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FREIBURG: LOHENGRIN – Wiederaufnahme

13.01.2013 | KRITIKEN, Oper

Freiburg: „LOHENGRIN“ – WA 12.1.2013


Christian Voigt als „Heilsbringer“. Foto: Maurice Korbel (Freiburger Theater)


Christian Voigt und Christina Vasileva. Foto: Theater Freiburg

 Freiburg im Breisgau begeht das Wagner-Jahr – und wie! Immer wieder findet man in diesem sympathischen Haus Meister Wagner auf dem Spielplan. Besonders intensiv jedoch seit Barbara Mundel Intendantin ist. Sie hat ihre Intendanz mit dem „Rheingold“ eröffnet, welches dann den Grundstein des sensationellen, mittlerweile aber leider abgespielten „Ringes“ legte. Die „Ring“-Tetralogie wurde seit 2010 insgesamt viermal zyklisch gezeigt – immer vor ausverkauftem Haus. Im Januar vergangenen Jahres kam dann noch „Lohengrin“ dazu.

Das Besondere an der ganzen Sache: Der gesamte „Freiburger Wagner“ wurde von Frank Hilbrich inszeniert und vom Hausensemble, ergänzt durch wenige Gäste, aufgeführt. Das Wagn(er)is hat sich gelohnt: Publikum und Presse sind begeistert! Im April hat dann noch „Parsifal“, ebenfalls von Frank Hilbrich inszeniert, Premiere. Ein besonderes Leckerli wird wohl die Aufführung des zweiteiligen Stummfilmklassikers „Die Nibelungen“ von Fritz Lang, musikalisch live begleitet vom Philharmonischen Orchester Freiburg unter der Leitung von Günter A. Buchwald.

 Frank Hilbrichs geniale „Lohengrin“-Inszenierung hat seit ihrer Premiere vor einem Jahr nichts an Spannung, Faszination und Frische eingebüßt. Sie spielt wiederum in der riesigen Bibliothek, dem Zentrum von Wissen und Macht (fantastische Bühne: Stefan Heyne) in den ansprechenden Alltagskostümen von Nicole von Graevenitz. Wieder endet das Stück böse im Vernichtungsbürgerkrieg des führerlosen Volkes. Besonders spannend ist die Gestaltung der beiden Damen Elsa und Ortrud. Ortrud steht buchstäblich die meiste Zeit über dem Geschehen, beobachtet, was sich so tut, und lenkt ihren Mann Telramund wie eine Marionette. Telramund, von dem man den Eindruck erhält, dass er es eigentlich recht meint, wird zur Manipuliermasse seiner machtgierigen Frau, welche nur ein Ziel verfolgt, nämlich Familie Radbod wieder in die Regierung zu puschen. Bei König Heinrich kommt sie nicht sonderlich gut an, somit muss sie ihre Intrige im Hintergrund spinnen. Elsa träumt von einem anderen Leben, sehnt sich einen herbei,, der sie aus dem alten System befreit. Was dann aber kommt, ist ein Ritter, der sie mit seiner Forderung, nie nach seinem Namen, seiner Herkunft und Art zu fragen, hoffnungslos überfordert. So wirklich was von großer Liebe zu Lohengrin ist bei Elsa nicht zu spüren. Eher nimmt sie im 2. Akt Züge von Ortrud an, indem sie ihre neu gewonnene Macht gnadenlos genießt und alles um sie herum „swanlike“ auf Knien vor sich hinkriechen lässt. Vom ihrem hohen Ross kommt Elsa aber rasch wieder runter, wenn sie von der cleveren Ortrud vor dem Kirchgang attackiert wird. Danach ist es wieder Ortrud, welche hoch erhobenen Hauptes ihre Beobachter- und Intrigantinnen-Position von neuem einnimmt – stehend, versteht sich. Zum Kirchgang mit Lohengrin rappelt sich Elsa nochmals auf – allerdings nagen da heftige Zweifel: „nie soll ich ihn befragen????“. Im 3. Akt versucht die frischgebackene Ehefrau zuerst, mit ihren erotischen Verführungskünsten ihren Gatten zu bewegen, sich ihr zu offenbaren, ohne ihn direkt fragen zu müssen. Dieser möchte jedoch lediglich mit ihr „süße Düfte atmen“ – spätestens jetzt ist der Ofen bei Elsa endgültig aus. Sie zweifelt nicht nur an ihrem Gatten, sondern auch an allem, was er an Veränderungen mitgebracht hat. Und so stellt sie eben die unvermeidliche Frage, erlebt mit Entsetzen mit, wie Lohengrin Telramund erschlägt – und jetzt merkt sie, dass sie sich geirrt hat – und bricht vor König und Volk in wilder Verzweiflung über Telramunds Leiche zusammen. An dem, was Lohengrin dann erzählt, hat Elsa kein wirkliches Interesse mehr, teilnahmslos nimmt sie seine Antwort zur Kenntnis. Frank Hilbrich deutet damit an, dass da zwischen Elsa und Telramund durchaus etwas war. Und das schien ebenfalls im Vorfeld der Oper der Intrige Ortruds zum Opfer gefallen zu sein,, welche Telramund gegen Elsa aufhetzte und ihn an sich band, um so ihre Machtposition ausbauen und festigen zu können. Gefühlsmässig bindet sie nichts an ihren Mann; dessen Tod nimmt sie kaum zur Kenntnis.

