaneDegout_RainerTrost_AndreasJankowitsch_MichelleBreedt
Copyright: Carole Parodi

 Diese großartige Produktion, die 1997 an der Metropolitan Opera New York Premiere hatte (mit Vladimir Chernov, Galina Gorchakova, Neil Shicoff, Vladimir Ognovenko und Irina Archipowa als Filipjewna) ist meiner Meinung nach eine der besten Arbeiten von Robert Carsen. Diese Inszenierung war jahrelang an der Metropolitan Opera zu bewundern, wo ich sie 2007 auch das erste Mal mit Renée Fleming, Dmitri Hvorostovsky und Ramón Vargas gesehen habe (übrigens ist die Aufführung in dieser Besetzung auch auf DVD erhältlich). Nachdem im Vorjahr die Metropolitan Opera für Anna Netrebko eine Neuinszenierung herausgebracht hat, hat nun das Grand Théâtre de Genève diese Carsen-Produktion aus New York übernommen. Die Einstudierung hier besorgte Paula Suozzi detailgetreu.

 10_EugeneOnegin_Credit_CaroleParodi
Maija Kovalevska. Copyright: Carole Parodi

Maija Kovalevska hat enorme Fortschritte gemacht, seit ich sie 2008 das erste Mal als Tatjana beim Glyndebourne Festival gesehen habe. In der Zwischenzeit hat sie sich diese Figur zu Eigen gemacht. Man glaubt ihr sowohl das junge, verliebte Mädchen zu Beginn als auch die damenhafte Fürstin im 3. Akt. Ihr leuchtend klarer Sopran blüht hier auch so richtig auf und weist keine stimmlichen Schärfen auf, die in Wien z.B. bei „Simon Boccanegra“ ihre stimmliche Gesamtleistung beeinträchtigten. Leider keine so positive Entwicklung ist bei dem noch jungen Bariton Michael Nagy festzustellen. 2010 fiel er als Nardo in Mozarts „La finta giardiniera“ im Theater an der Wien mit seinem überaus schön timbrierten Bariton besonders positiv auf. Leider ist er (zumindest derzeit noch) kein idealer Onegin. Die Stimme ist nach wie vor wunderschön, allerdings forciert er in den Höhen und im 3. Akt zeigte er Anzeichen von Ermüdungserscheinungen. Auch darstellerisch konnte er eigentlich nicht voll überzeugen. Vielleicht sollte er doch noch einige Zeit bei Mozart bleiben und Ausflüge in das dramatische Fach aufschieben. Umjubelter Star des Abends war der junge aus Litauen stammende Tenor Edgaras Montvidas. Die helle, lyrische Stimme ist zwar nicht allzu groß, aber er singt diese Partie mit großer Sicherheit, schöner Phrasierung und berückend schönen Piani. Seine Arie „Kuda, kuda“ vor der Duellszene war eine der Höhepunkte des Abends. Es ist schön auch bei diesem Sänger die enormen Fortschritte festzustellen, die er seit seinem Lenski 2007 in Lyon (in der unvergesslichen Peter-Stein-Inszenierung) gemacht hat. Über einen traumhaft schön timbrierten Mezzosopran verfügt Irina Shishkova, die eine sehr lebhafte Olga verkörperte. Sie ist eine der vielen großen Talente aus dem von Valery Gergiev geleiteten Mariinsky-Theater in St. Petersburg, das Reservoir an großartigen Stimmen dort scheint ja wirklich unerschöpflich zu sein. Vitalij Kowaljow besitzt vielleicht keine starke Persönlichkeit, die man für den Gremin eigentlich bräuchte, aber er sang seine Arie sehr schön mit weich strömendem Bass. Die Stimme von Stefania Toczyska ist nach wie vor von betörender Schönheit und sie gestaltete die alte Amme Filipjewna überaus bewegend. Die Szenen mit ihr in den ersten beiden Bildern gerieten dank ihr zu weiteren Höhepunkten der Aufführung. Wieder einmal wurde hiermit der Beweis erbracht, dass auch die mittleren Partien mit ersten Sängern besetzt werden müssen. Leider ist es bei uns in den letzten Jahren Brauch geworden solche Rollen mit Comprimario-Sängern zu besetzen, wodurch das Niveau der Aufführungen sowohl in stimmlicher als auch in persönlichkeitsmäßiger Hinsicht gesunken ist. Gleiches gilt übrigens auch für den spanischen Tenor Raúl Giménez, der aus dem Mr. Triquet ein Kabinettstück machte und mit seiner nach wie vor kraftvollen Tenorhöhe beeindruckte. Ebenfalls sehr stark als Persönlichkeit war Doris Lamprecht als Larina.

DSC0841_MaximMironov_LennekeRuiten_MichelleBreedt
Copyright: Carole Parodi

Ausgezeichnet war der Chor des Grand Théâtre (Einstudierung: Alan Woodbridge), der in dieser Inszenierung auch szenisch sehr gefordert ist. Das klangschön aufspielende Orchestre de la Suisse Romande wurde von Michail Jurowski hervorragend geleitet. Da stimmte einfach jedes Tempo, die Dynamik, die Sängerbegleitung. Tschaikowsky bezeichnete diese Oper ja als „Lyrische Szenen“. Dieser Dirigent wusste das auch in der Orchesterleitung umzusetzen. Langanhaltender Applaus für eine stimmungsvolle Aufführung.

In Wien können wir von einer solchen Produktion nur träumen. Ich fürchte, dass das Wiener Publikum noch jahrelang mit dieser schrecklichen Falk-Richter-Inszenierung gequält wird. Vielleicht könnte man stattdessen diese großartige Produktion an die Wiener Staatsoper holen?

Walter Nowotny

 

 

 

Diese Seite drucken