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FRANKFURT: OTELLO

Die Schuhcreme bringt den Tod!

24.08.2018 | Oper


Roberto Saccá, Evez Abdulla. Copyright: Oper Frankfurt/Barbara Aumüller

Otello – die Schuhcreme bringt den Tod!

Oper Frankfurt – besuchte Vorstellung am 23. August 2018

Die gute Nachricht zu Beginn: es ist die letzte Wiederaufnahme dieser misslungenen Regie-Arbeit von Johannes Erath! Dieser erzählte sein eigenes Stück, dass weder im Schauplatz (leere Bretterbühne mit Bambi-Verschlag), in den Kostümen, in der Personenführung etwas mit dem zu tun hatte, was Verdi geschrieben hatte. Quiz- und Rätselfreunde oder auch Liebhaber des absurden Theaters kamen und kommen bei dieser sinnbefreiten szenischen Arbeit freilich auf ihre Kosten.

Otello ist bereits v o r  seinem Auftritt auf der Bühne. So, so, der große Chor muss wohl einer Halluzination erlegen sein. Immerhin sieht dieser ein Segel und dann wir auch noch die Ankunft des Feldherrn beschrieben, Aber, der ist schon da, Hin und wieder sekundiert von einem schwarz bemalten Statisten.

Warum?

Im Bühnen-Hintergrund ziert ein ausgestopftes Reh die hässliche Bühne.

Warum?

Und überhaupt, dieser Otello ist so ganz ein Mensch, wie Du und ich. Eher im Habitus eines freundlich wirkenden Vertreters oder Fachangestellten. Weder vom Kostüm eine militärische Führungskraft, noch von seiner Gestalt ein Außenseiter. Wieso dann wohl Arrigo Boito in seinem Text immer wieder den „Mohren“ erwähnte? Und Otello selbst stellt im Text sein Aussehen in Frage, dass so anders ist.

Auch „logisch“ à la Erath: Cassio, Jago und Otello sitzen während des Terzetts im 3. Akt auf Stühlen nebeneinander! Da muss wohl Cassio von einer augenblicklichen, temporären Blindheit befallen worden sein. Denn er reagiert auf seinen vermeintlichen Nebenbuhler nicht, der so greifbar nahe bei ihm sitzt! Und anscheinend ist dieses Phänomen ansteckend, denn auch Desdemona, Emilia ergeht es so…..

Weit mehr als 100 Soldaten-Stiefelpaare bilden das Schlafgemach von Desdemona.

Warum?

Ach so, Emilia muss beschäftigt werden, denn sie räumt die Stiefel ab, während Desdemona singt. Störend, sehr störend und völlig sinnlos.

Otello ist bereits während des Ave Marias von Desdemona anwesend, verharrt hinter deren Rücken und mimt dabei einen Pastor. Desdemona muss inzwischen sich selbst sediert haben, da sie Otello nicht bemerkt haben will, obwohl der Bühnenboden knarzte. Er verharrt dann neben ihr und sie fragt dann, wer da ist. Wie gesagt: Gatte steht neben ihr. Schlimm, sehr schlimm, wenn der Sehsinn immer wieder bei einer solchen Inszenierung den Protagonisten den Dienst verweigert.

Auch Emilia leidet an der Augenblicks-Blindheit, denn sie realisiert, dass Otello (viel zu früh) die Bühne betritt. Warnt sie Desdemona? Nein. Sie legt sich auf den Bühnenboden und macht ein kurzes Nickerchen. Nach Otellos Mord an Desdemona erwacht Emilia und schlägt auf den Bühnenboden und singt doch tatsächlich „Aprite, aprite“ (Öffnet! Öffnet!). Nur ist nirgendwo eine Türe zu öffnen. Das muss ein böser Traum sein!

Noch nie habe ich eine derartige Emotionslosigkeit bei Emilia erlebt. Diese nimmt den Tod ihrer Herrin zur Kenntnis, als hätte sie gerade erfahren, dass es keinen Espresso mehr gibt! Tja Desdemona, Pech gehabt! So kann’s gehen…

Nett, dass die Übertitel, nahezu alle Widersprüchlichkeiten zum Text aufdecken. Doch halt, dann ist  ja von Otellos Degen die Rede. Der hat aber keinen und das wird dann im Übertitel unterschlagen.

Und dann kam der große Moment, ach was, die spektakulärste Pointe des Abends! Otello singt „ich habe noch eine Waffe“ und…?

Und dann greift er sich von seinem Double zwei Hände voll schwarze Schuhcreme, schmiert sie sich ins Gesicht und stirbt augenblicklich!

Drum merket auf: Schuhcreme im Gesicht, überlebt der stärkste Helde nicht!

Und….und……endlose Widersinnigkeiten!

