24.10.2013 – Macbeth im Aalto-Theater (Premiere am 19.10.2013)
In Essen hat sich Einiges geändert: Von De Nederlandse Opera ist Operndirektor Hein Mulders gekommen und hat die Position des Intendanten übernommen. Vom Nationaltheater Prag ist Tomás Netopil nach Essen gewechselt und als neuer Generalmusikdirektor in Personalunion für das Aalto-Theater und die Essener Philharmoniker aktiv. Das Repertoire für die laufende Saison unterscheidet sich allerdings nicht wesentlich von demjenigen des ausgeschiedenen Intendanten Stefan Soltesz. Das Sängerensemble hingegen ist eine ziemliche Enttäuschung. Es finden sich kaum prominente Namen (Ausnahmen: Evelyn Herlitzius und Marlis Petersen). Es bleibt zu hoffen, daß die eine oder andere neue Produktion positive Akzente setzt und vielleicht auch das eine oder andere Talent im neuen Ensemble zu entdecken ist. Ob das allerdings genügt, um dem Anspruch des unter Soltesz noch zum Musiktheater des Jahres gewählten Aalto-Theaters genügt, muß bezweifelt werden.
Die neue Produktion von Verdis MACBETH bot mehr Schatten als Licht. Um mit den positiven Aspekten zu beginnen, sei der von Chordirektor Alexander Eberle großartig eingestellte Chor des Aalto-Theaters erwähnt. Besonders dieses Werk bietet dem Chor einige sehr gute Möglichkeiten, sich zu profilieren. Als zweiter Aktivposten erwies sich Tomás Netopil, für den es fraglos eine schwere Bürde war, einem Vollblutmusiker wie Soltesz zu folgen. Davon war indes am besprochenen Abend nichts zu spüren. Im Gegenteil: Er leitete mit zündendem rhythmischen Zugriff und sicherem Gespür für die Italianità dieser von melodischem Einfällen überflutenden Partitur. Um die Protagonisten stand es hingegen bei weitem nicht so gut.
Tommi Hakala sang ungefährdet die Titelpartie. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Das wenig schmeichelhafte Timbre ist alles andere als das eines edlen Verdi-Baritons und daher arg gewöhnungsbedürftig. Zudem wird die Linienführung in manchen Lagen von einem leichten Tremolo beeinträchtigt. Der Chinese Liang Li (Banquo) besitzt einen profunden Baß und damit sicherlich auch eine vielversprechede Perspektive. Auch er ist aber vom Timbre her kein klassischer Belcantist. Wenn man sich sein Repertoire und seine vornehmlich in anderen Fächern gelegenen internationalen Verpflichtungen ansieht, steht zu vermuten, daß er das sogar selbst so sieht. Dass sich nach seiner großen Arie keine Hand zum Applaus regte, hatte er aber wahrlich nicht verdient. Am problematischsten erwies sich die Besetzung der Lady mit Gun-Brit Barkmin. Die Stimme ist eigentlich für die Partie zu schmal. Trotz gelegentlich eindrucksvoller Aufschwünge und sicherer Spitzentöne kam es nicht selten zu Schärfen. Mit den führenden Fachvertreterinnen (wie z.B. Anna Smirnova, Liudmyla Monastayrska oder Csilla Boross) ist sie mit ihrer begrenzten vokalen Substanz nicht vergleichbar. Vielmehr hat man den Eindruck, als handle es sich um eine junge Sängerin, die zu früh und zu ehrgeizig aus dem lyrischen ins dramatische Sopranfach gewechselt ist. Wenn man bedenkt, dass sie in Wien als Sieglinde und als Salome angesetzt ist, könnte man um sie Angst bekommen. Aber bis dahin ist es ja noch fast ein halbes Jahr… In den Sekundärpartien komplettiertem Abdellah Lasri (Macduff), Michael Smallwood (Malcolm), Marie-Helene Joél (Kammerfrau) und Tijl Faveyts (Medico).
Die Inszenierung war David Hermann, die Ausstattung Christof Hetzer anvertraut. Ein schlüssiges Regiekonzept war leider nicht zu erkennen. Es reihte sich Szene an Szene, ohne daß für einen Opernbesucher, der das Shakespeare-Drama oder das Libretto nicht kannte, kein Handlungsfaden erkennbar war. Zwei Beispiele: Der Hexenchor in der ersten Szene tritt nicht in Erscheinung. Dafür sieht man eine dunkle Bühne, in der sich ein großes Loch unter einem Baum auftut. Soll das die Weltenesche sein? Die gibt es eigentlich erst weit später bei Richard Wagner. In der Todesszene des Banquo steht dieser mehr oder weniger bewegungslos mittig der Bühne vor einer etwa so großen Leinwand wie ein Fußballtor, auf der Bäume vorüberziehen. Dann wuselt da auch noch ein Kind herum, und der Mörder lacht infernalisch. Das wirkt alles recht albern und berührt niemanden. Hat der Regisseur denn nie gesehen, wie man diese eigentlich so berührende Szene um das knappe Entkommen von Banquos kleinem Sohn inszenieren kann, damit der Funke überspringt? Dass Macbeth während der Bankett-Szene zwei Leichen bemalen und der einen einen Apfel und der anderen ein Zepter in die Hand drücken darf, assoziiert die Reichsinsignien bzw. den Reichsapfel. Aber warum das?
Fazit: Wieder eine Produktion, in der die verworrene Regie mehr schadet als nützt und von der man konstatieren muss, dass eine konzertante oder halbszenische Aufführung dem Werk gerechter geworden wäre. Dementsprechend fiel auch der Pflichtapplaus des Abonnentenpublikums aus.
Klaus Ulrich Groth