Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ESSEN/ Aalto-Theater: LA FORZA DEL DESTINO

10.09.2012 | KRITIKEN, Oper

ESSEN: LA FORZA DEL DESTINO Wiederaufnahme am 8.9. 2012 (Werner Häußner)

Dietrich Hilsdorfs Inszenierung hat nichts von ihrer Stringenz, Johannes Leiackers Bühne nichts von ihrem lichtvollen Realitätsentzug eingebüßt. Verdis „La Forza del Destino“ ist es wahrlich wert, immer wieder ins Repertoire des Aalto-Theaters zurückzukehren. Auch wenn man gegen die rüden Kürzungen der Mailänder Fassung der Oper (1869) einwenden muss, dass Verdi in dieser Zeit kompositorisch sehr genau wusste, was er will. Doch Hilsdorf will das auch – und es siegt der Wille des Regisseurs, eine psychologisch schlüssige Geschichte zu erzählen. Dass er den Padre Guardiano mit dem alten Marchese di Calatrava verschmilzt und ihn aus dem Sarg zurückkehren lässt wie einen Zombie – oder eine innere Erscheinung Leonoras – ist ein Sinn stiftender Theatercoup. Und auch Verdis Mittelalter-Camouflage ist heute entbehrlich: In Essen spielt das Stück zur Zeit seiner Entstehung.

„La Forza del Destino“ eröffnete die neue Spielzeit in Essen. Stefan Soltesz hat in seiner letzten Spielzeit einen bescheidenen Schwerpunkt auf Verdi, einen der „Jubilare“ des Jahres 2013, gelegt. Wieder aufgenommen werden noch „La Traviata“ und „Aida“, neu inszeniert „I Masnadieri“ („Die Räuber“ nach Schiller). Damit bringt Essen eine der vielen selten gespielten Opern Verdis. Andere Opernhäuser nudeln zum 200. Geburtstag dieses Giganten der Oper das übliche Repertoire ab: kein „Stiffelio“, kaum eine „Luisa Miller“, keine „Lombarden“, von den hitzköpfigen frühen Opern wie „Attila“, „I due Foscari“, „Ernani“ oder „Il Corsaro“ ganz zu schweigen. Dafür haucht „La Traviata“ hunderte Mal ihr Leben aus, lugt „Rigoletto“ hinter jeder Ecker hervor. Zwischen 2001 (100. Todestag Verdis) und 2012 hat sich an der Einfallslosigkeit deutscher Spielpläne – in Sachen Verdi zumindest – nicht viel geändert.

Der Dirigent der Essener Aufführung, Giacomo Sagripanti, ist ein Debütant am Aalto-Theater und hoffentlich kein Vorzeichen für die Zeit nach Stefan Soltesz. Der Italiener kommt offenbar aus dem Mainstream, wie er heute von den zugrunde gewirtschafteten Konservatorien seines Heimatlandes herangebildet wird: Fern der – nicht mit alten Schlampereien zu verwechselnden – Traditionen schlägt er einen sorgfältig erarbeiteten, aber dramatisch geglätteten Verdi, mit schematischer Agogik, wenig vertraut mit dem Atmen der Sänger, ohne Sensus für die fiebernden Tremoli, das innere Drängen der Musik. Metrisch einförmig ist das, ohne rhythmischen Biss, in den Lyrismen klassizistisch poliert, in der Dramatik züchtig domestiziert. Gebremste Energie, gekappte Leidenschaft: das funktioniert zum Beispiel im unendlich zärtlichen Pianissimo am Ende der Oper, nicht aber zum Beispiel in der verzweifelten Szene des Alvaro, für den das Leben zur Hölle wird.

Sagripanti versucht auch, veristische Züge aus dem Stück herauszuhalten, was ihm zumindest mit Carlos Almaguer als Carlos nicht gelingt. Der Bariton hat eine phänomenal gut sitzende Stimme mit üppigen Resonanzen und kann mühelos jeden Raum füllen. Leider praktiziert er das mit ausuferndem Fortissimo bei jeder Gelegenheit: Gebrüll statt subtiles Gestalten, grobes Aussingen statt bewusste Stilisierung. Als Alvaro wurde kurzfristig der rumänische Tenor Daniel Magdal gewonnen, der zum Beispiel in Innsbruck Hoffmann und Cavaradossi gesungen hat. Er bringt die Stimme erst allmählich in Position und kann den Ton nicht füllen. Seine große Szene nach der Pause („La vita é inferno all‘infelice“) wirkt sorgsam vorgetragen, mehr nicht.

Mit dem Bemühen um den großen Bogen und das tragende Piano zeichnet sich Galina Shesterneva aus, die auch demonstriert, dass „russische Schule“ nicht unbedingt großhubiges Vibrato bedeuten muss. Ihre Arien baut sie gekonnt auf, ihr Timbre ist stabil und erinnert in „Pace, pace“ an Diven des Verismo wie Zinka Milanov. Dass sie eine von der blinden Willkür des Schicksals Gejagte ist, kann sie musikalisch nicht darstellen, weil ihr der Dirigent dazu die Dynamik im Tempo verweigert.

Von der Regie zur Episodenfigur reduziert, kann Yaroslava Kozina immerhin mit ein wenig „Rataplan“ als Preziosilla punkten. Tiziano Bracci mutiert als Melitone vom frechen, dicken Mönch zum Adjutanten des Marchese Calatrava und singt mit schlanker, damit auch farbreduzierter Stimme seine sprachlich bewusst gestaltete Szene. Albrecht Kludszuweit erweist sich als Trabuco mit schönem Tenor in ein paar Sätzen wieder einmal als sichere Stütze des Essener Ensembles. Und Marcel Rosca, auch ein Essener „Urgestein“, hatte einen guten Tag und gab der Doppelgestalt des Marchese di Calatrava mit gut fokussiertem Bass ein differenziertes Profil zwischen patriarchalischer Starrheit und väterlichem Zuneigen.

Werner Häußner

 

Diese Seite drucken