Dieser szenische Tiefpunkt an der Oper Frankfurt schmerzt vor allem bei diesem Stück. Denn beide Vorgänger-Inszenierungen in Frankfurt, Virginio Puecher und Großmeister Rudolf Noelte, boten in ihren packenden, völlig überzeugenden Lesarten schlüssige, sinngebende und vor allem handwerklich hervorragende Inszenierungen.


Robert Saccá, Olesya Golovneva. Copyright: Oper Frankfurt/ Barbara Aumüller

Anstelle von Dinara Alieva war als Desdemona Oleysea Golovneva, wie bereits in der letzten Spielzeit auch in Wiesbaden, zu hören. In dieser Partie hat sie sich nicht weiter entwickelt. Tonal wird die Partie von ihr bewältigt, bleibt ihr aber dabei die dynamische Bandbreite völlig schuldig. Viel mehr suchte sie meist Zuflucht zu lauten und sehr lauten Tönen. Piano- oder gar Pianissimo-Färbungen waren viel zu selten zu erleben. Zudem wurde der Text, vor allem in ihrer großen Soloszene im vierten Akt sehr undeutlich artikuliert. Somit daher eine unterkühlte, stählerne, zuweilen auch resolute Desdemona, die letztlich unfreiwillig gut die kalte, hässliche Szenerie ergänzte.

Im Mittelpunkt des Interesses stand Roberto Sacca als Otello. Auch wenn dieser in den letzten Jahren öfters mit heldischen Partien, wie Kaiser, Bacchus oder Lohengrin zu hören war, so war in diesen Rollen, wie nun auch beim Otello eines unüberhörbar: Sacca ist nach wie vor ein lyrischer Tenor! Sicher, seine Stimme ist gewachsten, aber er ist kein Heldentenor. Vom Timbre und der stimmlichen Expansion steht ihm der Cassio immer noch näher als der Otello. Auch er bewältigte stimmtechnisch fast alle Töne. Aber er war zu keinem Zeitpunkt das szenisch und vor allem stimm-dominante Zentrum, wie es gerade diese Partie erfordert. Stimmliche Bravour, schneidende, schallstarke Attacke stehen nicht in Saccas Möglichkeiten. Und gerade diese Voraussetzungen sind m. E. zwingend notwendig, sonst fehlt dem Werk das stimmliche Zentrum. Dies war auch so ähnlich zu erleben bei Jonas Kaufmanns Rollendebüt in der gleichen Partie. Auch hier dominierte der Eindruck einer eher auf Sicherheit bedachten, soliden Bewältigung. Der direkte Vergleich mit dem alternierenden bravourösen Gregory Kunde zeigte eklatant die Unterschiede auf.

Überzeugend gelang Sacca vor allem das Liebesduett im ersten Akt. Der zweite Akt brachte ihn, wie viele andere Interpreten auch, mehrmals an stimmliche Grenzen („Ora per sempre addio“). Sehr viel gelöster dann agierte er im zweiten Teil. Vor allem der Monolog „Dio mi potevi“ geriet berührender. Es wurde aber auch deutlich, dass Sacca die Extreme völlig meidet. Alles blieb bei ihm kontrolliert und zumeist wohltönend. Sein Otello wirkte niemals gefährdet oder zunehmend verrückt. Kleinere Schmisse zeigten auch, dass Sacca seine Partie noch nicht vollends verinnerlicht hat.

Erstmals in Frankfurt zu erleben war Evez Abdulla als Jago. Eine eher helle Baritonstimme, sicher in der stimmlichen Bewältigung und mit großer gestalterischer Raffinesse. Gestalterisch war er das Zentrum des Abends. Irritierend hingegen oft seine kehlige Tongebung, die eine größere Tonexpansion verhinderte, weil dem Stimmklang die Verbindung zum Körper fehlte und dazu die Stimme immer wieder grell aufhellte. Gut waren die Leistungen in den Nebenrollen. Katharina Magiera war eine sicher gesungene, freilich durch die Regie sabotierte Emilia, Arthur Espiritu ein hellstimmiger Cassio und Kihwan Sim ein nobel tönender Lodovico.

Auf der Habenseite zeigte sich der souverän agierende Chor in der Einstudierung von Tilmann Michael.

Von kleineren Schmissen am Beginn abgesehen, sehr gut das Orchesterspiel des Frankfurter Museumsorchesters, vor allem in den Holzbläsern mit famos tönendem Englischhorn und sehr gut aufgelegten Blechbläsern. Solo-Cello und Celli-Gruppe verwöhnten im Liebesduett mit edler Klangschönheit.

Gast-Dirigent Henrik Nánási irritierte am Beginn Orchester und Chor durch seine ungenaue, fahrige Körpersprache. Da war das Zusammenspiel immer wieder gefährdet. Er konzentrierte sich bei seinem Dirigat auf die großen Klangausbrüche, dabei immer vorwärts drängend, somit waren Ruhepunkte eher selten zu erleben.

Langer Beifall im recht schütter besuchtem Opernhaus.

Dirk Schauß

 

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