Frankfurt / Opernhaus: „ELEKTRA“. Premiere 19. März 2023
Aile Asszonyi und Ensemble. Foto: Monika Rittershaus
Mein Leporello verzeichnete die vierte „Elektra“ – Produktion von Richard Strauss am Opernhaus Frankfurt. Szenisch vortreffliche aber auch skurrile Deutungen gingen hier über die Bühne. Nun erlebte ich heute eine Neu-Inszenierung welche mir zwiespältige Eindrücke bescherte, doch davon später, denn das Wichtigste zuerst „die musikalischen Komponente“.
Sebastian Weigle leitete zum zweitletzten Male das Frankfurter Opern- und Museumorchester in seiner langjährigen Amtszeit als GMD. Der versierte und renommierte Dirigent scheute jegliche Disharmonie oder eruptive Klanggewalten, bevorzugte mehr die maßvolle Lesart, gestaltete mit dem traumhaft musizierenden Instrumentarium den wundervollen Nuancenreichtum der Strauss´chen Partitur quasi authentisch. Weigle beleuchtete musikalisch mehr die lyrische Note der Charaktere, offenbarte Orchesterklänge von nie zuvor vernommener Schönheit und überwältigender Intensität. Gewiss gerieten manche Phrasierungen elementar breit und leise, doch schien sich Sebastian Weigle zuweilen an den Anmerkungen des Komponisten zu orientieren: Dirigiere Salome und Elektra wie Mendelssohns Elfenmusik, jedoch forderte dieser Musizierstil auch seinen Tribut, geriet so an die Grenzen zum Spannungslosen. Selbst nach hundertfachen erlebten Elektra-Aufführungen gewann ich persönlich neue positive, akustisch höchst interessante Eindrücke und genoss! Bravo Maestro!
Letzten Oktober durfte ich Aile Asszonyi in der grandiosen Giancarlo del Monanco-Inszenierung in Erfurt als meine 46. Elektra-Interpretin erleben, nun gab die Sopranistin ihr Frankfurter Hausdebüt. Geprägt der musikalisch-lyrischen Explanation der heutigen Premiere verlieh die estnische Künstlerin der rachesüchtigen Atridentochter mehr metaphysische Attribute nicht nur in verhalten intimer Gestaltung, sondern schenkte auch ihrer Vokalise irrationale Tendenzen. Mit Vehemenz steigerte sich Asszonyi in die anspruchsvolle Partie, schön klang die tragfähige Mittellage welche an Kraft und dramatischem Ausdruck keinen Wunsch offen ließ, die Höhen hingegen klangen zuweilen weniger explosiv, doch entschädigte die kluge Sängerin mit herrlichen Piani und beseelten Passagen.
Als konträren Gegenpol bot Jennifer Holloway jugendliche Sopranfrische, schön timbriert mit wenig Volumen schenkte sie Ihrer Chysothemis feine stimmliche Nuancen und von der Regie auferlegt groteske Züge.
Aile Asszonyi und Peter Marsh (Aeghist). Foto: Monika Rittershaus
Weniger profilierte sich hingegen Susan Bullock als Klytämnestra. Eine vornehme alte Dame mit Gehstock, in kleidsamer violetter Samtrobe gab sich die Ehre mit blasser, farbloser Sopranstimme.
Optisch elegant in weißen Blusen und grauen Röcken (sie waren wohl von edlerem Geblüt?) formierten sich besonders schönstimmig die Mägde Katharina Magiera, Helene Feldbauer, Bianca Andrew, Barbara Zechmeister, Monika Buczkowska, das „Gewürm“ Suzanna Camelia Peteu, Michaela Gisela Schaudel sowie die Aufseherin Nombulelo Yende.
Markante Züge mit klangvollem Bariton vernahm man von Simon Bailey, jugendlich mit hell strahlendem Tenor präsentierte Peter Marsh den Aegysth. Als Pfleger und Diener fungierten Franz Mayer, Jonathan Abernethy, Seungwon Choi.
Mit großer Begeisterung wurde das gesamte Ensemble gefeiert, insbesondere Asszonyi und GMD Weigle.
Nun muss ich gestehen, während der Vielzahl meiner besuchten Elektra-Inszenierungen habe ich jede Menge regielicher Untaten über mich ergehen lassen und heute wiederum so ein Panoptikum erlebt. Entgegen seinen geistreichen Anmerkungen im Programmheft entschied sich Claus Guth für eine sehr seltsame Auslegungs-Variante des antiken Dramas. Überflüssig, deplatziert, Müh´ ohne Zweck die vielzählige störende Statisterie. Keineswegs wollte sich die absurde Szene meinem alten Geist erschließen, spielte die Handlung heuer in einer Psychiatrie, einer Alten-Residenz mit Lesekreis oder gar in beiden Institutionen? Ebenso stellte ich mir ernstlich die Frage: hatte der Regisseur die Textur gelesen? Wenn ja, weshalb entschied er sich dagegen? Geht es wie so oft beim zeitgenössischen Musiktheater nur noch um Provokationen? Die Bühnenausstattung (Kathrin Lea Tag) installierte variable Lamellenwände von Joachim Klein vorzüglich beleuchtet, Ledergarnituren incl. dem unvermeidlichen Stuhlgang, die eleganten Kostüme kreiierte Theresa Wilson (Elektra in schlichtem schwarzen Gewand mit blonder Lockenpracht) schufen die ästhetische optische Atmosphäre. Das Premieren-Publikum im ausverkauften Opernhaus nahm die befremdliche Szene gleichgültig hin, kein Pro oder Contra, mäßig abflauender Applaus. Die Vorfreude, meine Strauss-Favoritin in unmittelbarer Nähe öfters zu erleben, erfuhr bar der skurrilen Szenerie einen negativen Touch und ich verwende kostbare Lebensstunden für sinnvollere Events.
Gerhard Hoffmann