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ESSEN/ Aalto-Theater: LA STRANIERA von V. Bellini. Premiere

03.03.2014 | KRITIKEN, Oper

ESSEN: LA STRANIERA        Premiere am 2. März 2014

 Vincenzo Bellinis frühe Oper „La Straniera“ ist ihrem Namen auf ungewollte Weise gerecht geworden, denn sie blieb im gängigen Repertoire eine „Fremde“. Nach einer ersten Erfolgssträhne im 19. Jahrhundert verschwand das Werk fast völlig von der Bühne, um erst 1935 (zur 100.Wiederkehr von Bellinis Tod) vereinzelt wieder aufzutauchen. Die jüngste Initiative verbindet sich mit dem Namen von Edita Gruberova, welche die zentrale Frauengestalt der Oper, Alaide, nicht nur bei Konzertaufführungen in München, Wien und Baden-Baden verkörperte, sondern 2013 für Zürich auch szenische einstudierte. Der ihr sehr vertraute Regisseur Christof Loy war sicher ein Entscheidungshelfer, aber wohl auch der Intendantenwechsel am Zürcher Haus, von dem sich die Künstlerin 2002 im Groll verabschiedet hatte. Die Produktion wurde jetzt (mit Marlis Petersen als Alaide) vom Aalto Musiktheater in Loys Geburtsstadt Essen übernommen und wechselt im Januar 2015 auch noch in das Theater an der Wien (nun wieder mit Edita Gruberova als “Alaide”).

Bei italienischen Opern der frühen Romantik erwartet man in der Regel die „unendliche Melodie“, das Sich-Verlieren in filigranen Melismen und gewagten Koloraturen bei meist zurückhaltender Orchesterbegleitung. In der „Straniera“ ist das  auf erregende Weise ganz anders. Die Harmonik in diesem Werk beschreitet mitunter abenteuerliche Wege, außerdem dominiert eine ausgesprochen szenenbezogene Deklamation. Dem zentralen Tenor (Graf Arturo di Ravenstel) gönnt der Komponist keine einzige wirkungsvolle Arie, sondern gerade mal einige ariose Passagen. Warum diese dem traditionellen Belcanto-Ideal so abholde Werkdramaturgie? Es ging den Autoren (neben Bellini  der Librettist Felice Romani) bei diesem Sujet nicht um das geradlinige Erzählen einer Geschichte, sondern um die „Darstellung traumatisierter und sich selbst entfremdeter Personen“ (Anselm Gerhard). Das ist sicher nicht gänzlich untypisch für Bellini, wirkt bei „Straniera“ aber doch auf die Spitze getrieben.

 Dies heißt allerdings nicht, dass die Oper dem geschärften psychologischen Empfinden unserer Zeit gänzlich widerstandslos  entgegen käme. Es verbleiben genügend verweichlichende, pauschalisierende Romantizismen, welche von einer Inszenierung bedacht und bewältigt werden müssen. CHRISTOF LOY hat sich, oft genug in Zusammenarbeit mit Edita Gruberova, als szenischer Vermittler (und Versöhner) erwiesen, welcher Werke nicht auf den Kopf zu stellen braucht, um eine persönliche Regiesprache unter Beweis stellen zu können. So gönnt er bei „Straniera“ beispielsweise dem Chor die nun einmal üppig auskomponierten Tableaus, welche er freilich hin und wieder ironisierend einfärbt. Eine noch stärkere, generelle Distanzierung ergibt sich durch die Ausstattung von ANNETTE KURZ, eine Bühne aus der Entstehungszeit der Oper. Mit sichtbar bedienten Seilzügen werden immer wieder Hänger in die Szene herab gelassen, um einen Wechsel der Schauplätze zu kennzeichnen.

