TRISTAN UND ISOLDE – Premiere am 9. Dezember 2006 – Wiederaufnahme 10. November 2013
Meisterdirigent mit Welt – Karriere wieder in NRW
Foto: Matthias Jung
Am Aalto-Theater in Essen, seiner langjährigen erfolgreichen Wirkungsstätte, hat Stefan Soltesz alle Gastengagements abgesagt, auch für drei Aufführungen von „Tristan und Isolde“ in der hochgelobten Inszenierung von Barrie Kosky aus Dezember 2006. Da war es für das Theater und die Besucher gleichermassen ein großes Glück, daß Peter Schneider die musikalische Leitung dieser Aufführungen übernahm. Älteren ist er noch von seiner Tätigkeit an der Deutschen Oper am Rhein bekannt, vor allem mit Mozart und Wagner, inzwischen hat er an den meisten grossen Opernhäusern dirigiert und ist Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper. Bayreuth-Besucher erinnern sich unter anderem dankbar, wie sein mitreissendes Dirigat von „Tristan und Isolde“ der spröden Inszenierung von Marthaler musikdramatisches Profil verlieh. Dies wussten grosse Teile des Publikums der ersten dieser Vorstellungen in Essen am vergangenen Sonntag zu schätzen, denn der Begrüßungsapplaus für Peter Schneider dauerte ungewöhnlich lang.
Jeffrey Dowd, Evelyne Herlitzius. Foto: Matthias Jung
Gleich das Vorspiel – erfreulicherweise bei geschlossenem Vorhang – geriet zu einer symphonischen Dichtung, behutsam langsam beginnend, sehr transparent für alle sogenannten „Nebenstimmen“, dynamisch sich steigernd bis zum grossen leidenschaftlichen Höhepunkt, um dann zum Beginn des I. Aktes bereits jetzt fast hoffnunglos mit den tiefen Streichern zu enden. Als weitere Beispiele seien genannt das markante Staccato der Bläser im I.Akt nach „Herr Tristan trete nah“ sowie die rauschhafte Tempo- und Ausdruckssteigerung bereits zum Ende dieses Aktes. Rhythmisch sehr exakt spielten die Hörner der Jagdgesellschaft zu Beginn des II. Aktes. Und natürlich genoß man „liebestraumhaft“ das grosse Duett im II. Akt. Ganz sonor und volltönenend klangen die Streicher zu Beginn des III. Aktes mit der folgenden nötigen Rücknahme des Klangs für die Darstellung der Weite des Meeres. Auch der Übergang von der ausdrucksvoll vom Englisch-Hornisten Andreas Gosling gespielten „alten Weise“ zu den tiefen Streichern war ein kleiner musikalischer Höhepunkt. Selten hörte man die Streicher so leise wie nach Tristans „göttlich ewges Urvergessen“, da Wagner hier das einzige ppp im Tristan vorschreibt. Die Essener Philharmoniker folgten bestens, auch in allen Soli, den Anregungen des Dirigenten.
Wo notwendig dämpfte er den Sängern zuliebe den mächtigen Orchesterklang. Das nutzte vor allem dem Tristan von Jeffrey Dowd. Seit er vor sieben Jahren, obwohl kein eigentlicher Heldentenor, sich zum ersten Mal an die Partie wagte, hat er enorm an Sicherheit und Einteilung seiner stimmlichen Mittel zugelegt. Natürlich schonte er seine baritonal timbrierte Tenorstimme im I. Akt und, soweit mit einer Isolde wie Evelyn Herlitzius möglich, auch im II. Akt. Das lohnte er mit schönen Legatobögen etwa im II. Akt „Das Land das Tristan meint“ oder im III. Akt „Wie sie selig..“ So planvoll dosiert blieb ihm genügend Stimmkraft , um die Fieberausbrüche Mitleid erregend und treffsicher in den Spitzentönen zu bewältigen.
