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ESSEN/ Aalto-Theater: EUGEN ONEGIN – Premiere

26.02.2012 | KRITIKEN, Oper

Kann denn Oper schöner sein? EUGEN ONEGIN – Premiere im Essener Aalto am 25.Februar 2012


Foto: Aalto Theater Essen/Matthias Jung

„Onegin funktioniert auch so, er braucht uns nicht.“ Dankenswerter Weise versuchen Regisseur Michael Sturminger und sein Team gar nicht erst uns eine neue Geschichte zu erzählen, den moralischen Zeigefinger zu erheben, oder oberlehrerhaft das Publikum zu schulmeistern. Keine Mätzchen, keine Verfremdungen oder sogenannte „Regiegags“ – man spielt diesen Tschaikowski sehr werktreu und mit Respekt, sowie Achtung vor der Vorlage des großen Nationaldichters  Alexander Sergejewitsch Puschkin, der ja wie, sein sympathischer Protagonist Lenski, auch bei einem Duell starb. Allerdings versetzen Andreas Donhauser und Renate Martin (Bühne und Kostüme) die Geschichte ins scheinbar postkommunistische Russland heutiger Tage. Man ließ sich von durchaus realen Bildern des Heute, des heutigen Russland, inspirieren. Doch blieben auch mit dem Zeitsprung aus dem 19.Jahrhundert die „Lyrischen Szenen“ – wie Meister Tschaikowki sein Werk ja untertitelt hatte – erhalten. Die feine poetische Wirkung des Originals sollte erhalten bleiben, daher war dem Komponisten dieser Begriff so wichtig. Er wollte keine wuchtige Oper schaffen, sondern diese „Szenen“ musikdramatisch bebildern.

 „Er wollte etwas ganz Intimes und zudem dem Menschen Nahes schaffen.“ so Srboljub Dinic, der Dirigent der Produktion. „Das Ergebnis finde ich als überaus berührend und stellt für mich den Höhepunkt innerhalb der Bühnenwerke dieses russischen Komponisten dar.“ Sein Credo „Belcanto gilt nicht nur für die Sänger, sondern auch für das Orchester.“ zeichnet und benennt wunderbar eine Interpretation, die wir beglückend als neuen, luftig leichten und lebendigen Tschaikowski genossen haben. Die Essener Philharmoniker spielten dies alles grandios – weg von Schwulst und übermäßigen Rubato. Vieles klingt kammermusikalisch; selten wurde die Partitur dermaßen transparent durchleuchtend zum Strahlen gebracht. Ich hatte irgendwie den Eindruck die Musiker spielten gestern Abend für diesen prachtvollen Dirigenten, dessen Name sicherlich zurecht als Nachfolger von Stefan Soltesz gehandelt wird. Unsere Unterstützung hat er sich redlich verdient für diese musikalische Leitung und Leistung. Mein lauthalses „Bravo“ vor dem letzten Teil riss dann doch einige Musikfreunde mit. Danke.

 Mit einer Art Garagenfest beginnt die Oper. Schon da beweist Regisseur Sturminger, daß er mit Menschen und größeren Personengruppen, Massenszenen auf der Bühne meisterhaft umgehen kann. Es herrscht ein leichtfertiges lockeres Partytreiben. In perfekter Raumchoreografie wird die riesige Aalto-Bühne bespielt und selbst die Tanzszenen wirken nicht hausbacken peinlich aufgesetzt, wie so oft, sondern zeigen uns zeitgenössische Stil-Vielfalt; Bilder die wir in den Tanzsälen und Diskotheken durchaus so nachvollziehen könnten. Hier trifft sich Modernes mit Traditionellem – was für ein kunterbuntes Bild. Gleiches gilt auch für die Kostüme von Renate Martin – bitte schauen Sie sich die Bilder an! Ist das nicht phantasiereich schön?

Eine technische Meisterleistung ist endlich einmal wieder die technische Nutzung des Zauberkasten Opernbühne. Naht- und lautlos versinken die Bauten im Unterboden, lassen Mädchenzimmer erscheinen und geben dann ein grandioses Bild vernebelter Taiga-Ödnis für die Duell Szene frei. Andreas Donhauser ist ein ausgefuchster Bühnenprofi, dem es sogar gelingt während des Todesschusses das Gebäude so schnell hochfahren zu lassen, daß man den toten Lenski ins Wohnzimmer noch hereinschaffen kann. Eine tolle, eine berauschend inszenierte Szene, wobei jenes im Wohnzimmer hängende, großformatig berühmte, alte Duell-Bild Repins zum ergreifenden Kommentar des Geschehenen wird. Man hat schon Tränen in den Augen; auch weil Zurab Zurabishvili seine Lenski Abschiedsarie von wirklich selten schöner lyrischer Emphase gesungen hat; ein wenig Puccini-Belcanto paßt in jeden Tschaikowski. Da haben bestimmt auch die Götter auf dem Olymp geweint – man konnte es irgendwie spüren. Selten hatte ich so viel Gänsehautfeeling in einer Oper.

