Friederike Hausmann:
HERRSCHERIN IM PARADIES DER TEUFEL
Maria Carolina, Königin von Neapel
Eine Biographie
320 Seiten, Verlag C.H. Beck, 2014
Gewiß war Marie Antoinette als Königin von Frankreich, die auf der Guillotine ihr Leben ließ, jene Tochter Maria Theresias, die von der Mitwelt und auch der Nachwelt die meiste Beachtung erfuhr. Als gewissermaßen eindrucksvollste Persönlichkeit unter den zahlreichen Töchtern der österreichischen Herrscherin wird allerdings allgemein Maria Carolina (1752-1814), die Zweitjüngste ihrer Töchter, anerkannt.
Auch sie wurde – wie die Schwestern Maria Amalia und Maria Antonia (recte Antoinette) sowie die Brüder Joseph und Leopold – an das Haus Bourbon verheiratet, mit dem Maria Theresia so viele Ehebündnisse knüpfen wollte wie nur möglich, um den europäischen Frieden zu sichern. Auch Maria Carolinas Schicksal schwankte in Zeiten von Revolution und den Napoleonischen Kriegen. Doch diese Tochter Maria Theresias kämpfte – Napoleon, der nicht so leicht zu schrecken war, nannte sie „die gefährlichste Frau Europas“. Die Italien-Expertin Friederike Hausmann hat lange in Neapel, wo Maria Carolina Königin war, recherchiert und ihr eine anregend zu lesende Biographie gewidmet.
Sie beginnt allerdings nicht mit der „Wiege“, das heißt, die Autorin klammert das Schicksal von Maria Carolina in der Kinderstube in Wien aus. Obwohl nie alle 16, denen Maria Theresia das Leben schenkte, auf einem Fleck zusammen waren, immer starben irgendwelche weg, muss es doch eine interessante Hölle und Charakterschmiede der besonderen Art gewesen sein, in diesem Hofstaat, wo jedes Kind um sein Überleben in der Beachtung der Mutter kämpfen und die Geschwister abwehren musste, aufzuwachsen.
Feudales Leben an einem Kaiserhof des 18. Jahrhunderts ist auch in seiner Denkungswelt heute kaum zu begreifen, aber Tatsache bleibt, dass Maria Theresia, hoch gelobte Mutter ihrer Völker, in den eigenen Kindern, zumal den Töchtern, nur „Menschenmaterial“ sah. Wenn Friederike Hausmann in das Schicksal von Maria Carolina einsteigt, wenn sich diese im Mai 1768 ihrer neuen Heimat Neapel näherte (sie war, geboren am 13. August 1752, damals noch 15 Jahre alt), dann weiß man, was sie erwartet – und Maria Theresia wusste es auch, denn sie hatte den Schwiegersohn, den damals 16jährigen Ferdinand, der seit Kindesalter König von Neapel-Sizilien war (weil sein Vater den spanischen Thron übernahm), in all seinen schlechten Eigenschaften geschildert bekommen, die sich alle bewahrheiten sollten
Und dennoch wurden in Verhandlungen mit dem spanischen König, der seine Tochter Ludovika schon an Maria Theresias Sohn Leopold (den späteren Kaiser) verheiratet hatte, für diesen Ferdinand nacheinander drei Prinzessinnen angeboten: Zuerst Maria Johanna, die starb, dann Maria Josepha, die starb, und schließlich, aus dem schier unerschöpflichen Vorrat von Töchtern, Maria Carolina. Sie starb nicht, sie hatte die Zähigkeit, nicht nur viele, entsetzlich strapaziöse Reisen und oftmalige Flucht, ein sicher nicht einfaches Leben an einem intriganten, verwahrlosten Hof und 18 (!) Schwangerschaften (zwei mehr als ihre berühmte Mutter) zu überleben.
Damals fuhr sie wahrlich keinem leichten Schicksal entgegen – einer Welt des Chaos (verglichen mit Wien), einem Gatten, den sie nicht sonderlich schätzte und vice versa (dass er sein Geschäft coram publico verrichtete und auch noch sehen ließ, was im Topf war, zählte zu den Sitten der Zeit… ) Doch man musste sich aneinander gewöhnen – 1768 fand die Hochzeit statt, nach ein paar Jahren Pause (Maria Carolina war einfach zu jung) setzte ab 1772 der Kindersegen ein. Bis 1793, also mehr als zwei Jahrzehnte lang, gab es für die Königin stets kaum ein paar Monate, in denen sie nicht schwanger war. (Angelika Kaufmann hat sie und ihre Kinderschar gemalt, das berühmte Gemälde ist im Buch abgebildet, die Autorin geht allerdings gar nicht auf den Aufenthalt der berühmten Malerin ein.)
Friederike Hausmann bleibt keinesfalls ausschließlich an ihrer „Hauptdarstellerin“ kleben, die in Italien einst ebenso wenig beliebt war wie sie es bei heutigen Historikern ist. Sie zeichnet die seltsame Welt des Königreichs Neapel-Sizilien, das von Neapel aus nach bis zur Insel Sizilien reichte, im Norden einzig vom Kirchenstaat begrenzt, rundum von Meer umgeben, gewissermaßen ein Anhängsel Europas, ohne eigene Bedeutung. Es war damals nichts anderes als ein Außenposten der Bourbonen, die sich von Frankreich nach Spanien (wo man Maria Theresias Vater die Habsburger-Herrschaft abgejagt hatte) auch hierher verbreitet hatten.
