Freiberg: „CHARLOTTE CORDAY“ – am 4. 6.2013
Auf der seit Jahren anerkennenswerten Suche nach selten aufgeführten, den Spielplan bereichernden Werken entschied sich die Leitung des Mittelsächsischen Theaters heuer für Lorenzo Ferreros „Charlotte Corday“, die 1989 zum 200jährigen Jubiläum der Französischen Revolution an der Oper von Rom heraus kam und ein Jahr darauf in Bremen ihre deutsche Erstaufführung erlebte.
Wesentliche Anregungen zu diesem Opus erhielten Ferrero und sein Librettist Giuseppe di Leva von Jules Michelets Geschichte der Französischen Revolution, und darin besteht für mich die Crux des Unternehmens. Obschon Ferrero einräumt, dass weder Corday noch die girondistischen Politiker die gesellschaftlichen Erfordernisse jener Zeit verstanden haben, kommt dieser Sachverhalt im Handlungsverlauf nur andeutungsweise über die Rampe, die Notwendigkeit des Terrors der Bergpartei angesichts der konterrevolutionären Aufstände in der Vendee („Chouans“) – Balzac und Hugo haben diese Thematik ausführlich behandelt – bleibt nahezu ausgeblendet. So orientiert sich das Werk, ob gewollt oder nicht, an Michelets einseitiger Schwarz-Weiß-Zeichnung linker Revolutionsführer. Wer will, mag Marats Tod auch als ein Wirken höherer Vorsehung deuten, verhalf sie ihm doch zur Glorie des Märtyrers. Immerhin ist anzunehmen, dass er wenige Monate darauf ohnehin den rigiden Säuberungsmaßnahmen Robespierres gegen linke („Hébertisten“) und rechte Abweichler vom reinen Glauben zum Opfer gefallen wäre.
Di Leva und Ferrero schildern drei Begegnungen der Corday mit Marat, zwei dem Mord vorangehende und schließlich das Attentat selbst, das vollzogen wird, weil Marat ironisch die „Wahrheit“in Frage stellt. Dies dünkt mich genauso weit hergeholt wie die Zweifel dieses Mannes an der revolutionären Praxis jener Tage, die von ihm ideologisch in vollem Maße mitgetragen wurde.
Dem Komponisten Ferrero kann man den Vorwurf ersparen, Verächtern neutönender Opernkost Wasser auf die Mühlen zu gießen. Einerseits gemahnt bei seiner „Corday“ manches an die Meister des Verismo, andererseits lugen gelegentlich Hanns Eisler oder Kurt Weill aus der Partitur. Gleich Kanonenschüssen setzt das Orchester zu Beginn einen furiosen Auftakt, verfällt einem gehetzten Vorwärtsdrängen, das akustisch die Revolutionswirren trefflich symbolisiert und darüber hinaus andeutet, dass sich eine derart außer Atem geratene politische Bewegung früher oder später erschöpft. Zu den Höhepunkten der Komposition zähle ich das in seiner verhaltenen Anlage desto zwingender wirkende Terzett zum Ausklang des 2. Aktes (Charlotte, Gaston, Marat), in dem eine jede der beteiligten Figuren mit den sie bedrängenden Fragen Zwiesprache hält.
Jan Michael Horstmann, der als Operndirektor nach Radebeul wechselnde GMD, formte mit der Mittelsächsischen Philharmonie erneut ein phantastisches Klangbild, das den brutalen Passagen der Partitur mit kaum gezügelter Wucht gerecht ward, aber auch deren Lyrismen zum Leuchten brachte, insgesamt jedoch weniger sängerfreundlich als gewohnt ausfiel, ein Umstand, dem die hier so wesentliche Textverständlichkeit leider oftmals ihren Zoll entrichten musste.
In dem die Türme der (freilich mittlerweile geschleiften) Bastille zitierenden Bühnenbild Tilo Staudtes (auch Kostüme), das die gleich einem Fallbeil über den Köpfen der Menschen schwebende revolutionäre Gesetzlichkeit nicht ausspart, legte Judica Semler eine sich zum Original bekennende Inszenierung vor, die (nicht zuletzt in den Volksszenen ) den Schrecken jener Tage plausibel vermittelte und innerhalb der von den Autoren gesetzten Grenzen mit einer sorgsamen Personenführung imponierte. Ob es möglich gewesen wäre, diesen Grenzen mit einer historisch fundierteren Sicht zu begegnen, erscheint mir zweifelhaft, würde doch damit die von Autoren nun einmal so gewünschte Aussage vehement angetastet.
In der Hauptrolle rührte Lilia Milek wiederum mit einer ihrer zutiefst nachempfundenen Frauengestalten an, brachte die Ängste und Zweifel dieses Mädchens aus der Provinz überzeugend zum Ausdruck. Gesanglich kam ihr dabei die intensive Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik zugute. Somit meisterte sie den sich häufig zu extremen Höhenlagen aufschwingenden Part ohne Abstriche, allerdings nicht in jedem Fall textverständlich. Diese Textverständlichkeit gehörte zu den Stärken Christoph Schröters als Gironist Camille, der hinwiederum nicht verbergen konnte, dass ihm die Partie kaum in die Kehle geschrieben sein dürfte. Guido Kunze als Marats „Bodyguard“ Gaston schlug sich vokal äußerst achtbar, nahm sich dafür darstellerisch ein wenig zu harmlos aus. Ein im Sinne der Schöpfer Bilderbuch-Marat war Sergio Raonic Lukovic zu verdanken – ein attraktiver Mann mit ausgeglichenem Bassbariton. Da wird der Historie denn doch einigermaßen Gewalt angetan, der Schluss der Aufführung (die Mörderin kuschelt sich an ihr Opfer) bediente eine solch verklärende Sicht noch unverblümter. Als Straßenverkäuferin und Betrunkener steuerten Zsuzsanna Kakuk und Stefan Burmester gelungene Studien bei. Die von Tobias Horschke vorbereiteten Damen und Herren des Chores setzten sich als Volk und Konventsabgeordnete spielfreudig für das Gelingen der Aufführung ein.
Joachim Weise