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GENF: "DER RING DES NIBELUNGEN" – SIEGFRIED. Premiere

09.03.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

GENF: SIEGFRIED – Premiere am 30.1.2014

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Steven Humes (Fafner), John Lundgren (Alberich) und Andreas Conrad (Mime). Foto: Carole Parodi/Grand Théâtre 

 Am Grand Théâtre de Genève ging die neue „Ring“-Produktion der Altmeister Dieter Dorn (Regie) und Jürgen Rose (Bühnenbild und Kostüme) mit Hans-Joachim Ruckhäberle als Dramaturg mit dem „Siegfried“ in die dritte Runde – aus Anlass des 200. Geburtstags Richard Wagners im Vorjahr. Das Regieteam blieb mit der Lichtregie von Tobias Löffler seinem in der „Walküre“ mit viel Phantasie und guter Dramaturgie gewählten Ansatz einer Wagners Regienanweisungen und vornehmlich dem Mythos verpflichteten Interpretation treu.

 Schon zu Beginn des Vorspiels zum 1. Aufzug gewahrt man symbolisch Wotans Speer vor dem schwarzen Vorhang, den er kurz darauf, entschlossen zu allem anderen als reinem Wandern, an sich nimmt. Er wird im Hintergrund, bisweilen auch ganz ungeniert, das Geschehen dieses „Siegfried“ steuern. Zu Beginn aller drei Aufzüge rollen, wie schon in der „Walküre“, die drei Nornen ein riesiges Seilknäuel über die Bühne – eine interessante Symbolik der chronologischen Schicksalhaftigkeit der „Ring“-Handlung und eine optische Klammer um seine vier Teile. Imposant fährt Mimes Schmiede aus der Unterbühne herauf, birgt aber allzu viel Altbackenes und Bekanntes aus vielen anderen Inszenierungen. Ein paar interessante neue Ideen in dem an sich ansprechenden Bühnenbild hätten hier gut getan. Auch das übertriebene Herumtollen mit dem Bär hätte kürzer sein können. Die so oft kolportierte „Scherzo“-Haftigkeit des „Siegfried“ kann sich viel dezenter und subtiler, und dabei sogar nachhaltiger äußern. Eine Art dunkler, sich ständig im eingefächelten Wind bewegender Baum, einer riesigen Bananenstaude ähnelnd, lässt gespannt den 2. Aufzug erwarten, in dem man darin Fafner vermutet.

 So kommt es dann auch. Der Riese wird mit einem gigantischen dreigesichtigen  – wohl ungewollt etwas karnevalesk wirkenden – Zyklopenkopf gezeigt, nachdem zuvor beim Waldweben – wirklich eine gute und romantische Idee – Liebepaare im Innern der Äste, die später zu Fafners wirkungslosen Fangarmen werden, sitzen. Zu Wagners lyrischen Motiven suggerieren die Pärchen zärtliche Zuneigung. Allerdings hätte im Kontrast dazu Fafners Stimme aus dem Off imposanter verstärkt werden können. Als aufgedunsener übergroßer alter Kerl torkelt er schließlich blutüberströmt auf die Bühne und gibt Siegfried letzte Erkenntnisse mit auf den Weg. Der Bewegungsausdruck vom Heinz Wanitschek spielte insbesondere in der Choreografie des 2. Aufzugs eine wesentliche und weitgehend gelungene Rolle. Poesie stand vor allem hier im Vordergrund der Aktionen. Ganz wie in Aidan Langs „Ring“ in Manaus 2005 läuft der Waldvogel als attraktives junges Mädchen mit einem flatternden Vogel am Stab über die Bühne und weist Siegfried aus sicherer Deckung Rat und Weg. Schmetterlingsartig kreisen über allem weitere bunte Vögel, vielleicht ein paar zuviel… „Frisch“ wirkte dieser Wald trotz dieser Farbtupfer jedoch nicht.

 Im 3. Aufzug kommen wieder die dunklen Stellwände aus der „Walküre“ zum Einsatz, die sich beliebig verschieben und somit Personen und Aussichten rasch erscheinen und wieder verschwinden lassen. Der Aufstieg Siegfrieds zum Walkürenfelsen mit einem stark dem flatternden Feuervorhang von John Dew in Darmstadt ähnelnden rotschwarzen und im Takt des gewaltigen Orchesterzwischenspiels wabernden Zwischenvorhang hätte durch ein entsprechendes Lichtspiel Wagners musikalischer Vorgabe ausdrucksvoller entsprochen. Insbesondere im 3. Aufzug kommt aber Dorns exzellente und subtil ausgefeilte Personenregie als wichtigstes dramaturgisches Mittel zum Tragen, die diesen bisweilen lang wirkenden Aufzug durchaus kurzweilig gestaltete. Wenn also auch eine Reihe von Momenten etwas konventionell geriet, konnten gute Ideen im Mittelaufzug und insbesondere die gelungene Personenregie mit bestens einstudierten SängerdarstellerInnen überzeugen.

