Essen: „TRISTAN UND ISOLDE“ – 10.11.2013
Vorbemerkung: Der „leise“ „TRISTAN“
Gerade, als ich in Essen für die „Tristan“-Aufführung eingetroffen war, erhielt ich den Detmold-Bericht vom 1.11. (Anm.d.Redaktion: den finden Sie etwas weiter unten in unserer Startseite, zumal die Aufführung am 1.11.stattfand) und freute mich über die Meldung, wie eindrucksvoll Wagner an einer „Provinz“-Bühneganz ohne dröhnenden Pomp sein kann. Ich hatte ja in Detmold auch schon mehrfach Wagner-Produktionen dieses Kalibers erlebt. Nach meiner Heimkehr las ich in einer Mail die folgenden Äußerungen des Nürnberger GMD Marcus Posch (dessen großartige „Tristan“-Wiedergabe in Nürnberg ich vor einem Jahr bewundert hatte): „Ein wichtiges Anliegen ist es mir, Wagners Musik aus dem Geiste Mendelssohnsheraus zu dirigieren. Wenn man allein das Vorspiel zu „Rheingold“ hört und „Die schöneMelusine“ im Ohr hat, dann weiß man, an welchen Ideen Wagner sich erfolgreichbedient hat. Das ‚falsch Pompöse‘ an Wagner liegt mir fern. Insofern ist die Suche nachTransparenz für mich wesentlich.“
Dort wie da scheint also innere Stimmigkeit und Wortverständlichkeit oberstes Gebot, ohne dass dadurch das „Tristan-Mysterium zu kurz käme.Sollte damit eine neue Wagner-Ära angebrochen sein?
Auch in Essen…
Zusammen mit vielen anderen angereisten Opernfreunden hörte ich am Aalto Theater Wagners opusimmensum in ebenfalls völlig neuer musikalischer Interpretation. Die nun wiederaufgenommene Inszenierung von Barrie Kosky hatte ich bereits 2007 (ein Jahr nach ihrer Premiere) mit denselben Titelrollensängern, damals sehr leidenschaftlich dirigiert von Stefan Soltesz, kennen gelernt. Nach dem Ausscheiden des langjährigen GMD wurde nun Peter Schneider für drei Reprisen eingeladen. Eine simple Wiederholung seiner Wiener, Hamburger oder Bayreuther „Tristan“-Interpretationen, wo die (wohlbeherrschte) orchestrale Wucht (neben allen Subtilitäten) schon gelegentlich auch recht beeindruckend war, fand jedoch nicht statt. Die Essener Vorstellungerreichte nicht einmal den halben Lautstärke-Pegel, den wir etwa unter Wiens GMD zuletzt verzeichnen konnten. Und das lag nicht etwa am tiefer liegenden Orchestergraben, sondern an der Dirigierweise des Maestro. Hauptgebot war offensichtlich: Wort und Ton zu gleichem Recht kommen zu lassen, die seelischen Regungen der handelnden Personen in den Vordergrund zu stellen und dabei Wagners Ton- und Gedankenflut allezeit in pulsierender Bewegung zu halten. Keine Rede von orchestraler Dominanz, trotz „normaler“ Orchesterbesetzung, wohl aber eine ganzheitliche Vermittlung der Aussage dieser Musik, bestehend aus Instrumental- und Vokalbeitrag.
