Freiberg: „SUNSET BOULEVARD“ – 6. 1.2015
Auf der Suche nach einem Publikumsrenner für ihre treuen Döbelner und Freiberger Besucher sowie all die anderen Freunde des Hauses entschied sich die Leitung des Mittelsächsischen Theaters für den glanzvollen Namen von Sir Andrew Lloyd Webber und begab sich damit in dessen, von verblichenem Ruhm kündende Welt des „Sunset Boulevard“. Zweifellos hat der geschäftstüchtige Brite dank etlicher, weltweit erfolgreicher Hits bewiesen, zu mehr imstande zu sein, als ihm die Häme und der Neid der Besitzlosen zugestehen wollen. Und es nötigt schon Bewunderung ab, wenn er nach der allenfalls von einem Song zehrenden „Evita“ mit „Cats“ einen Wurf vorlegte, den man weder inhaltlich noch musikalisch des Mittelmaßes bezichtigen kann. Auch seinem „Phantom der Oper“ sollte man sich unvoreingenommen nähern.
Alldem gegenüber nimmt sich „Sunset Boulevard“ vergleichsweise bescheiden aus. Außer einigen anspruchsvollen, wenngleich nicht ohrwurmverdächtigen Songs für die Hauptrolle der Norma Desmond bleibt der musikalische Ertrag kärglich, bietet kaum mehr als gefälligen, gelegentlich rhythmisch aufgemotzten Musicalsound, der in Anbetracht einer knapp dreistündigen Aufführungsdauer einigermaßen ermüdet. Zudem erheischt dieser „Boulevard“ für die Norma Desmond eine mit allen Musicalwassern gewaschene Actrice, die den nicht zu unterschätzenden Anforderungen des Parts in jeder Weise gewachsen sein muß. Über ein solches Ensemblemitglied verfügt das Mittelsächsische Theater in der Person von Susanne Engelhardt in wahrhaft beglückendem Maße. Die in vielen Sätteln erprobte Künstlerin bot eine Leistung aus einem Guss, bei der keine Wünsche unerfüllt blieben. Ihre wandlungsfähige Stimme passt sich den vorgegebenen Höhen und Tiefen in einer Art und Weise an, als hätte Lloyd Webber die Rolle eigens für sie komponiert. Auch darstellerisch beeindruckte sie mit einer außerordentlichen Eloquenz, die der Figur nicht ein Tüpfelchen an Überzeugungskraft vorenthielt. So war sie zum einen der in „Träumen aus Licht“ wandelnde Star, vermochte ebenso schmachtend zu girren wie auch Ausbrüchen ins nahezu Ordinäre nachzugeben. Andererseits stellte sie den Schmerz, die Verzweiflung der um ihre Hoffnungen Betrogenen bar jeglicher Peinlichkeit hemmungslos heraus. Allein dieser bewunderungswürdige künstlerische Einsatz lohnt den Besuch der Aufführung.
Bei der Bewältigung der übrigen Aufgaben bestätigte sich die alte Wahrheit, dass ausgewiesene Opernsänger nicht in jedem Fall als perfekte Musicalsolisten glänzen. Leider werden die Mitglieder kleinerer Häuser gezwungen, sich ohne Rücksicht auf Verluste quer durch das Repertoire zu singen. Somit musste man denn auch in Freiberg die gewiss gute Absicht oftmals für die Tat nehmen. Anerkennenswert ist bei Jens Winkelmann der Zugewinn an darstellerischer Lockerheit, den er als Gigolo der einstigen Diva für sich verbuchen konnte. Allerdings erwies sich das vom Komponisten dem Joe Gillis vorgegebene musikalische Gewand für den Tenor als nicht sonderlich kleidsam. Guido Kunze (Normas dezenter Butler) vertraute da eher deklamorischen Mitteln. Barbora Fritschers erfrischend natürliche Betty war nicht durchgehend höhensicher, und Sergio Raonic Lukovic ging seinen Cecil B. De Mille mit stoischer Gelassenheit an. Martin Gäbler (Artie Green) reihte sich unauffällig ein. Die von Tobias Horschke einstudierten, schon homogener zu vernehmenden Damen und Herren des Chores mussten sich in etlichen Chargen beweisen, von denen ich lediglich Stefan Burmester hervorheben möchte, der seinen Mr.Manfred derart überzogen anlegte, dass dahinter bewusste Absicht zu vermuten war. Sollte dem so sein, wäre das Konzept der Regie aufgegangen.
Dafür (einschließlich der Choreographie) zeichnete Ivan Alboresi verantwortlich, dem insgesamt ein glückliches Händchen bescheinigt werden darf, ist es ihm doch zu verdanken, dass sich dieser „Boulevard“ als durchaus passierbar erwies, indem er nach Kräften etwaige Stolpersteine und Schlaglöcher eliminierte. Darüber hinaus imponierte, wie intensiv er mit den tänzerisch gewandten Chormitgliedern gearbeitet hatte. Allenfalls wären einige Längen im 1. Teil der Vorstellung vermeidbar, die des Rotstiftes bedurft hätten. Die Bühnenbildnerin Sandra Dehler stand ihm in Bezug auf rasche Verwandlungen nach besten Kräften zur Seite und stellte ins Zentrum von Normas Anwesen eine schwungvoll nach oben führende Treppe, einen attraktiven Blickfang, der Susanne Engelhardt zu wirkungsvollen Auftritten und Abgängen verhalf. Die der Zeit der Handlung
trefflich nachempfundenen Kostüme entwarf Kristopher Kempf.
Juheon Han, neuer 1. Kapellmeister des Hauses, hatte die musikalische Leitung übernommen und verantwortete mithin eine etwas unausgegorene Interpretation der Mittelsächsischen Philharmonie, die sich besonders in einem zu lautstarken Musizieren und einem teilweise ausgedünnt anmutenden Streicherklang niederschlug. Wenn sich vorrangig zu Beginn der Aufführung die Textverständlichkeit aller Mitwirkenden quasi im Nullbereich bewegte, sollte ein solch ärgerlicher Missstand schleunigst behoben werden.
Joachim Weise