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FRANKFURT: TANNHÄUSER

25.10.2013 | KRITIKEN, Oper

FRANKFURT: TANNHÄUSER am 24.10. 2013 (Werner Häußner)

 Iso-Matten, Rucksäcke, bunte Käppis: Die Truppe sieht aus, als komme sie gerade vom Weltjugendtag. Zum frommen Klang der Pilgerchor-Melodie lässt man sich nieder. Viele beten, manche denken in sich versunken nach. Eine Gruppe zieht ein, schleppt ein riesiges Kreuz mit sich. Alle scharen sich darum. Dann übermannt der Schlaf das Völkchen. So lange, bis die ersten Tremoli der Venusberg-Musik aufzüngeln: Jung und Alt werfen sich in die Arme, bald fliegen die Klamotten. Die fröhlichen Nackten ziehen einem weiß-blauen Himmel entgegen. Doch das venerische Treiben geht nicht lange gut: In Richard Wagners Orchester setzen sich die Pilgerchor-Motive wieder durch. Zuckende Leiber kriechen mit Gesten des Entsetzens und der Reue zum Kreuz. Klagende Gebärden zur triumphal vom Blech intonierten erhabenen Melodie.

Inszenierte Ouvertüren sind manchmal nur der Angst des Regisseurs vor der reinen Musik geschuldet. Doch im Falle des Frankfurter „Tannhäuser“ erschließt Vera Nemirova damit die Sinnrichtung des Stücks. Sie stellt den prägenden Dualismus zwischen Venus und Maria, zwischen sexuell-sinnlicher Entfesselung und vergeistigt-jenseitiger Liebe in einer präzis entwickelten Szene auf die Bühne. Und sie behauptet so, dass der Dualismus nicht allein eine Angelegenheit des 19. und vergangenen 20. Jahrhunderts sei. So fromm die Pilger auch sein mögen: Gegen Frau Venus‘ Zauber haben sie keine Chance.

Der „Tannhäuser“, eine wichtige theatrale Station auf dem lebenslangen Weg Wagners zur Bewältigung seiner manichäisch-dualistischen Konflikte, wurzelt in einem christlichen Menschenbild, das aber mit den ideologischen Verzerrungen und sexuellen Neurosen des 19. Jahrhunderts kaum erkennbar war. Die Verbindung von körperlich-sexueller und seelisch-spiritueller Liebe hätte durch Tannhäuser und Elisabeth erreicht werden können: Hier der Mann mit den Erfahrungen des Venusbergs, der weiß, dass der sterbliche Mensch auch durch Götter nicht zum Gott gemacht wird; der erfahren hat, dass der schrankenlose, ungetrübte Genuss sinnlicher Reize nur zum Überdruss führt. Dort eine starke Frau, die eine widerstandsfähige Liebe bewahrt, die nach ganzheitlicher Erfüllung strebt, die das „Rätsel ihres Herzens“ zu lösen hofft.

Vera Nemirova behauptet in ihrer Inszenierung eindrucksvoll, dass diese Liebe scheitern muss: Die Ideologie der Wartburg, im Wettstreit der Sänger zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, lässt nur den dualistischen Bruch zu. Gegen der „Liebe reinstes Wesen“, das Wolfram von Eschenbach nicht „mit frevlem Mut“ berühren will, steht Tannhäuser mit seinem faustischen Vornamen Heinrich, der „im Genuss nur Liebe“ kennt, der in Venus „die Quelle alles Schönen“ propagiert. In diesem Konflikt weist selbst der Papst keinen Ausweg, und die Barmherzigkeit ist eine Tugend, die in dieser Welt nicht greift und von oben kommen muss.

Nemirova inszeniert den „Tannhäuser“ nicht als ein Stück von gestern, dem man für seine Schlüssigkeit heute ein neues Thema überstülpen müsste. Und es genügen ihr im Verein mit ihrem Bühnenausstatter Johannes Leiacker knappe Hinweise und Andeutungen, um einen zwingenden, berührenden Opernabend zu gestalten. Etwa die Szene mit dem Hirten: In Frankfurt ist er mit einem Kind besetzt (Cedric Schmitt). Mit Kreide malt er ein Kreuz auf den Boden – für eines jener Hüpfspiele, mit denen sich Kinder früher auf den Straßen die Zeit vertrieben. Tannhäuser, der Wanderer mit Gitarre und Federn am Hut, legt sich auf das Kreuz und wird von seinen Ex-Sängerkollegen entdeckt. Der Hirte spielt am Ende dann eine entscheidende Rolle: Das Kind, von den Konflikten unberührt, führt Tannhäuser zu den Klängen des Erlösungschores weg.