 Allen voran brillierte Petra Lang mit ihrem szenischen Rollendebut als „Siegfried“-Brünnhilde, nachdem sie die Partie bereits mehrmals konzertant gesungen hatte. Intensiv stellte Lang die Wandlung von der Walküre zur liebenden Frau dar und glänzte im Finale mit erstklassigen Spitzentönen, wo anderen bisweilen die Luft ausgeht, und insgesamt mit perfekter Klanggebung auf jeder Silbe. Langs Brünnhilde hat neben den stimmlich dramatischen auch ganz besondere gesangliche Qualitäten, die sich stets mit intensiver Mimik und authentisch zum Ausdruck gebrachter Emotionalität äußern. Das hohe C im Finale, oft auch von ganz großen Brünnhilden nur kurz angesungen, hielt Lang ganz im Einklang mit ihrem Namen…

Der „Götterdämmerung“-Siegfried von São Paulo 2012 debutierte nun mit dem jungen Siegfried in Genf. John Daszak lieferte eine stimmlich kraftvolle und für ein so schweres Rollendebut beachtliche Leistung, bis zum Finale höhensicher. Allerdings liegt sein stimmlicher Fokus allzu oft auf Lautstärke, und der Stimme fehlt es an einer gewissen Wärme im Timbre. Bisweilen, so bei „Im Schlafe liegt eine Frau“ gelingt ihm auch ein schönes Legato. Die dramatischeren Phrasen kommen jedoch ohne allzu große Resonanz oft zu eindimensional und damit emotional wenig berührend. Insgesamt fehlt es Daszak auch an dem gerade beim Siegfried so wichtigen Charisma. Andreas Conrad gab eine bestechende Charakterstudie als Mime mit seinem klar artikulierenden und durchschlagskräftigen Tenor. Kurz vor seinem unrühmlichen Ableben wartete Conrad mit wahrlich imposanten Höhen auf. Besonders beeindrucken konnte auch der stimmlich exzellente Steven Humes als Fafner mit einem bestens artikulierenden frischen Bass, sicher ein ganz großes Talent nicht nur im Wagnerfach.  Regula Mühlemann zwitscherte festspielreif den Waldvogel mit ihrem lyrischen, äußerst wohlklingenden Sopran. Die dunkel und eindrücklich mahnende Maria Radner als Erda bestach mit einem tiefen und mit viel Melos warm artikulierenden Mezzo. John Lundgren war ein stimmstarker Alberich mit bisweilen allzu starkem Hang zum Deklamieren. Der ehemalige Bayreuther Telramund Tómas Tómasson gestaltete mit viel Empathie einen etwas hell intonierenden Wanderer, dessen Timbre es jedoch etwas an Wärme und Charisma vermissen lässt. Er ist in diesem „Siegfried“ eher der agile und ständig auf Steuerung des Handlung bedachte Macher, nicht so sehr der ruhig und reflektierend auf das Geschehen blickende Alte.

 Das Orchestre de la Suisse Romande ließ unter der Stabführung von Ingo Metzmacher seine bekannt eindrucksvolle Wagner-Erfahrung hören. Nach einem ansprechenden Erzählton im 1. Aufzug hatte das Orchester seine Höhepunkte in den lyrischen Phasen des 2. Aufzugs, insbesondere mit einem wunderbar filigran musiziertem Waldweben, aber auch mit der großen und dennoch stets transparenten Dynamik des Orchesterzwischenspiels zum Walkürenfelsen und des Vorspiels zum 3. Aufzug. Dieses wäre an seinem Ende durchaus auch mit einem weniger anhaltenden Donner ausgekommen. Nach wenig enthusiastischem Anstandsapplaus nach den beiden ersten Aufzügen wurden die Produktion und ihr Regieteam vom Genfer Premierenpublikum am Schluss wohlwollend aufgenommen.

(Fotos in der Bildergalerie)

 Klaus Billand 

 

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