Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

FRANKFURT: STIFFELIO

06.11.2016 | Oper

FRANKFURT: STIFFELIO am 4.11.2016 (Werner Häußner)

Man ist geneigt, die Hexen zu zitieren. In Shakespeares „Macbeth“ behaupten sie, schön sei hässlich, hässlich schön, und nehmen damit vorweg, was die Moderne vollzogen hat: das Ende der Unterscheidbarkeit nach ästhetisch-moralischen Kategorien. Laut ist schön und schön ist laut – so kommt es auch dem kritisch Hörenden vor, wenn er sich dem heute üblichen Verdi-Gesang aussetzt. Das betrifft Wien wie Wiesbaden, Mailand wie Mönchengladbach: Verdi steht unter Hochdruck, wird gesungen, als hätte Umberto Giordano die Einstudierung vorgenommen. Und gibt es einmal biegsame, wohlgeformte, nicht vom Vibrato zerklüftete Stimmen, dann rutschen sie zu gerne in die lyrische Kategorie, in der man das Aufblühen des Tons an Schlüsselstellen dramatischen Ausdrucks vermissen muss.

In Frankfurts Neueinstudierung von Verdis „Stiffelio“ hat Dimitri Platanias eine solche Stimme nach der Hexen Art: Die Wucht, mit der er den auf seinen Ehrenkodex fixierten alten Stankar singt, ist überwältigend. Wenn er im dritten Akt seiner Freude an der bevorstehenden Rache Raum verschafft, schnappt der Sänger im Sturm des Gefühls beinahe über: Stimme und Atem, so verkündet Stankar, fühle er versagen vor der inneren Wallung des unaussprechlichen Glücks – eine diabolische Herzenswallung. In solchen Momenten ist Platanias‘ mächtiger Bariton in seinem Element, da wirft ihn keine Klangwoge aus dem Orchester aus der Bahn.

Aber Stankar hat auch einen – in seinen Augen – schwachen Moment, als er an seine Tochter Lina denkt, an die verklärte Erinnerungen an ihre „reinste“ Liebe zu Stiffelio. Für einen solchen Moment der Rührung, der Verletzlichkeit – die „Träne im Auge eines Soldaten“ – fehlt dann Platanias‘ Tongebung die Flexibilität, die Farbe, die technisch abgesicherte Kunst des Schattierens, ohne die Stimme vom Atem zu nehmen. Laut ist nicht alles, zum Beifall reicht’s freilich. Das war im Januar in Venedig so, wo Platanias den Stankar bereits in einer platten Regiearbeit Johannes Weigands gesungen hat, das hat sich auch in Frankfurt wieder gezeigt.

Ein Faktor in dieser so problematischen wie komplexen Konstellation, wie Verdi stilistisch angemessen zu singen sei, sind die Orchester: In Frankfurt führt Giuliano Carella den Stab, der etwa mit Bellinis „I Puritani“ in Stuttgart gezeigt hat, dass er alles andere als ein brachial auftrumpfender Lautstärke-Fetischist ist. Das groß besetzte Orchester mit seiner farbenreichen Bläser- und Schlagzeug-Besetzung brachte er in Sachen Phrasierung, metrischer Agilität, Eleganz und rhythmischem Schwung nahe an ein Ideal; dynamisch allerdings hätte er die Zügel straffer halten dürfen – und auch die Ausforschung harmonischer Tiefe wäre in klarerem Licht denkbar, wenn die melodieführenden Stimmen eine Idee weniger bestimmend aufträten.

Einem Sänger wie Cooper Nolan käme etwas weniger Lautstärke gelegen. Nicht, dass sein Tenor dem Orchester nichts entgegenzusetzen hätte! Aber der amerikanische Tenor, Absolvent der Manhattan School of Music, hat eine viel zu schöne Spinto-Stimme, um sie im Kampf um laute Töne zu erschöpfen. Als Stiffelio überzeugt er mit einer klangvollen Gestaltung, einem stetigen, leuchtenden Ton, einem stilsicheren Legato und, wo nötig, eben auch mit der expansiven Kraft des „squillo“. Der Frankfurter Debütant, der in der letzten Spielzeit als Don José in „Carmen“ in Kiel erstmals in Europa auftrat, hat sich mit diesem anspruchsvollen Charakter nachdrücklich für weitere Aufgaben empfohlen.

Auch Jessica Strong gehört nicht in Kategorie der Sänger, die dem „Laut-ist-schön“-Ideal huldigen. Als Lina hat sie zu Beginn des zweiten Akts in der schon stark auf „Ballo in maschera“ vorausweisenden Friedhofsszene, aber auch im psychologisch avancierten Duett mit Stiffelio im dritten Akt, einen Charakter auszuleuchten, der sich nicht auf die Leidensgestalten des alten „melodramma“ reduzieren lässt. Lina stellt sich ihrer Schuld, weiß aber, dass die Schwarz-Weiß-Kategorien ihrer Religionsgemeinschaft nicht taugen, ihr Verhalten zwischen beständiger Liebe und einem Ausrutscher im Affekt moralisch einzuordnen. Strong führt vor, wie eine Sängerin, die in Ton und Farbe zu differenzieren versteht, das gesanglich bewegende Profil einer starken Frau zeichnen kann.

Die undankbare Partie des schwachen Verführers von Lina, Raffaele, füllt AJ Glueckert anständig aus – in Flotows „Martha“ kann er momentan in Frankfurt als Lyonel die Qualitäten seines Tenors viel eindrücklicher beweisen. Alfred Reiter müht sich um die paar Sätze des alten Geistlichen Jorg, Ingyu Hwang und Julia Dawson – beide Mitglieder des Frankfurter Opernstudios – sammeln als Federico und Dorotea mit sympathischen Stimmen Erfahrung auf der großen Bühne. Die Inszenierung von Benedict Andrews und die Bühne von Johannes Schütz haben nichts von ihrer Überzeugungskraft verloren: Dieser „Stiffelio“, der auch beim Publikum ankommt, hat das Zeug, zu einer Stütze des Frankfurter Verdi-Repertoires zu werden.

Werner Häußner

 

Diese Seite drucken