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FREIBURG im Breisgau: DIE CSARDASFÜRSTIN. Premiere

08.10.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Die Csárdásfürstin – Theater Freiburg im Breisgau – Premiere, 5.10.2013

 Wilde Weisen wider Wagner

 Die Csárdásfürstin ist zwar die populärste Operette des ungarischen Komponisten Emmerich Kálmán, dennoch wird sie auch heute noch ausserhalb der ehemaligen österreichisch-ungarischen Donaumonarchie eher selten aufgeführt. Zu schwülstig wirkt die Mischung aus Wiener Schmäh und ungarischem Zigeunerweltschmerz, zu angestaubt die Dialoge im Graf Bobby-Stil.

 Als Geniestreich muss man deshalb die Inszenierung von Regisseur Frank Hilbrich werten, der das Libretto gehörig umschreibt und die Operette mit der geradezu heiligsten Form der Oper – nämlich Wagner – in Wettstreit setzt. Durchaus aktueller Bildungsbürgersnobismus also statt des nicht mehr ganz zeitgemässen Standesdünkels. Die Eltern des in die Chansonette Sylva Varescu verliebten Edwin, Graf von und zu Lippert-Weylersheim, als Hardliner-Wagnerianer auftreten zu lassen – ein köstlicher Einfall. Mitsamt ihrer Entourage – allesamt schwarzgekleidete Wagnerianer, wie sie verbissener auch nicht in Bayreuth herumlaufen könnten – entrüsten sich Edwins Eltern darüber in druckreifen Stabreimen im Wagner-Stil („Operette, der Oper obligatorischer Ontergang“), was manchem Wagner-Fan im Publikum die Tränen in die Augen treibt – ob unter Lachen oder aus Schmerz ist nicht immer sicher auszumachen. Dies ausgerechnet von dem bekannten Wagner-Regisseur Hilbricht serviert zu bekommen, ist köstlich erfrischend.

 Ein kongenialer Eingriff ins Libretto ist auch der Einbezug des Orchesters, das ja gleichzeitig als Varietéorchester fungiert und deshalb hinter der Bühne (Volker Thiele) durch Paravents und glitzernde Vorhänge auf Wunsch sichtbar bleibt. Witzige Dialoge zwischen den Protagonisten und dem „Kapellmeister“ inklusive („Maestro, das ist jetzt ganz unpassend!“). Nicht jeder Dirigent könnte da schauspielerisch mithalten, aber Gerhard Markson liefert seine Stichworte lakonisch-ironisch als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Unf führt nebenher das brillant spielende Orchester sicher durch die sich rasant änderenden Tempi, vom schmalzigen Walzer bis zu den wilden Accelerandi der Csárdástänze.

 Doch von den feurigen ungarischen Klängen ist erst einmal wenig zu hören: Die Endzeitstimmung des am Vorabend des 1. Weltkrieges entstandenen Stücks wird hier greifbar. Die Operette ist tot, das „Orpheum“ am Ende, Varietéstar Sylva Varescu und ihre Kollegen machen sich für die Abreise nach Amerika bereit. Ihre treuen Fans trauern der scheidenden Diva bereits nach – einer besonders, ihr Liebhaber Edwin, der wie seine Leidensgenossen begriffen hat: „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“. In seiner Verzweiflung verpflichtet sich Edwin schriftlich, seine Geliebte zu heiraten. Blöd nur, dass seine Eltern die Verlobungsanzeige mit einer standesgemässen Komtesse bereits gedruckt haben…

 Jana Havranová und Roberto Gionfriddo spielen das nicht mehr ganz taufrische, deshalb aber vielleicht umso überzeugendere, nicht standesgemässe Liebespaar Sylva und Edwin hinreissend, er mit der anerzogenen Lippertschen Zurückhaltung und schön schmalzigem aber wohlerzogenen Tenor, sie wild jauchzend, rauchig, spritzig mit dem alles verbrennenden Temperament eines ungarischen so besungenen Teufelsweibs. Das Sekundärpärchen in Gestalt von Edwins Freund Graf Boni Káncsiánu und Edwins Verlobter Komtesse Anastasia genannt Stasi – interpretiert von Christoph Waltle und Sigrun Schell – findet naturgemäss ebenfalls zueinander. Eine Schmerzenszulage hätte der glänzend agierende junge Leon Rüttinger verdient, der als Edwins Bruder Eugen diesen zur Beendigung der Mesalliance überreden soll und dafür das ganze Stück hindurch gestossen und geprügelt wird.

 Die Konfrontationen auf verschiedenen Ebenen – Frau vs. Mann, Adel vs. Künstler, E- gegen U-Musik – finden ihren Höhepunkt auf der Verlobungsparty von Edwin und Stasi, die von Graf Boni und Sylva alias dessen Ehefrau erfolgreich gecrasht wird. Die versammelten als Wagnersche Opernfiguren verkleideten Wagnerianern, die eben noch verzückt dem Lohengrinschen Brautchor lauschten (Brautkleid mit Schwan à la Björks berühmtes Oscar-Kleid inklusive) enden damit, linkisch, aber doch, sich den verführerischen Csárdásklängen der niederen Operette hinzugeben. Charmanter wurde Wagner noch nie besiegt!

 Da sich Gabriele Rupprecht bei den Wagner-Kostümen zur Genüge austoben kann, hält sie sich bei den übrigen Kostümen angenehm zurück, von den durchaus passenden glitzernden Bühnenoutfits der Varescu im 20-er Jahre Stil mal abgesehen.

 Es kommt zum Showdown und zur unvermeidlichen Versöhnung zwischen den Protagonisten. Allerdings will Edwin seine Herzensdame seinen Eltern nur als Gräfin Káncsiánu vorstellen, nicht als Sylva Varescu. Ein schwerer Fehler: Die so Gedemütigte gibt skandalös öffentlich ihre Identität preis und rauscht ab.

 Die Antiklimax – die ihren Frust im Alkohol ertränkende Runde aus Sylva und ihren Freunden Feri (glänzend: Victor Calero) und Bácsi (ebenso glänzend: Wojciech Alicca) – ist aber der eigentliche Höhepunkt der Inszenierung. Der Csárdás „Jai Mamám, Bruderherz, ich kauf‘ mir die Welt“ wird von den Dreien auf erhöhten Podesten wie auf Tischen tanzend so hinreissend gesungen, dass das Publikum nicht mehr an sich halten kann und begeistert mitklatscht. „Was liegt mir am lumpigen Geld? Weisst du, wie lange noch der Globus sich dreht, ob es morgen nicht schon zu spät?“ Diesen Endzeitkater hat im Saal offenbar schon jeder einmal gefühlt.

 Die Operette endet wie eine gute Operette enden muss (der Ausrutscher ins Absurde in Form eines Nashorns auf der Bühne sei Hilbrich hiermit verziehen): Fürst Leopold Maria von und zu Lippert-Weylersheim (Frank Albrecht) findet heraus, dass seine eigene Frau Anhilte (Helga Eggert) früher selbst einmal eine Chansonette war, kann nichts mehr gegen die Mesalliance seines Sohnes haben und will nur noch das Ende. Oder einen Ausgang aus den wallenden Wogen des Wandbehangs.

 Die Ohrwürmer, die jeder Besucher auf dem Nachhauseweg vor sich hinsummt, sind der Beweis: Die im Stück mehrmals totgesagte Operette lebt. Und wie! Hingehen! Ceterum censeo: Man sollte diese Inszenierung zum Pflichtprogramm in Bayreuth machen…

 

 

 

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