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FRANZ GRILLPARZER. Ein Klassiker für die Gegenwart

BuchCover   Grillparzer  Klassiker für die Gegenwart

FRANZ GRILLPARZER.
Ein Klassiker für die Gegenwart
Herausgegeben von Bernhard Fetz, Michael Hansel und Hannes Schweiger
224 Seiten, broschiert. Paul
Zsolnay Verlag, 2016

Der einst so bedeutende Dichter hat es nicht leicht. Franz Grillparzer ist „out“, sagen die Herausgeber eines neuen Buches über ihn, in den Schulen kommt er nicht mehr vor (!), an der Wiener Universität gilt er als „marginalisierter Autor, der für die Studenten ein ungelesenes Blatt darstellt“(!), in den Theatern wird er zumeist nicht mehr gespielt, und wenn man einige Künstler bittet, Worte zum Thema „Mein Grillparzer“ zu finden, dann sagt Peter Turrini ganz offen: „Ich mochte Grillparzer nie. (…) Für mich hat jeder Satz in seinem Werk etwas Aufgeblasenes, Schwulstlippiges an sich.“ Bei allen Versuchen, sich ihm zu nähern, sei die „Schubumkehr ins Sympathische nie gelungen“.

Vernichtender geht es gar nicht. Vermutlich finden sich nur die „Dinosaurier“, die der Grillparzer-Gesellschaft angehören, alle Jahrzehnte zu einem Grillparzer-Symposion zusammen, das außer ihnen selbst niemanden interessiert? Das Buch, das unter dem Titel „Franz Grillparzer. Ein Klassiker für die Gegenwart“ nun herausgekommen ist, hat damit nur locker zu tun, gerade eine Vortragende (Ruth Aspöck), gerade ein „Mein Grillparzer“-Dichter (Erwin Riess) sind im Buch und waren bei der Veranstaltung vertreten.

Nun ist der herausfordernde Titel „Ein Klassiker für die Gegenwart“ an sich Konzept, aber das löst sich nicht wirklich ein. Die Wissenschaftler schreiben über das, was immer ihr Thema ist – interpretieren entweder Zeit und Leben oder das Werk. Daniela Strigl arbeitet ausgezeichnet den Blick auf Grillparzer auf, von der schrankenlosen Bewunderung einer Zeitgenossin wie Marie von Ebner-Eschenbach über die tausendfach behandelte „Instrumentalisierung“ des Dichters zum Nationalheiligen (abrufbar, so lange Patriotismus noch gefragt war und ein Zitat brauchte), bis in unsere Welt, wo nicht nur er nichts mehr bedeutet, sondern eine ganz allgemeine Entwertung der Klassiker stattfindet. (Man kann sie, dies eingeworfen, ja nicht so wirklich ruhig am Smartphone in der Straßenbahn lesen…)

Interessant, dass die „Linken“ viel an Grillparzer fanden: Hans Höller über Rosa Luxemburg und Grillparzer, Andreas Handler über Ernst Fischers Auseinandersetzung mit dem Dichter, die wieder auf dessen „Identitätsstiftung“ hinausläuft: Fischer, ein Politiker im Krieg, im Exil, suchte das im Deutschen Reich verschwundene Österreich.

Werkinterpretationen, wobei der Beitrag von Ruth Klüger über „Weh dem der lügt“ älteren Datums sein muss, weil sie Korrekturen zur eigenen Meinung noch als Nachsatz anfügt. Grillparzers Frauen- bzw. Männerbild (Nicole Streitler-Kastberger), zum „Armen Spielmann“ (Deborah Holmes), Grillparzers „österreichische“ Sprache (Thomas Brooks) – an solchen Themen arbeiten sich Germanisten seit Jahr und Tag ab und wenden sich eigentlich nur an ihre Berufskollegen. Der Bezug zur Gegenwart stellt sich nicht wirklich ein.

Um originell zu sein, wird noch ein Comic-Strip (ein ratloser Dichter am Schreibpult – von Nicolas Mahler) eingestreut, man findet politische Perspektiven bei Gerhard Ruiss, der die Freiheit der Kunst bei Schriftstellern in Österreich nicht nur vor 1848 bedroht findet, bei Robert Pichl über die Nationalismus-Frage, aber zwei Beiträge haben wirklich Neues zu bieten. Wobei jener von Ruth Aspöck über Grillparzers Reisen zwar nur Tagebuchstellen zusammen fügt, man dazu aber anschauliche zeitgenössische Stiche (auch bunt) gefunden hat.

Die interessanteste Arbeit ist wohl jene, wo Kira Kaufmann und Felix Reinstadler beistrichgenau Grillparzers Autobiographie, vielmehr deren handschriftlichem Konvolut, nachgehen, das in verschiedenen Zeiten von verschiedenen Herausgebern durchaus unterschiedlich ediert wurde. Das ist die hohe Schule der germanistischen Punkt-Genauigkeit, mit vielen bildlichen Beispielen, und – wenn es denn grundsätzlich jemanden interessiert – einfach faszinierend.

Schließlich sei noch erwähnt, dass die Schauspielerin Stefanie Reinsperger über ihre Beziehung zu „Medea“ berichtet, die sie einmal gespielt hat und unbedingt noch einmal probieren will. Nun, wie man weiß, findet das im Volkstheater statt. Und ist es nicht die einzige Realität für einen Dramatiker, dass man ihn auf die Bühne bringt und einer Öffentlichkeit ermöglicht, sich an ihm zu reiben oder ihn zu bewundern?

Renate Wagner