Freiburg: Puccini: „Der Mantel“ / Bartók: „Herzog Blaubarts Burg“ – Pr. 26.4.2014
Drum prüfe, wer sich ewig bindet…
Der Mantel: Christina Vasileva, Adriano Graziani. Foto: Theater Freiburg
Zunächst ist auch der erfahrenste Opernbesucher verwirrt: Hat er es erst einmal auf dem weitläufigen Gelände der Brauerei Ganter an den verschiedenen Brauhallen vorbei zur Theaterhalle geschafft, bleibt immer noch die Ratlosigkeit, auf was er sich denn jetzt einstellen muss. Temperamentvolle Eifersuchtsszenen mit vollen Bandbreite des wohl emotionalsten aller italienischen Opernkomponisten konkurrieren da mit den manisch-depressiven Tönen einer zwischen Agonie und Irrsinn schwankenden Komposition eines ungarischen Sonderlings, der danach nie wieder eine Oper komponierte. Die Kombination mutet seltsam an, als hinge man einen Monet neben einen Léger. Ausserdem hatte Puccini ja seinen Einakter Il tabarro eigentlich als Triptychon mit Suor Angelica und Gianni Schicchi konzipiert. Ausserdem dem Uraufführungsjahr (1918) scheinen Mantel und Blaubart also nichts gemeinsam zu haben.
Doch Kühnheit wird manchmal auch belohnt, und bei fortschreitendem Abend wird einem klar: Die Kombi macht durchaus Sinn. Beide Opern zeigen in grausamen Details ewig gültigen Stationen des Scheiterns einer Ehe. Das Auseinanderleben von Eheleuten (im Mantel verstärkt durch den Tod des Kindes), Fremdgehen aus Langeweile und Frustration, die steigende Verzweiflung bei der langsamen Erkenntnis, den Partner zu verlieren, ohne dass man diese Entwicklung aufhalten kann. Das Verletzt-Sein und Verletzen-Wollen, die ständige Dumpfheit, bis man Verzweiflungstaten begeht, nur um sich irgendwie wieder lebendig zu fühlen. Das muss zwar nicht immer so weit gehen wie in der Oper, wo es in der Regel in Totschlag oder Irrsinn endet, aber vielleicht ist die dumpfe Ausweglosigkeit der Realität ja noch grausamer.
Dass an diesem Abend alles zusammenpasst, ist vor allem den durchwegs grossartigen Protagonisten zu verdanken. Von Juan Orozco als Michele ist man schon nichts anderes mehr als Topleistung gewohnt, aber Christina Vasileva als Giorgetta und vor allem Adriano Graziani als Luigi konnten diesmal mithalten. Höhepunkt war eindeutig der Todeskampf zwischen Michele und Luigi, bei dem man nicht nur die beiden ganz unterschiedlichen Männerstimmen geniessen konnte, sondern der auch physisch an die Grenzen der beiden Sänger ging.
Herzog Blaubarts Burg: Viktória Mester, Levente Molnár. Foto: Theater Freiburg
Im zweiten Teil konnten dies allerdings die Ungarin Viktória Mester als Judith und der in Ungarn aufgewachsene Bariton Levente Molnár sowohl mit perfekten Sprachkenntnissen, ungarischem Temperament, als auch mit einer höchst seltenen glaubwürdigen Chemie noch toppen. Die Zweipersonenshow war von vorne bis hinten schlüssig, und ist in einer solchen Traumbesetzung eine absolute Rarität.
Jörg Behr hatte die schwierige Aufgabe, beide Opern inszenieren zu müssen, ohne das Bühnenbild wechseln zu können, und löste die Aufgabe mehr als zufriedenstellend, indem er Elemente aus einer Oper in die andere laufen liess (so radelte der kleine Junge auf seinem Dreirad nicht nur als düstere Erinnerung an ein totes Kind im „Mantel“ über die Bühne, sondern landete damit im zweiten Teil auch als pars pro toto für den See der Tränen unter Blaubarts schwarzem Auto). Wirkungsvoll auch die dankenswerterweise sparsam eingesetzten Regieeinfälle: Als das Schloss blutet, bekommt Blaubart zum Beispiel Nasenbluten. Das Schloss und er sind eins, wie jetzt jedem klar war. Nur die umherschleichenden Alter Egos in beiden Stücken hätte man sich auch sparen können. Die von Tilo Steffens konzipierten Schiffskabinen oder Hafengebäude werden – nicht zuletzt dank der schaurigen Beleuchtung von Michael Philipp – glaubwürdig zu Blaubarts düsterem Schloss. Dank auch an Marc Weeger, der sich – auch bei den Gruftiebräuten – bei den Kostümen angenehm zurückhält.
Für ein Aha-Erlebnis sorgt aber das Philharmonische Orchester Freiburg unter einem entfesselten Fabrice Bollon: Aus Mangel an Orchestergraben sitzt das Orchester hinter einem Paravent, was zur Folge hat, dass der Zuhörer der ungeheuren Kraft der Musik voll ausgesetzt ist. Der Überraschungsstar des Abends kam aber aus einer ganz anderen Ecke: Wie auf’s Stichwort öffneten sich beim Öffnen der Türen von Blaubarts Schloss auch die Schleusen des Himmels. Der auf das zeltartige Hallendach herabprasselnde Regen trug das Seinige zur unheimlichen Atmosphäre der Oper bei. Dementsprechend emotionell durchgeschüttelt verliess man die Theaterhalle. Manchmal passt eben alles.
Alice Matheson