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FREIBURG: AUFSTIEG UND UNTERGANG DER STADT MAHAGONNY – Wiederaufnahme

15.10.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Kurt Weill: AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY, Theater Freiburg, Wiederaufnahme vom 13.10.2013

 Erotischer Neumond über Mahagonny

Mahagonny_1
Neal Schwantes, Roberto Gionfriddo, Christoph Waltle Foto:Theater Freiburg

 Eigentlich ist der Titel der 1930 uraufgeführten Oper von Weill/Brecht irreführend, denn korrekter wäre – zumindest für diese Inszenierung – „Fall und Aufstieg“, schliesslich verfällt die fiktive Stadt Mahagonny ja bald nach der Gründung dem Ruin, der Massenflucht aus der Stadt mit zu vielen Regeln. Ein Hurrikan droht auch noch die kümmerlichen Reste wegzufegen – allein, die Stadt wird verschont. Von jetzt an lautet die Devise „Du darfst“, alles ist erlaubt – nur nicht, kein Geld zu haben. Dieses grösste, einzige Verbrechen kann alleine ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. Völlerei, Hurerei, ja sogar Mord sind gesellschaftlich akzeptabel, seine Rechnung nicht bezahlen zu können, nicht. Der Brechtsche Gesellschaftsspiegel ist aktuell und zeitlos zugleich.

 Warum da Stefan Rieckhoff die Sänger ausgerechnet mit Airline-Kostümen der 50er Jahre ausstattet, bleibt sein Geheimnis. Die Stewardessenuniformen der Freudenmädchen der Stadt sind ausserdem nicht gerade politisch korrekt und wirken mit den Doppeldutt-Frisuren à la Minnie Mouse etwas seltsam. Das Bühnenbild ist unveränderlich und unspektakulär. Warum die Stadt immer so ausgebombt aussehen muss, auch in ihrer höchsten Blüte, bleibt ein Rätsel. Da macht auch ein alter Flügel aus der Ruine keine Erfolgsstory.

 Blass bleiben auch die meisten Figuren. Gerade mal Anja Jung als Witwe Begbick, Roberto Gionfriddo als Jim Mahoney, Alejandro Lárraga Schleske als Bill und Fausto Reinhart als Jack O’Brian können sängerisch und darstellerisch überzeugen. Ärgerlich abfallend ist die Leistung von Aleksandra Zamojska als Jenny. Ob es nun an der Tagesform, der Stimme, der mangelnden Bühnenpräsenz oder an der fehlenden Personenführung lag, als eine der Hauptpersonen war sie für die Aufführung wie ein schwarzes Loch.

 Der Opernchor des Theater Freiburg (Leitung: Berhard Moncado) war wieder einmal der musikalische Höhepunkt des Abends. Johannes Knapp dirigierte zügig, manchmal gab es aber noch Abstimmungsschwierigkeiten, zum Beispiel im Quartett „Auf nach Mahagonny“. Bei der Akustik gibt es Verbesserungspotential: Im Hurrikan gingen die Einzelstimmen völlig unter.

Mahagonny_2

 Tom Ryser inszeniert die Oper angenehm zurückhaltend, die Oper und nicht das Schauspielen soll im Vordergrund stehen. Leider wirkt das Ganze oft erstarrt, vor allem durch den ausserordentlich störenden „Brechtvorhang“, der oft den Grossteil der Bühne abdeckt, während davor die Figuren starr ins Publikum singen. Mahagonny steht darauf, nach „Maha“ teilt sich der Vorhang. Was hätte man damit nicht alles damit anfangen können! Unendliche Wortspiele bieten sich an, doch man wartet vergebens: „Maha – gon(e)“ hätte nach dem Sturm aufleuchten können, man hätte ihn bei Jims Prozess zu „Mahony“ verkürzen können, zu „ago“, zu „go“, zu „aha“. Unverändert und häufig geschlossen schliesst er das Publikum und damit Emotionen aus. Die Stadt bleibt offensichtlich lieber unter sich.

Als (glücklicherweise einziger) Regieeinfall lässt Ryser Jack statt dreier Kälber zwei Kinder verschlingen und wieder ausspucken, diese tanzen unter dem Stichwort „Liebe“ Tango. Und dieser unschuldige Kinderreigen ist das erotischste, das dieses Sündenbabel zu bieten haben soll? Die Absenz jeglicher Erotik, auch die der Prostituierten der Stadt, die ja immerhin Sodom und Gomorra darstellen soll, ist auffallend, reiht sich aber in die Emotionslosigkeit der Inszenierung nahtlos ein.

 Dafür findet ständiges Slapstick-Gewusel im Hintergrund statt, auf das man sich als von der Hauptbühne gelangweilter Zuschauer bald konzentriert. Aber man hat noch Hoffnung: Nach Brecht soll Mahagonny ja brennen und im Chaos versinken! Der wohlgeordnete Fackelumzug der Bevölkerung macht aber so gar nicht diesen Eindruck. Trotzig singen die stolzen Bewohner „was er (der Hurrikan) an Schrecken tuen kann, das können wir selber tun“.

Mahagonny lebt und gedeiht also weiter bei Ryser – um uns, in uns. Wir alle leben darin. Wir alle sind Mahagonny. Unser Gott ist der Kapitalismus. So erschreckend diese Erkenntnis ist, so aktuell macht sie doch Weills Dauerbrenner. Fazit: Klassenziel auf dem letzten Meter knapp erreicht.

Alice Matheson

 

 

 

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