 Bei der Kostümierung der Frauen (URSULA RENZENBRINK) fühlt man sich an den 1971 entstandenen Fernseh-Mehrteiler „Die Frau in Weiß“ (mit Heidelinde Weiss und Christoph Bantzer) erinnert. In „La Straniera“ könnte man die junge Isoletta als solche ansehen, welche sich kurz vor ihrer Hochzeit bewusst wird, dass ihr künftiger Gatte (Arturo) sie nicht wirklich liebt. Der Grund hierfür scheint leicht eruierbar. Verborgen im Walde lebt nämlich Alaide, eine geheimnisvolle Frau (in Schwarz), welche von der Bevölkerung nicht nur als Fremde, sondern auch als hexenhafte Feindin angesehen wird. Ihre Behausung liegt ebenso im Dunkel wie ihr Schicksal. Die Vorgeschichte erläutert: Alaide ist die Geliebte des verheirateten Landeskönigs, der sie auf päpstlichen Befehl hin aber nicht auf den Thron erheben darf. In der Abgeschiedenheit des Waldes harrt sie künftiger Entwicklungen. Und da tritt Arturo in ihr Leben und lässt eine neue Leidenschaft in ihr aufleben. Dieser junge Schwarmgeist aber hat, in Loys Verständnis, „nie gelernt, erwachsen zu sein“. Er jagt Traumidealen nach, ergeht sich in übersteigerten Gefühlen, welche in der Realität keine Erfüllung finden können, schon gar nicht in der anberaumten Vernunftehe. Dass Arturo mit Selbstmord endet, ist bei der kruden Handlung nicht verwunderlich. Isoletta verzichtet voller Schmerz auf ihre Liebe. Für Alaide wird am Schluss zwar der Weg zum Thron frei, aber daran ist ihr nun nicht mehr gelegen. Großer, tränengetränkter Schlussgesang.

 Das Singen steht bei „Straniera“ – da kann Loy eine noch so verdienstvolle Arbeit geleistet haben – im Mittelpunkt. Für eine emotional empfindende Interpretin mit theatralischem Gespür bietet dies mannigfacher Möglichkeiten, sich massiv in Gefühlen von Glück und Schmerz auszudrücken. Belcanto-Primadonnen haben die Gelegenheit nur allzu gerne genutzt: Renata Scotto (Palermo 1968 – durch den Aufführungsmitschnitt hat Christof Loy das Werk für sich entdeckt), Montserrat Caballé (New York 1969), Elena Souliotis (Catania 1971), Lucia Aliberti (Triest 1990), Renée Fleming (New York 1993) sowie im Studio Patrizia Ciofi (London 2007). Ob irgendwann Edita Gruberovas Alaide auf Tonträger verfügbar sein wird, bleibt abzuwarten. Aber auch ohne Kenntnis dieser speziellen Rolleneroberung darf die Behauptung gewagt werden, dass MARLIS PETERSEN eine vielleicht weniger „raffinierte“ Interpretin ist, einem die etwas abgehobene Figur durch ihr natürliches Singen aber besonders nahe zu bringen weiß. Das Virtuose kommt bei ihr nicht zu kurz, die Spitzentöne explodieren mit dramatischer Leuchtkraft; überdies ist die Künstlerin eine Bühnenpersönlichkeit von Format.

 Der herbe, dennoch farbige Mezzo von IEVA PRUDNIKOVAITE (Isoletta) bildet einen überaus reizvollen vokalen Kontrast. Elektrisierend wirkt LUCA GRASSI mit seinem höhenflammenden Bariton (Valdeburgo), den Arturo gestaltet ALEXEY SAYAPIN mit einer vielleicht nicht direkt „schön“ zu nennenden Stimme, welche der Rolle stilistisch aber voll genügt und von intensiver Darstellung und einer sympathischen Erscheinung bestens unterstützt wird. Auch die weiteren Partien, deren Bedeutung für die Handlung nur weitschweifig darzulegen wäre, sind in Essen erstklassig besetzt: BENJAMIN BERNHEIM (Osburgo), TIJL FAVEYTS (Signore die Montolino) und BAURZHAN ANDERZHANOV (Priore degli Spedalieri). JOSEP CABALLÉ DOMENECH, künftiger GMD der Staatskapelle Halle, lässt die ihrem Ruf voll und ganz gerecht werdenden Essener Philharmoniker mit großer Verve und klanglich differenziert aufspielen. Der Premieren-Schlussbeifall war enorm. Ob er das weitere Schicksal von „La Straniera“ günstig beeinflussen wird?

 Christoph Zimmermann

 

 

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