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FRANKFURT: LES VÊSPRES SICILIENNES – Mord auf den Barrikaden oder „Die Revolution frisst ihre Kinder“

24.06.2013 | KRITIKEN, Oper

Frankfurt Oper Premiere 16.6.2013 und Vorstellung 22.6.2013: DIE SIZILIANISCHE VESPER (LES VÊSPRES SICILIENNES)
Giuseppe Verdi 1813 – 1901

 Mord auf den Barrikaden oder „Die Revolution frisst ihre Kinder!


Foto: Oper Frankfurt

 Endlich ist er dran: der große Musikdramatiker Giuseppe Verdi! Nach dem weltweiten Hipe um den Meister des „Grünen Hügels“ am 22. Mai -Richard Wagners 200. Geburtstag-, laufen sich die Operhäuser und Festivals für das immense Werk Giuseppe Verdis warm.

An der Oper Frankfurt gibt es zum Finale dieser Saison zusätzlich, zum ohnehin interessanten Spielplan, regelrechte „Verdifesttage“ mit namhaften Verdispezialisten, Filmen, Vorträgen und einer Ausstellung sämtlicher Verdi-Produktionen an der Frankfurter Oper.

 Als Frankfurter Erstaufführung wurde „Les Vêpres Siciliennes“, Verdis fünfaktige Grand opéra mit französischem Text von Eugène Scribe und Charles Duveyrier nach dem Libretto „Le Duc d’Albe” auf die Bühne gestemmt. Dass dieses selten gespielte Revolutionsdrama musikalisch Außergewöhnliches darstellt, war nach den ersten Takten klar. Zwar fehlt das in Paris, in der Grande Opera übliche Ballet, aber sei’s drum.

 „Es sei ein derbes, brutales Werk, aber von großer Kraft und Plastizität“ ließ Busoni verlauten, nachdem er den „Ballo in maschera“ gehört hatte. Bei der „Sizilianischen Vesper” ist es ebenso. Der schwarze Charakter des Melodrammas sitzt in jeder Ritze der Partitur, Kanonendonner, aufgeraute Streicherklänge, Cellosounds, die diesmal keine Liebesszenerie beschwören und satte Choreinlagen mit durchschlagender Verve.

Dunkel machtvoll sind sie schon die Glocken und Kanonengesänge, sie bilden den Humus, pochen als Herzschlag durch diesen Krimi, der von Verschwörung, Verrat und Bekenntnis zur großen Utopie, die der Freiheit erzählt. Verdi galt als die musikalische Galionsfigur des Risorgimentos. Sprachlich war Italien noch lange bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht vereint musikalisch aber schon, Dank Verdi.

 Sein musikdramatischer Schauerkrimi über die blutige Niederstreckung der Sizilien besetzenden Franzosen durch die Sizilianer selbst ist historisch verbürgt. 1282 geriet die Welt in Palermo aus den Fugen als sich die Inselbewohner des südlichen Stiefels, lange gedemütigt, degradiert und zu tiefst Hassbeladen gegen ihre französischen Peiniger erhoben.

 In Verdis „Sizilianischer Vesper“ werden aus Hochzeitglocken Signale zum losschlagen.

Und, um zur Inszenierung zu kommen, in der Deutung von Regisseur Jens Daniel Herzog werden die Liebenden, die Herzogin Hélène und ihr aufständischer Patriot Henri durch Genickschuss liquidiert. Am Hochzeitstag versteht sich.

Hélène, die zu Beginn des Dramas ihren von den Franzosen ermordeten Bruder rächen will und Henri, der sich vom herkunftslosen, unsicheren Fighter zum charakterstarken illegitimen Sohn des Tyrannen Montfort wandelt, haben keinerlei gemeinsame Zukunft.

Die einstigen Barrikadenkämpfer sind durch private Verflechtungen unnütz, untragbar geworden. Das System, die einstigen Verbündeten schlagen blutig zu.