Keine großen Aussichten für dieses Land – und Maria Carolina hätte es dabei bewenden lassen können wie etwa ihre Schwester Marie Antoinette in Frankreich und sich einfach vergnügen. Aber sie hatte offenbar doch den politischen Instinkt ihrer Mutter und den Ehrgeiz, Königin eines selbst bedeutenden Reiches zu sein. Daran arbeitete sie – und schuf sich unendlich viele Feinde, die sie auch mit der Gewalt der Verleumdung zu vernichten dachten…
Mag Neapel als prachtvoller Süden wie ein Schlaraffenland erschienen sein (vor allem jedoch den Reisenden im nächsten Jahrhundert), dort beherrschten doch die Lazzari die Straßen, eine seltsame Art von Lumpenproletariat, das die neue Königin nie richtig ins Herz schloß. Um politisch tätig zu werden, musste Maria Carolina erst für die Entfernung des Ministers Bernardo Tanucci sorgen, der vor allem das Wohl Spaniens im Auge hatte. Mit John Acton, dem Italiener britischer Abstammung, besserten sich die Verhältnisse im Land, doch mit der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen wurde Maria Carolina (wie ganz Europa) ihre Entscheidungsfreiheit aus der Hand genommen, man konnte kaum mehr agieren, nur noch reagieren.
Ihren „dynastisch“ größten Triumph erlebte Maria Carolina im Jahre 1790, als sie drei ihrer Kinder mit drei Kindern ihres Bruders Leopold verheiraten konnte – ein noch größerer Wahnsinn als die sonstigen Habsburgischen Cousin-Ehen, weil hier beide Elternpaare Geschwister waren, die Nachkommen also ihrerseits so gut wie Geschwister. Dass ihre älteste Tochter Maria Theresia den Thronfolger Franz heiratete, gab wohl zu größeren Hoffnungen Anlass, als sie sich später für Maria Carolina erfüllten: Der spätere Kaiser Franz, erst der Zweite, dann als Kaiser von Österreich der Erste, hatte nämlich für diese Schwiegermutter/Tante gar nichts übrig und ließ sie – vor allem, als sie später als Flüchtling vor seiner Tür stand – spüren, wie lästig sie ihm war. Doch damals, 1790 in Wien, war alles noch Jubel und Trubel.
Der Druck durch Napoleon, die Auseinandersetzung der Franzosen mit den Engländern im Mittelmeer, gab Maria Carolinas Heimat strategische Bedeutung, Lord Nelson war häufig zu Gast, seine Geliebte Lady Hamilton war eine so enge Freundin der Königin, dass der Klatsch auch hier blühte.
Aber 1799 waren Napoleons Truppen auch in Neapel, Maria Carolina floh mit ihren Familie auf den südlichen Posten ihres Reichs, nach Palermo, aber es schien sinnvoll, sich 1800 nach Wien abzusetzen. Nicht lange nach ihrer Rückkehr sah sie sich von Napoleon entthront, und eine andere Caroline, nämlich Caroline Murat, die Schwester des nunmehrigen Kaisers der Franzosen, wurde Königin von Neapel und gewann die Herzen weit mehr, als es ihrer österreichischen Kollegin gelungen war.
Maria Carolina musste 1810 in schäumender Wut mitansehen, dass der ungeliebte Schwiegersohn Franz mit seiner Tochter Marie Louise, Maria Carolinas Enkelin, genau so gewissenlos umging wie alle Herrscher mit ihren Töchtern (Schwestern, Enkelinnen, was eben an Heiratsmaterial zur Verfügung stand): Sie wurde an Erzfeind Napoleon verheiratet…
Für Maria Carolina, die in ihrem Gatten gar keine Unterstützung hatte, war der Rest ihres Lebens mehr oder minder eine Flucht: Als sie im Jänner 1814 nach entsetzlichen Irrfahrten nach Wien kam, wo der Kongress zur Neuordnung Europa einsetzen sollte, sah sie sich in das Schloß Hetzendorf, das damals noch weit außerhalb der Stadt lag, abgeschoben. Sie, die man „des Teufels Großmutter“ nannte, konnte ganz kurz zur Bezugsperson eines kleinen, unglücklichen Buben werden – ihr Urenkel, der nun nicht mehr Napoleon heißen durfte, sondern Franz, der Herzog von Reichstadt. Als Maria Carolina wenig später am 8. September 1814 starb, erlebte sie nicht mehr mit, dass ihr Gatte vom Wiener Kongreß wieder auf den Thron des nunmehrigen „Königreichs beider Sizilien“ gesetzt wurde – und schnell wieder heiratete, eine ganz bequeme Frau, die ihm keinerlei Vorschriften machte…
Man fragt sich, und auch die Autorin fragt sich, was Maria Carolina in ihrem Leben erreicht hat. Nicht viel. Aber im Gegensatz zu Marie Antoinette, die feierte und dafür den Kopf verlor, kämpfte Maria Carolina ein Leben lang und starb zwar unglücklich, aber friedlich in ihrer Heimatstadt und wurde, wie viele Habsburger (allerdings kaum, wenn sie Königinnen eines anderen Landes gewesen waren…) in der Kapuzinergruft begraben. Für Napoleon war die Großmutter seiner Frau ein stets Ärgernis – Tatsache ist aber, dass beide einander bei allem Zorn die Bewunderung nicht versagt haben, wie große Persönlichkeiten sie für einander gelegentlich hegen.
Der Verlag hat das Buch als Paperback und schmal gehalten, mit wenigen Schwarzweißbildern im Text, es hätte repräsentativer ausfallen können und wäre prachtvoll zu bebildern gewesen. So ist es handlich und auch dann gut zu lesen, wenn es erfolgreich versucht, die verfilzten Stränge der Politik in der bewegten Napoleonischen Epoche auseinander zu dividieren.
Renate Wagner