FRANKFURT / Alte Oper: „LONDON SYMPHONY ORCHESTRA – SIR SIMON RATTLE“ – 22.02.2019
Während seiner 2019-Tournee gab das London Symphony Orchestra unter der Leitung von Sir Simon Rattle ein erneutes Gastspiel in der Alten Oper in dessen saisonalem Schwerpunkt-Fokus ohnedies Sir Simon steht. Es ist ja eine altbekannte Manie des charismatischen Dirigenten vor einer „Mammut-Symphonie“ zeitgenössische bzw. Werke des 20. Jahrhunderts zu platzieren. Nach eigenen Worten des Ausnahme-Künstlers: „Ich halte es für wichtig, dass wir die Komfort-Zone regelmäßig verlassen“. Somit eröffnete Sir Simon Rattle mit „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ (Bela Bartók) sein heutiges Konzertprogramm.
Das im Jahre 1937 komponierte Konzertstück vermeidet sogar in seinem Titel eine Gattungsbezeichnung. Offenbar hatte sich Bartók nunmehr auch mit Schönberg stärker auseinandergesetzt und dessen Einflüsse scheinen in seiner Eigensprache unverkennbar eingebettet. Merkwürdige Klangfarben welche Bartók an diversen Stellen seinem Werk aufsetzte, verraten eine Sinnenhaftigkeit welche dem Kollegen fremd erschien. Das Konzert des ungarischen Komponisten scheint erfüllt von spürbarer Mystik in welchem er inneres Erleben zu Klang werden ließ und in dessen letztem Abschnitt des viersätzigen Stückes das ungarische Element geradezu rauschhaft in den Vordergrund rückte.
In Souveränität präsentierte Sir Simon Rattle mit dem hervorragend disponierten London Symphony Orchestra die verschobenen Rhythmen in brillanten instrumentalen Klangfärbungen. Vortrefflich erschienen die thematischen Gedanken im eindrucksvollen Dialog mit den Solo-Instrumenten und ergaben ein virtuos interpretiertes Ganzes. Von den Streichern des LSO traumhaft transparent gewebt steigerten sich die exzellenten Musiker zur facettenreichen spannungsreichen Wiedergabe.
Nach der Pause erklang sodann das Hauptwerk die „Sechste Symphonie“ von Anton Bruckner. Als der Komponist das Werk im Jahre 1881 vollendete war er bereits 13 Jahre in Wien ansässig und dennoch wurden von den Wiener Philharmonikern erst 1883 nur die beiden Mittelsätze aufgeführt. Entgegen der vielen Korrekturen welche Bruckner an den meisten seiner Symphonien vornahm, blieb die Sechste verschont, es gibt also nur die eine authentische Version welche sich genau am Manuskript des Komponisten orientiert. Zudem wurde sie von Bruckner in eigenwilliger Orchestrierung angelegt und von ihm gar selbst als „Keckste“ bezeichnet.
Zum einleitenden Maestoso begann Sir Simon Rattle mit dem hervorragend disponierten London S.O. in einer stillen Ostinato-Figur in hoher Violinenlage aus welcher sich das Hauptthema langsam aber kräftig aus den Celli und Kontrabässen erhob. Prägnant formte der Dirigent den Klangkörper in der für Bruckner typischen Kombination in die Tuttiüberschwänge und leitete zum Satzfinale das niederstürzende Unisono-Motiv zu neuen Steigerungen, ließ es in Exposition ruhig ausklingen.
Im Adagio beschwor Sir Simon mit der klagenden Oboe, den tiefen dunklen Streicher-Kantilenen die weitschwingend-empfindungsvolle hymnische Trauerstimmung, hob zugleich unverkennbar die qualitative Spielkultur des London S.O. hervor. Im melodischen Bogen des sphärisch anmutenden Satzes, im ungemein modulationsreichen Musizieren des exzellenten Klangkörpers wähnte man sich dem Himmel nahe. Herrlich wurden die Themensätze als Steigerungselement effektvoll variiert und beschlossen klar formell konzentriert den Satz auf geradezu verklärte Weise.
Entgegen der sonstigen Scherzosätze mit den größtenteils energischen Tonstufen, klingt das in der Sechsten anders als alles, was der Tonschöpfer davor komponierte. In phantastischer Stimmung zog eine Mixtur diverser Elemente an uns vorüber in klaren Differenzierungen von Streichern, Holz- und Blechbläsern. Sehr melodisch erklangen die Pizzicati des langsamen Trios zum Dialog der Hornrufe und den phrasierten Holzbläsern. Traumhaft variiert erklangen die wunderbaren Takte mild und leise aus dem „Tristan“ und unterstrichen definitiv Bruckners große Wagner-Verehrung.
Tonale energische Kontraste, Fanfarenrufe der Hörner und Trompeten, in Amplitude verschleierte Melodien in Turnus-Kombinationen prägten das Finale individuell. Brillant vermittelte Sir Simon Rattle Instrumental-Dimensionen ohne Schärfen, türmte die gewaltigen Wogen der prächtig aufspielenden Musiker im An- und Abklingen zum exzellenten Klangdom und bot auf bezwingende Weise ein hörenswertes architektonisches Resümee exemplarischer Interpretation.
Das Publikum feierte Sir Simon und die englischen Gäste in einem wahren Begeisterungstaumel.
Gerhard Hoffmann