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GELSENKIRCHEN: DON CARLO. Premiere

23.12.2012 | KRITIKEN, Oper

GELSENKIRCHEN: DON CARLO – Premiere am 22. Dezember 2012

 Bevor RASMUS BAUMANN die Posaunen der NEUEN PHILHARMONIE WESTFALEN wohltönend zum Klingen bringen kann, hüpft ein weiß und fast bräutlich gewandetes Mädchen auf die Szene, eine Unschuld vom Lande. Sie blickt schließlich erstaunt auf das, was in ein simultanes Standbild gerückt ist: die Vermählung von Philipp II. mit Elisabeth von Valois, die Verzweiflung des ihr eigentlich zugesprochenen Don Carlo, das Klosterambiente. Es gibt für ALFIA KAMALOVA auch sonst noch eine Reihe von Auftritten, etwa beim Autodafé. Eben noch eine Todgeweihte, agiert sie auf einmal realistisch als „Stimme vom Himmel“. Beim Auftritt des Großinquisitors im Gefängnis (MICHAEL TEWS, mit einem gleißendem Kreuz in Händen, schleudert eine voluminöse Stimme ins Auditorium) ist sie gleichfalls dabei, vermutlich gedacht als lichtvolle Kontrastfigur zum dämonischen Kirchenfürsten. Sogar zum Schluss tänzelt sie nochmals herein, und über diesem überflüssigen, überdies musiklosen (!) szenischen Appendix senkt sich der Vorhang. Nachgerade eine inszenatorische Todsünde. Aber bei dem Regisseur greift die Inquisition nicht.

 Bis zur Pause hat STEPHAN MÄRKI, der Verdienste als Intendant (Potsdam, Weimar, Bern) nachweisen kann, regielich nichts zu sagen. Man erlebt vorwiegend steifes Rampengehabe, leere Gesten, steifes Spiel. Mit der Arie Philipps nimmt die Inszenierung Fahrt auf, im Falle dieser Introduktion ist das allerdings auch und in besonderer Weise dem darstellerisch präsenten und ebenso machtvoll wie differenziert singenden RENATUS MÉSZÁR zu danken. Die folgende Szene mit dem wie ein Golgatha-Christus (mit Kreuz, Dornenkrone und Wunden) ausstaffierten Großinquisitor geht sogar unter die Haut, freilich auch wegen Verdis genialischer Musik. Die vorangegangenen Defizite vermag das alles freilich nicht mehr aufzuwiegen. Der wie ein Maitre de Plaisir geführte SUN-MYUNG KIM (als Herold und Lerma führt der Nachwuchstenor eine äußerst vielversprechende Spinto-Stimme ins Feld) mag als beklemmender figurativer Akzent gedacht sein, aber wirklich stimmig wirkt das nicht, und symbolische Last drückt nicht nur hier. Wie SASCHA GROSS die Bühne mit schmucklosen Wänden einkleidet, ist hingegen zu wenig des Guten, auch wenn man die Absicht klaustrophobischer Wirkung nachzuempfinden vermag. Die Kostüme von ANNA EIERMANN sind eine Mischung aus Historie und Gegenwart, auch eine etwas unentschlossene Idee.

 Es gibt also jeden Grund, die Aufführung nur mit den Ohren zu verfolgen. Rasmus Baumann lässt Verdis Dramatik dynamisch zwar schon mal überschwappen, andererseits gibt ihr das einen willkommenen Kitzel. Der Klangreichtum der Partitur, ihr diffiziles Stimmengeflecht wird vom Dirigenten plastisch herausgearbeitet.

 Das Sängerensemble des Musiktheaters im Revier wirkt rollenstimmig wie selten. Von der „Figaro“-Gräfin zur Elisabetta hat sich PETRA SCHMIDT beispielsweise enorm gesteigert, das in lyrischen Klang eingefangene Leid dieser Frauenfigur berührt bei ihr emotional außerordentlich. Als Carlo führt DANIEL MAGDAL einen höhenleuchtenden, kraftvollen, jedoch nicht kraftmeiernden Tenor ins Feld. GÜNTER PAPPENDELL könnte seinen Posa mitunter etwas stärker in Pianogesang ansiedeln, aber sein prachtvoll durchgebildetes Organ besticht nachhaltig, Zudem gewinnen sich Erscheinung und Spiel unverkennbar die Sympathien des Publikums. Eine applombhafte aplomb , aber stets mezzoschlank bleibende Eboli bietet CAROLA GUBER, DONG-WON SEO (Mönch) wird in späteren Vorstellungen auch den Philipp verkörpern. Unter den Deputierten finden sich u.a. die Veteranen TOMAS MÖWES und NIKOLAI MIASSOJEDOV.

 

Christoph Zimmermann

 

 

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