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FRANKFURT: OBERTO, CONTE DI SAN BONIFACIO – konzertant

19.02.2016 | Oper

FRANKFURT: OBERTO, CONTE DI SAN BONIFACIO – konzertant am 18.2. (Werner Häußner)

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Karen Vuong (Imelda), Claudia Mahnke (Cuniza), Sergio Escobar (Riccardo), Maria Agresta (Leonora), Kihwan Sim (Oberto) und Jader Bignamini (Musikalischer Leiter) sowie im Hintergrund das Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Foto: Wolfgang Runkel

Flankierend zur gewichtigen Inszenierung von Giuseppe Verdis „Stiffelio“ widmet sich die Frankfurter Oper in zwei konzertanten Aufführungen dem 1839 an der Scala uraufgeführten Erstling des Meisters aus Sant’Agata. „Oberto, Conte di San Bonifacio“ war damals durchaus ein Erfolg, schaffte es aber nicht, über die Alpen vorzudringen. Das gelang Verdi erst mit seinem „Nabucco“. Erst 1999 erlebte die Oper in Passau ihre deutsche Erstaufführung, steht aber seither nur gelegentlich irgendwo auf einem Spielplan.

Die Mühe ist es wert, sich Verdis Einstand in der Welt der Oper mit erstrangigen Kräften und optimaler musikalischer Sorgfalt zu widmen. Denn der damals 26-Jährige verschafft sich als fertiger Komponist Zugang zu unseren Ohren. Sicher: Verdi erreicht noch nicht die psychologische Tiefe der Charakterstudien von „I Masnadieri“, noch nicht die Ensemblekunst späterer Finali. Aber der dramatische Instinkt, mit dem er das Libretto des Gelegenheitsdichters Antonio Piazza – eine vorlagenlos erfundene Ritterstory aus der Zeit Ezzelino da Romanos – vertont, packt treffsicher zu. Ohne die wehmütigen Subtilitäten Donizettis, ohne die passionierten Melodielinien Bellinis, ohne die versierte, auch erfindungsreiche Routine eines Mercadante zieht Verdis Musik dennoch in ihren Bann: Der Rhythmus ist schlagkräftig ausgebildet, die Melodien langweilen nicht, und in Chören und Ensembles blitzt auf, was Verdi später, etwa in „La Traviata“, veredelt durch schmeichelnde Ohrwurm-Melodien, perfektioniert hat.

Wer den „Oberto“ nicht aus der Perspektive des „Otello“, sondern vor dem Panorama der italienischen Oper der 1840er Jahre liest, wird verstehen, warum das verwöhnte Mailänder Publikum damals dem Provinzler aus Busseto zugejubelt hat. Keine Geringere als Verdis spätere Frau, die Sängerin Giuseppina Strepponi, soll auf Impresario Bartolomeo Merelli eingewirkt haben, das Werk aufzuführen, wie Verdi-Spezialist Anselm Gerhard im Programmheft mitteilt.

In Frankfurt erfährt Verdis Partitur dank des jungen Italieners Jader Bignamini am Pult des zu großem Engagement aufgelegten Orchesters eine erstklassige Behandlung. Endlich wieder einmal ein Verdi-Dirigent, der weiß, wie’s geht, möchte man ihm nachsagen. Bignamini verhetzt kein Tempo, sperrt kein Metrum in den Käfig trockener Exaktheit, spannt melodische Bögen herrlich weit auf, hält den Rhythmus weit entfernt von der kruden Leierkasten-Eintönigkeit, mit der angeblich Verdis „hm-ta-ta“ dem wälschen Primitivismus huldigt.

Wie die Cellisten des Frankfurter Orchesters ihre Pizzicati zupfen, wie die Streicher ihre „eintönigen“ Begleitfiguren modellieren, wie die Bläser ihre Akzente setzen oder ihre Tongirlanden um Melodien winden, hat Vorbildcharakter. Verdi, erlöst aus despektierlicher Routine; das Einfache in seiner Musik zu duftiger Schönheit stilisiert. Die Hoffnung besteht, dass mit Bignamini – so wie mit Enrico Calesso in Würzburg oder dem inzwischen längst international tätigen Pablo Heras-Casado – eine junge Generation von Dirigenten heranwächst, die sich das Gespür für Verdis Musik wiedererworben haben.

Frankfurt hat keinen Aufwand gescheut, um die fünf Solopartien optimal zu besetzen. Ihr Debüt am Haus gab Maria Agresta – Odabella in Parma, Spontinis Vestalin in Dresden, Desdemona in Zürich, Norma in Paris und Mimí in Wien und an der Metropolitan Opera. Ein italienischer Sopran, wie man ihn heute selten hört, unangestrengt strömend, mit einem kontrollierten, den Ton bereichernden Vibrato, einem hinreißenden Piano und einer flexiblen, am Ausdruck orientierten Dynamik. Ihr zur Seite als ihre unglückliche, großherzige Konkurrentin um die Hand von Riccardo, Conte di Salinguerra zeigt das langjährige Frankfurter Ensemblemitglied Claudia Mahnke, dass ihr trotz der Bayreuther Heldinnenrollen und trotz eines ausgeprägten Vibratos nach wie vor gepflegte Piani und lyrische Intensität gelingen. Karen Vuong – im Juni die Micaela in der neuen Frankfurter „Carmen“ – zeigt als Imelda einen leichten, gut fokussierten, brillanten Ton.

Der alte Graf Oberto ist sozusagen das Urbild aller Verdi-Väterrollen: Er ist einer der halsstarrigen, dem Glück ihrer Kinder entsetzlich im Wege stehenden Figuren, hätte alle Wege zu Friede und Versöhnung offen, opfert sie aber seinem brachialen Ehrbegriff. Kihwan Sim, 2012 aus dem Frankfurter Opernstudio hervorgegangen, gibt dieser verstörenden Figur mit seinem schön geführten Bassbariton nobel-entrückte Züge und hält ihn von veristischer Brutalität zurück.

Mit den Tenören Glück zu haben, ist bei Verdi schwierig. Sergio Escobar bemüht der sich spürbar um einen differenzierten Vortrag, versingt sich aber in seiner ersten Cabaletta unglücklich und rettet sich in der Höhe mit bloßer Kraft. Auch wenn ihm im zweiten Akt der Zugriff auf Mezzoforte- und Piano-Regionen eher gelingen sollte – ein Tenor mit Schmelz und einer entspannt-noblen Phrasierung ist er nicht. Tilman Michaels Chor kommentiert die Handlung mit lyrischen Erwägungen; die Sängerinnen und Sänger fassen Licht und Schatten, Hoffnung und Unheil in klangliches Ebenmaß. Eine lohnende Begegnung!

Werner Häußner

 

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