 Sicher könnte die Story über einen verlorenen Sohn, über eine, wenn auch nicht zentrale Romanze ins historische Italien um 1855 verfrachten werden.

Wer erinnert sich nicht gerne an die preisgekrönte Verfilmung des Romans „Der Leopard“, dessen Inhalt die Umbrüche in Italien von 1860 bildgewaltig schildert und dessen Filmmusik von Nino Rota ganz bewusst Musik von Verdis „Vesper” anklingen lässt.

 Auch die Rückkehr eines Vaterlandsliebenden Revoluzzers, die des Arztes Procida, ließe sich gut ins Gewaltgeladenen Ambiente der französischen Revolution packen.
Denn damals wurden auch aus verbissenen Revolutionären wahrhafte Bestien, blinde Gewalttäter. Revolutionärer Geist kann zur Zündschnur von Gewalt, Parolen zu Schlachtrufen, Ideen zu Keimzellen des Terrors mutieren. Folglich machen diese sich ihr eigenes Gesetz.

Dass Jens Daniel Herzog Verdis Revolutionsdrama in unsere 68er Zeit legt, zeigt eine Ansatzmöglichkeit Entwicklungen des Terrors zu verstehen, der in der „Sizilianischen Vesper“ in tönende „Kraftwerke der Gefühle“ gepackt ist. Nach genauerem Hinschauen wird vergessen, dass Hélène, Ulrike Meinhof und Henri, Andreas Baader ähnlich sehen. Das Ambiente, die Deco sind die Sechziger, Siebziger mit Hippie Bewegung, Flower Power Partys und Joint Raucherei. Bühnenbild und Kostüme Mathis Neidhardt. Sah es denn in Paris, London oder Woodstock anders aus in jener Zeit? Würde diese Inszenierung in Paris oder Madrid aufgeführt, wer weiß? Unser deutsches Geschichtsverständnis, unsere Erinnerung, unser kollektives Gedächtnis richtet sein Augenmerk zu sehr auf die Regie.

Das hält oft vom eigentlich Wahren ab: von der Musik.

 Denn es wird herrlich gespielt! Laut zwar, manchmal zu halsbrecherisch in der Tongebung und des Öfteren nicht flüssig genug um gezielt auf musikdramatische Kulminationen zuzusteuern. Aber allem in allem ist aus dem Graben der Sound zum blutigen Sizilien-Krimi, mafiöse Struktur inklusive zu hören. Geboten wird eine echte Live Performance in der es um Leben und Tod geht. Klangsteuerer Pablo Heras-Casado könnte ab und an noch mehr in Differenzierungs- und Rhythmus-Arbeit investieren um im Museumsorchester musikalisch einen noch spannenderen Thriller zu bekommen. Das wird sicherlich folgen.

 Gesungen wird auf dem bekannt hohen Niveau des „International Opera Award“ ausgezeichneten Hauses: Quinn Kelsey besticht als brutaler Gouverneur mit vokal ausladend großem Gestus. In schönem tenoralem Timbre prononciert Alfred Kim seinen Part als wankelmütiger Sohn Henri.

Elza van den Heever, Hélène entwickelte eine glaubwürdig, zwischen Passion für die Revolution und zarten romantischem Flair hin und her gerissene Personenzeichnung. Voll und satt in der Tongebung singt Raymond Aceto den heimkehrenden, Vaterland liebenden Verschwörer Procida.

 Prachtvoll, das übrige, spielfreudig Akzente setzende Ensemble: Bálint Szabó Jonathan Beyer, Nina Tarandek, Hans-Jürgen Lazar, Michael McCown, Simon Bode und Iurii Samoilov. Vor allem aber überzeugte der szenisch und musikalisch großflächig eingesetzte Chor der Oper Frankfurt.

 Zweimal lang anhaltender Jubel: bei der Premiere sowie am darauf folgenden Wochenende.

 Barbara Röder

 

 

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