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FREIBURG/ Breisgau: JULIUS CÄSAR IN ÄGYPTEN von Händel. „Im Wartesaal“. Premiere

14.02.2017 | Oper

FREIBURG / Breisgau: Julius Cäsar in Ägypten – Im Wartesaal

Freiburg i. Br. – Grosses Haus – Händels „Julius Cäsar in Ägypten“ – Pr. 11.02.2017

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Dmitry Egorov (Julius Cäsar) und Susana Schnell (Cleopatra), Foto: Maurice Korbel

Die Figuren nehmen hinter einer Scheibe auf der Wartebank Platz, stehen nach einer Weile auf, ziehen eine Nummer, setzen sich wieder hin, schauen auf die siebenstellige Nummernanzeige, gleichen sie mit der eigenen gezogenen Nummer ab und warten wieder, bis die entsprechende Ziffer erscheint. Mit diesen sich wiederholenden Vorgängen eröffnet Florentine Klepper ihre Inszenierung von Händels Barockoper „Giulio Cesare in Egitto“. Es ist Julius Cäsar, dessen Nummer als erstes auf der Anzeige erscheint. Er erhebt sich, betritt den ungemütlichen, kalten, weissen Raum vor dem Wartesaal und zeigt seinen Pass in die Überwachungskameras, die sich im Laufe des Abends als Fake-Kameras herausstellen. Die Wände des Raumes bestehen aus vielen einzelnen Türen, die in kleine Kämmerchen führen. Mal versteckt sich dahinter ein Passautomat, mal eine Toilette, mal ein Kleiderschrank. Die Figuren scheinen es zu lieben, sich vor affektgeladenen Soloarien darin zu verkriechen und zu verirren. Die Kämmerchen werden dergestalt zu musiktheatralen Zeitfenstern, in denen die Affekte ihre volle Wirkung entfalten können.

Befinden wir uns am Zoll, in einer Ausländerbehörde, in einem Passbüro? Irgendwo dazwischen siedeln Florentine Klepper und Martina Segna (Bühne) die Oper an. Dieses Szenario mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik zu assoziieren, drängt sich unmittelbar auf. Doch wozu dient der Hellraumprojektor, der sich von Anbeginn rechts in der Ecke des Raumes befindet? In der zweiten Hälfte des Abends lüftet sich dieses Geheimnis: Sextus (Sharon Carty) schreibt „KRIEG“ auf die Folie des Hellraumprojektors, der so den Schriftzug prominent an die Wand bringt, sodass jede/jeder im Zuschauerraum versteht, dass nun Krieg zwischen den Römern und den Ägyptern herrscht. Dieser Regieeinfall mag ja noch sinnfällig zu sein, mal davon abgesehen, dass nicht „GUERRA“ geschrieben steht, obschon alle Figuren auf Italienisch miteinander kommunizieren. Oder soll dies in einer Art Brechtschen Verfremdung eine Botschaft an das Publikum sein? Ach nein, Ptolemäus überschreibt das „KR“ mit einem „S“, woraus schliesslich „SIEG“ wird. Das war der Regiestreich! Es lässt sich an diesem Abend über viele Regieideen streiten. Klepper geht sehr frei mit dem Text um. Es hätte nichts geschadet, zugunsten des Tempos ein paar Da Capos zu streichen. Überhaupt hätte mehr Schwung dem Abend gut getan. Die Inszenierung ist oft zu zähflüssig. Auch die eingeschobene Pantomime zu Beginn des zweiten Teils, in der Verwüstung und Elend in vollem Ausmasse zu Tage treten, hätte gerafft werden können. Sinnstiftend indes sind die Tierkopf-Masken (Alligatoren?), die im Laufe des Abends zunehmend von den Figuren aufgesetzt werden, die sich immer mehr gegenseitig zerfleischen. Sie mögen für den immer tiefer fortschreitenden zivilisatorischen Zerfall stehen.

Gesanglich wird durchwegs eine solide Leistung geboten. Dmitry Egorov in der Titelpartie punktet mit einer beweglichen Counterstimme und einem glaubhaften Spiel. Susana Schnell gibt eine trashige Tussi-Cleopatra im silbernen Glitzerfummel und turbierter Frisur (Kostüme: Adriane Westerbarkey). Ihr zur Seite steht Franziska Gündert als Nirena, die sich ebenso gerne im Glitzerkleid präsentiert. Matthew Shaw verkörpert den hinterhältigen und unsympathischen Ptolemäus, für den alles nur ein Jux zu sein scheint. Er treibt seine Spässe mit Cornelia (Silvia Regazzo), deren Ehemann er auf dem Gewissen hat. Selbst seinen treuen Diener Achillas (Alejandro Lárraga Schleske) führt er kaltblütig hinters Licht. Das Philharmonische Orchester Freiburg unter der Leitung von Egon Mihajlović vermag leider nicht vollständig zu überzeugen. Insbesondere die Blechblasinstrumente haben Intonationsprobleme, die man in den Proben hätte bereinigen müssen.

Nachdem schliesslich der Tyrann Ptolemäus zur Strecke gebracht worden ist, zerbrechen die vorher undurchdringbar gedachten Wände und geben den Blick in gleissendes Licht (die Freiheit?) frei. Kriechend auf allen vieren, schwach und erschöpft verlassen die Überlebenden den Bühnenraum. Der Kreislauf beginnt von Neuem: Eine andere Truppe setzt sich auf die Wartebank hinter der Scheibe, zieht Nummern und betritt den Raum … Die ‚Geschichte‘ wiederholt sich, die Menschheit bleibt gleich.

Carmen Stocker

 

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