 Mit riesiger Musizierfreude erleben wir das Philharmonische Orchester Freiburg unter der Leitung von Generalmusikdirektor Fabrice Bollon. Der Dirigent arbeitet alles heraus, was die Partitur verlangt und bietet. Eine Meisterleistung! Das Vorspiel gerät so hinreißend, dass ein Zuschauer spontan danach applaudiert – wofür er selbstverständliche strafende Blicke von vorne, hinten, links und rechts kassiert. So eine spontane Freudensbekundung ist mir aber immer noch lieber als ein spontan klingelndes Handy…Wagners Musik, das Philharmonische Orchester Freiburg und Fabrice Bollon – das MUSS eine Liebesgeschichte sein!

Auch die Sängerleistungen lassen kaum Wünsche offen! Da ist zu allererst der Tenor Christian Voigt in der Titelrolle zu nennen. Der Tausendsassa ist in „Wagners Künsten tief erfahren“ und zählt für mich zu den großen Sängern dieses Fachs. Im Freiburger „Ring“ feierte er als Siegmund und Siegfried verdient riesige Erfolge. An diese knüpft er mit seinem Lohengrin lückenlos an. Glanzstück ist der 3. Akt, das Sahnehäubchen die Gralserzählung. Da hätte man einen Floh husten hören, so gebannt ist das Publikum an dieser Stelle. Ihm als Elsa zur Seite Christina Vasileva, welche alle Klippen dieser schwierigen Partie mühelos meistert. Sie singt und singt und singt, als wär das alles gar nichts, und verknüpft ihren fantastischen Gesang mit toller darstellerischer Gestaltung. Schade, dass ihre Textverständlichkeit zuweilen nicht ideal ist. Wie auch immer: Christina Vasileva ist eine Elsa, wie man sie sich nur wünschen kann! Stimmgewaltig Jin Seok Lee als König Heinrich. Er überzeugt in Gesang, Darstellung und Verständlichkeit. Der König wird übrigens von seiner Frau Mathilde (Vera Stöckle (stumme Rolle) begleitet. Die First Lady ist sehr aktiv und zeigt: Jeder Politiker braucht eine starke Frau an seiner Seite – dies insbesondere, wenn der Politiker so schwach ist wie eben dieser König Heinrich. Jin Seok Lee stellt einen großmäuligen König dar, der aber letzten Endes schwach ist – das beginnt ja schon bei Elsas Verhandlung, wenn er nach zwei Fragen zur Person Elsas um Gottes Hilfe ersucht, da er nicht mehr in der Lage ist, „in dieser Sache zu richten“. Zusammen mit seiner Frau gerät er von ihm unbemerkt zur Marionette Lohengrins, dem er sämtliche Fäden der Macht zuspielt. Dies alles zeigt Jin Seok Lee glaubhaft und singt dazu königlich! An diesem Abend wird Telramund von Anton Keremidtchiev gegeben. Der Gast von der Deutschen Oper Berlin hat sich ausgezeichnet in die Inszenierung eingefunden und meistert die Rolle in Darstellung und Gesang mit Bravour. Ihm zur Seite Sigrun Schell als intrigante Ortrud. Stimmgewaltig ruft sie die entweihten Götter an und ebenso schickt sie im 3. Akt den „kühnen Helden“ heim. Sie wirkt jedoch etwas forciert, was sich auf ihre zuweilen etwas steife Körperhaltung auswirkt. Den Hass und Ortruds Machtgier stellt sie glaubhaft dar. Juan Orozco hat als Heerrufer mit dem einen oder anderen Wackler zu kämpfen, überzeugt aber gesamthaft mit kräftiger Stimme. Se Hun Jin, Shinsuke Nishiolka, Se Hun Park und Won Kim als Brabantische Edle sowie Kristina Bolkenius, Franziska Gündert, Katharina Schwesinger beweisen, dass an der Hochschule für Musik Freiburg hoffnungsvoller Sangesnachwuchs heranwächst. Carina Schmieger ergänzt als Gast das Quartett der Brautjungfern. Als Gottfried, ebenfalls eine stumme Rolle, sei der Junge Andreas Hauser erwähnt. Der Opern-, Extra- und Zusatzchor des Theaters Freiburg sowie die Statisterie haben Sternsstunden! Mehr als einmal muss ich mir an dem Abend vergegenwärtigen, dass ich wirklich in Freiburg und nicht in Bayreuth bin! Fantastisch, was da Chorleiter Bernhard Moncado auf die Bühne zaubert!

 Der Freiburger „Lohengrin“ – wie schon beim „Ring“, stimmt hier alles, auch in technischer Hinsicht! Fantastisch ausgeleuchtet wird die Aufführung von Michael Philipp, die Fäden hinter den Kulissen laufen bei Inspizientin Brigitte Schäfer in allerbesten Händen zusammen! Und hinter den Kulissen, in den Künstler- und Besuchergarderoben, an der Billettkasse und im Theaterrestaurant wirken viele ungenannte Personen, welche diesem tollen Abend zusätzlichen Glanz verleihen. – Mein Fazit nach dieser Wiederaufnahme: Wann fährt der nächste Schwan ins Theater Freiburg?

Michael Hug

 

 

 

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