Leiacker genügt für die karge Bühne eine Wand mit einem weiß-blauen Himmel, davor eine Peitschenlampe mit kaltem, trübem Schein (Olaf Winters Licht mit entscheidendem atmosphärischem Anteil). Dieser Himmel mag, wenn die aufgedrehten Kirchentags-Teenies in ihm „baden“, ein Ort emotionalen Höhenflugs sein; eine Erfüllung der menschlichen Sehnsucht ist er nimmer. Im dritten Aufzug hat die Leinwand Löcher, wird das hölzerne Traggerüst sichtbar. Eine höchst irdische, vergängliche Illusion.

Der Hirtenjunge führt den Tannhäuser zwar in Richtung des zerfetzten Himmelsbilds, aber darin hat sich eine Öffnung gebildet, die ins Unbestimmte führt. Nemirova lässt offen, wohin dieser Weg führt, aber keinen Zweifel, dass es sich um einen Moment des Transzendierens handelt. Die Szene erinnert an den Schluss von Schlingensiefs Bayreuther „Parsifal“. Eine bedeutungsvolle Parallele: Beide Regisseure sind nicht mit vorschnellen Lösungen bei der Hand, stellen die für Wagner essenzielle Erlösungssehnsucht nicht in Frage, lassen aber offen, worin die Erlösung bestehen könnte.

Wie wenig authentisch die Wartburg-Welt ist, zeigt Nemirova deutlich: Der zweite Aufzug ist eine Show, die aus den Fugen gerät. Landgraf Hermann, von Andreas Bauer mit Autorität gesungen, liest die Frage nach dem wahren Wesen der Liebe wie eine Quizfrage vom Spickzettel ab. Die Sänger, einheitlich in lila Rüschenhemd, liefern ihre Beiträge ab. Der kleine, eitler Walther von der Vogelweide (präsent: Jun Ho You), der nur in der Kategorie des „Kampfs“ denkende Biterolf (überzeugend: Magnus Baldvinsson). Und Wolfram von Eschenbach, der Vertreter eines supranaturalistischen Liebesbegriffs, der sich in Anbetung verzehrt, ohne das Subjekt der Liebe je erreichen zu wollen. Daniel Schmutzhard spielt die inneren Qualen dieses Charakters aus; sorgt mit klug gebildeter, ebenmäßig geformter Stimme für den vokalen Höhepunkt der Frankfurter Aufführung. Dass Wolfram im dritten Aufzug Elisabeth erdrosselt und sie so beim Übertritt ins Jenseits „geleitet“, ist aus der Anlage der Figur heraus nur konsequent.

Die Neueinstudierung der Inszenierung von 2007 – aus Anlass des Wagner-Jahres – ist auch gelungen, weil sich Lance Ryan (Tannhäuser) und Annette Dasch (Elisabeth) das Regiekonzept zu Eigen gemacht haben. Ryan singt anfangs mit extrem gespanntem, beengtem Tenor; wird nach und nach freier, hat die Kraft für die gefürchteten Stellen im zweiten Aufzug und für eine durchdachte Rom-Erzählung. Aber Schmelz und gelösten Klang erwartet man von diesem Tenor vergeblich.

Annette Dasch genießt zurzeit viel Anerkennung. Für das jugendliche Strahlen der „Hallenarie“ reicht der Klangkern der Stimme nicht, aber die lyrisch-innigen Momente gelingen mit dem Zauber, den nur eine reflektierte Gestaltung hervorruft. Tuija Knihtilä fehlen Eros und Geschmeidigkeit in der Stimme, um als Venus zu überzeugen. Der Frankfurter Opernchor hatte nicht seinen besten Abend; das Orchester unter Constantin Trinks überwand die groben Momente des Beginns und steigerte sich auf ein solides Niveau, das im dritten Aufzug vor den Finessen einer subtilen Dynamik nicht kapitulieren musste.

Werner Häußner

 

 

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