 Die blutjunge Victoria Yastrebova (Tatjana) ist eine Entdeckung! Sie wird sich noch zu einem großen Star weiterentwickeln. Ich finde, daß sie für diese Partie und in dieser Inszenierung wo eben diesen Jungmädchenträumen soviel Empathie entgegen gebracht wird, die absolute und überzeugende Idealbesetzung ist. Die Größe und Tragfähigkeit ihrer Stimme wird wachsen, so daß wir sie, sicherlich noch vor Ablauf einer Dekade, auch in Welthäusern wie Wien und anderen großen Opernzentren hören werden können. Da bin ich ganz sicher. Und! Diese Künstlerin ist auch optisch ein Juwel. Als wenn Tschaikowski oder Puschkin die Partie genau für so ein zartes Mädchen geschrieben hätten.

 Marie-Helen Joel (Larina) bringt sich ebenso bravourös und überzeugend, sowohl gesanglich, als auch darstellerisch, in diese Inszenierung ein, wie die großartigen Anja Schlosser (Olga) und Ildikó Szönyi (Filipjewna). Was hat man für tolle Sängerinnen auch für die Comprimarii an diesem Aalto! Ein wirklich bewundernswertes Ensemble.   Fabelhaft gestaltete der stets zuverlässige Heiko Trinsinger die Hauptpartie; die von der Regie diesmal durchaus menschlich angelegt war. Ein wenig hatte man am Schluß, wenn er vom Fürsten die Pistole in die Hand gedrückt bekommt, doch Mitgefühl. Die Frage ob er sich tatsächlich erschießt bliebt offen. Albrecht Kludszuweit gab einen höhensicheren Triquet.

 Der letzte Teil mit dem gefürchteten Walzer-Opening ist ein wirklich bühnentechnisch sensationell gestaltetes Szenario. Ganz im Hintergrund sehen wir ein Fest – es ist das so typische Fest eines russischen Oligarchen im Prunk und Neoklassizismus antiker Monumente; klassische Säulen (nicht die Schicki-Gesellschaft) drehen sich auf einem langsam nach vorne fahrenden Plateau, welches dann nahtlos an die Vorderbühne andockt. Wow! Was für eine Millimeterleistung bühnenbautechnischer Handwerksarbeit. Nichts knarrt, nichts knirscht – obwohl sich sicherlich unzählige hydraulische Zylinder und Rädchen innerlich drehen und bewegen. Das ist – ich wiederhole mich gerne – ganz großer phantastischer Bühnenzauber. Andreas Donhauser ist der David Copperfield der Aalto Bühne an diesem Abend; er läßt uns staunen. Nicht zu vergessen die fabelhafte Lichtregie (Rene Dreher).

 Fürst Gremin ist eine fabelhafte Rolle: kurz, schön und immer ergreifend. Von geradezu kulinarischer Schönheit sang Roman Astakhov, der kurzfristig für Almas Svilpa eingesprungen war, seine Partie.

 Last but not least: mal wieder eine tolle Chorleistung; Alexander Eberle gehört zum festen Qualitätsgerüst des Aalto-Theaters. Er hatte seine Choristen (auch sprachlich) mal wieder aufs Beste präpariert. Gratulation! Wir sind immer wieder von diesem Chor sehr beeindruckt.

 Fazit: Diesmal brauche ich kaum „Hinfahren!!!“ zu schreiben, denn die Essener wissen mittlerweile, was sie an dieser ihrer Oper haben und es werden für die Folgevorstellungen nur schwer Karten zu bekommen sein. Und schon gar nicht mehr, wenn sich herumspricht was hier (mal wieder!) für wunderbare lebendige und zeitgemäße Oper auf hohem Niveau geboten wird. Das Essener Haus spielt weiterhin ganz vorne im Reigen der Deutschen Top-Opernhäuser. Und nun die Anfangsfrage (Titel) am Ende zu klar beantworten: Nein, liebe Opernfreunde, Oper kann wirklich nicht schöner sein!

 Peter Bilsing

 P.S.

Gratulation auch an Ina Wragge für so ein schönes, informatives und bilderreiches Programmheft, welches ich unbedingt zum Kauf empfehlen möchte. Großes Lob geht in diesem Zusammenhang gleichzeitig auch an Matthias Jung, den Theaterfotografen für seine aussagekräftigen Bilder.

 

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