Evelyne Herlitzius, Jeffrey Dowd. Foto: Matthias Jung
Wie gewohnt hochdramatisch in Gesang und Darstellung ging Evelyn Herlitzius völlig in der Gestaltung der Isolde auf, gleich im I. Akt legte sie richtig los, Wut, Verzweiflung, Enttäuschung, aber auch Ironie ausdrückend. Dabei klang ihre Stimme am schönsten in der Mittellage und, wenn gefordert, darunter, während bei Spitzentönen ihr Temperament sie manchmal zum Forcieren verleitete..
Der Kurwenal von Heiko Trinsinger ist schon soviel bewundert worden, dass man nur bestätigen muss, in Gesang, Textverständlichkeit und Spiel kann man sich diese Partie nicht besser vorstellen.
Während die erwähnten drei Sänger seit der Premiere 2006 dabei waren, übernahm die Brangäne nunmehr Martina Dike, die die Partie treffsicher in Spitzentönen, gut fokussiert in der Mittellage und weitgehend textverständlich gestaltete. Wunderschön gehalten sang sie die „Hab Acht“ – Rufe Vom Timbre her war ihre Stimme dem Sopran von Isolde sehr ähnlich, was bei den Duetten der beiden die unterschiedlichen Charaktere ein wenig verwischte.
Ante Jerkunica sang mit gut fokussierter sonorer Baßstimme den König Marke, die grosse Verzweiflung über Tristans angeblichen Verrat glaubte man ihm aber nicht so ganz, Mateusz Kabala sang genau und spielte bösartig den Melot.
Die kleineren Partien waren rollengerecht besetzt, wie in der Premiere sang Thomans Sehrbrock den Steuermann, war Rainer Maria Röhr. eine Luxusbesetzung für den „jungen Seemann“ . Den Hirten sang passend Albrecht Kludszuweit.
Der Männerchor, einstudiert von Alexander Eberle, tönte mächtig und rhythmisch exakt aus der Höhe, in dem kleinen nach vorne offenen Würfel, in dem sich bis kurz vor Schluß das Geschehen abspielt, hätte er ja auch keinen Platz gefunden.
In diesem Würfel (Bühne Klaus Grünberg) wird es ohnehin eng, wenn mehr als zwei Personen auftreten, seinen eigentlichen Sinn erfährt man im grossen Liebesduett des II. Akts, wo er sich erst langsam und dann immer schneller dreht, bis er bei „Rette dich Tristan“ auf dem Kopf zum Stehen kommt. Da die Sänger der beiden Hauptpartien nach so vielen Aufführungen dabei singend auch perfekt die körperliche Balance halten konnten, musste man wieder diese Idee bewundern, wurde hier doch ein sehr passendes Bild für die gemeinsame „Entindividualisierung“ der beiden Liebenden getrennt von der übrigen Welt gefunden. Überflüssig oder sogar ärgerlich erschien immer noch das Hin- und Hertragen von Morolds abgeschlagenem Kopf im I. Akt – Salome läßt grüssen – oder die Schäfchen zu Beginn des III. Akts. Isoldes Liebestod auf der dann ganz leeren weiten Bühne (ohne Würfel), wenn so dargestellt wie von Herlitzius, war der rauschhafte Abschluß dieser grossartigen Aufführung.
Wenn man bedenkt, dass am Morgen desselben Tages in der Philharmonie Tzimon Barto Bachs Goldberg-Variationen spielte, und dort gleichzeitig zum „Tristan“ das London Symphony Orchestra unter Valery Gergiev Berlioz spielte, spricht es schon für die Musikbegeisterung der Gegend, dass dieser „Tristan“ fast ausverkauft war. Nach dem verklärenden Schluß und einer Schweigeminute dankte starker Beifall, auch stehend, den Künstlern mit Bravos für die vier Hauptpersonen und natürlich für Meisterdirigent Peter Schneider.
Sigi Brockmann 12. November 2013