Wir haben natürlich in vielen Aufführungen den Text des Liebesduetts,den von Markes Monolog oder den Beginn des 3. Akts deutlich vernommen, aber „wann ward es erlebt“, dass man von Brangäneim 1. Akt jedes Wort verstand? „Heut hast du’s erlebt!“ konstatierten wir nach der Aufführung. Und trotzdem ging nichts an Intensität und Klangschönheit verloren, schon deshalb, weil niemand zu forcieren brauchte, um gehört zu werden. Dahinter steckt natürlich ein immenses Können von Seiten des Dirigenten und der gute Wille der Essener Philharmoniker, sich davon inspirieren zu lassen.Vielleicht wollte Schneider aber auch auf Koskys Inszenierung eingehen, die das Liebespaar sowohl im 1. wie im 2. Akt, zusammen mit den anderen Personen, in einen engen Raum zwängt, aus dem für die beiden kein Entkommen ist. In der Liebesnacht dreht sich das kleine Zimmer, wo sie abwechselnd stehen, knien oder aneinander geschmiegt liegen, im Kreise. Auch im 3. Akt, wo Tristans Wundevon Kurwenal sehr realistisch gepflegt wird, ruht der Heldenur im Lehnstuhl oder steht daneben.Dass der Tote zu Beginn von Isoldes „Liebestod“ einfach aufsteht und abgeht, ebenso wie sie zum orchestralen Ausklang, muss nicht unbedingt goutiert werden, bietet aber zumindest ein Gegengewicht zum vorangegangenen szenischen Realismus, sodass der Dirigent, passend zur Szene, endlich „loslassen“ und nach dem stundenlangen unerfüllten Sehnen, Aufbegehren und Leiden der Liebenden als Erlösung von der schmerzlichen Tristan-Chromatik zuletzt ein wunderbar crescendiertes, hymnisches H-Dur-Finale aufbauen kann, das jene Transzendenz suggeriert, die Wagner nun einmal komponiert hat.
Mehr als beachtlich auch die Sängerbesetzung. Bei Evelyn Herlitzius hat man sich daran gewöhnt, dass sie keine Balsamstimme besitzt. Ihr furioser Einsatz in allen Belangen, körperlich, mimisch, in der sprachlichen und vokalen Gestaltung der Rolle (und aller anderen!) hat oftmals die Befürchtung aufkommen lassen, ihre Karriere werde kurz sein. Aber ihr Gestaltungswille und ihre latente Kraft sind offenbar größer als geglaubt. Diese Isolde glüht innerlich, kämpft wie eine Tigerin um ihr Glück und gibt sich dem gemeinsamen, verklärten Nachterlebnis dann mit derselben Totalität hin. Vergleichsweise zurückhaltend, nicht nur im 1. Akt, spielt Jeffrey Dowd seine Rolle, singt den Tristan jedoch hervorragend, mit immer schönem, rundem Ton, durchgehend im Legato, bis hinein in die Wahnsinnsausbrüche des 3. Aktes. Einziges Manko: sein Gesichtsausdruck kennt keine Varianten – immer gleich gram- und schmerzvoll. Möglich auch, dass er unter weniger rücksichtsvollen Dirigenten an großen Häusern Durchsetzungsschwierigkeiten hätte. Aber einen Künstler im Hausensemble zu haben, der das gesamte schwere Fach so souverän bewältigt, ist schon ein Privileg für ein Theater.
Allererste Klasse waren auch Brangäne und Kurwenal. Die Schwedin Martina Dike (in Bayreuth eine der Walküren, andernorts im gesamten deutschen Mezzofach zu hören) bringt einen leuchtenden Mezzo zum Einsatz, der in allen Lagen bis in die strapaziösen Höhen mit wunderbarer Selbstverständlichkeit funktioniert und durch eine fabelhafte Wort-Ton-Gestaltung begeistert. Sie ist für Isolde eine ebenbürtige Partnerin, deren Argumente nicht zu ignorieren sind. Ich bin überzeugt, dass diese Sängerin ebenso wie der prächtige KurwenalHeiko Trinsinger an jeder Weltbühne reussieren könnte. Auch er fesselt mit seinem kernigen, flexiblen, ausdrucksstarken Bariton und lebhaftem Spiel. Ebenfalls sehr präsent der schönstimmige, sein trauriges und humanes Anliegen gut artikulierende König Marke von Ante Jerkunica. Mateusz Kabala als Melot, Albrecht Kludszuweitals Hirte, Rainer Maria Röhr als Seemann und Thomas Sehrbock als Steuermann boten treffliche Ensemble-Beiträge. Der über Verstärker von außen singende Herrenchor kann hinsichtlich Klangqualität nicht wirklich beurteilt werden.
Dass Wagners Botschaft angekommen ist, bewiesen die Schweigeminuten nach dem letzten Takt. Immerhin gab es mehrere Verbeugungsdurchgänge für alle Solisten, unter denen natürlich die leidenschaftliche Isolde den größten Beifall einheimste, und nachdem Peter Schneider bereits vor dem 2. Akt mit etlichen Bravo-Rufen und vor dem 3. Akt mit sehr vielenbedacht worden war, durfte er sicham Ende über den stärksten Applausanteil freuen.
Sieglinde Pfabigan