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ERL/ Passionsspielhaus: DER 24 STUNDEN-RING – ein Erfahrungsbericht

06.08.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

ERL/Passionsspielhaus: DER 24 H – RING. Ein Erfahrungsbericht – vom 1.- 3. 8.2014

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Das Rheingold. Foto: Festspiele Erl

 Den New Yorker Marathon mitlaufen kann ja ein jeder, aber den Erler Ring- Marathon durchsitzen ?

Extremdirigent Gustav Kuhn hat uns (nach 2005) erneut auf die Probe gestellt und den legendären 24 Stunden-Ring als „Geburtstagsgeschenk“ für Freund-Mäzen Hans-Peter Haselsteiner wieder aufs Programm gesetzt.

Wobei die 24 h eigentlich ein Marketinggag sind, denn das Rheingold begann am 1.August um 19h und die Götterdämmerung endete am 3.August um 17 h, sodass die ganze Unternehmung genau genommen 46 Stunden dauert. Wobei mir schon klar ist, dass für orthodoxe Wagnerianer das Rheingold nur der „Vorabend“ ist – und für sie nur die restlichen drei Teile der Tetralogie den eigentlich „Ring“ bilden. Der dann, so betrachtet, tatsächlich binnen den besagten 24 Stunden ablief.

 Dem Neu-Erlianer stechen zunächst einmal zwei Dinge ins Auge:

  1. die unleugbare Ähnlichkeit des Passionsspielhauses mit dem Heiligtum in Bayreuth : eine fast provisorisch anmutender einfacher Bau auf einem grünen Hügelchen, ganz aus Holz, mit ähnlich endlosen Holzsesselreihen(sodass immer alle aufstehen müssen, sobald noch ein Besucher kommt) und einer analogen Siedehitze bei Sommerwetter.
  2. der gigantische Unterschied hingegen,was die Platzierung des Orchesters betrifft. Ist es im Mekka der Wagnerianer bekanntlich unsichtbar, ist es hier in Klein-Bayreuth nur allzu sichtbar. Denn Maestro Kuhn hat das Festivalorchester hinter einem durchsichtigen Gazeschleier auf stufenförmigen Podesten sozusagen „aufbahren“ lassen.Und das bleibt den ganzen Ring über so. Ich muss gestehen, dass ich den permanenten Anblick des gewaltigen Klangkörpers zunehmend als störend empfand und mich zb. die wunderschön ausgeleuchteten Harfenhälse stark vom eigentlichen Geschehen ablenkten. Kuhn begründet die Maßnahme zwar mit dem fehlenden Orchestergraben und der Akustik des Hauses. Aber ganz mag man ihm in seiner Argumentation nicht folgen, hat man doch noch gut in Erinnerung, wie er in seiner Zeit in Macerata die Musiker im Sferisterio ebenso unübersehbar auf der riesigen Bühne thronen ließ. Es dürfte sich bei ihm um einen Orchesterchauvinisten handeln, dessen auf diese Art und Weise dargestelltes Dogma von der Zentralität der Musik zwangsläufig zur Überschattung des szenischen Geschehens davor führt. Denn sonst hätte ja, selbst wenn man dass Orchester aus welchen Gründen auch immer auf der Bühne platzieren muss oder will, nichts dagegengesprochen, dann wenigstens den Gazetrennschleier undurchsichtig zu machen.

Freitag.Der Vorabend also. Das Rheingold, obwohl als Ganzes länger als jeder einzelne Akt der Folgeopern, fühlt sich fast wie ein Spaziergang an.

Alle sind noch frisch, das Ende ist absehbar,die Aussicht auf ein gutes Abendessen und eine ganz normale Nacht mit genügend Schlaf entspannt alle Beteiligten.

Ein soignierter Wotan, ein hervorragender Loge, ein animalischer Alberich, eine alle überragende Fricka, eine beeindruckende Erda…

Es fängt also gut an, wenn auch einige ausländische Gäste, die offenbar noch keine Berichte über Erl gelesen oder diese nicht ernstgenommen hatten, von der szenischen Kargheit, um nicht zu sagen: Dürftigkeit, ziemlich schockiert sind. Es fallen so böse Worte wie Laien – und Kindertheater, die auf fahrbaren Pyramiden stehenden asiatischen Rheintöchter, die als Basketball – und Eishockeystars verkleideten Riesen gefallen gar nicht.

Alle zurück ins Hotel.

Samstag. Jetzt wird’s ernst. Jetzt geht’s los. Manche befällt die Angst vor der eigenen Courage. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr.

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„Die Walküre“: Vladimir Baykov (Wotan) und Hermine Haselböck (Fricka). Foto: Festspiele Erl

17 h . Anfang Walküre. Es gibt einen neuen Wotan, die erste der drei Brünnhilden und erfreulicherweise dieselbe Fricka. Die Walküren radeln auf Mountainbikes herein, Hunding erschießt Siegmund, der Felsen ist ein Rundbett, das Feuer wird zu später Stunde von einer Kinderschar hereingebracht. Wotans Abschied, eine der ungeheuerlichsten Szenen der Opernliteratur, geht schwer zu Herzen. Man ist gleichzeitig erschöpft und erfüllt, hat im positiven Sinne eigentlich „genug“ und denkt somit – trotz aller guten Vorsätze – daran, auch Abschied zu nehmen und den allseits ungeliebten Siegfried zu „spritzen“. Die einstündige Pause gibt den Fluchtgedanken reichlich Zeit und Raum, sich zu entfalten. Als man sich schon davonstehlen will, trifft man jedoch noch gute alte Freunde, gerät in ein angeregtes Gespräch, und wird sanft, aber unmissverständlich gemahnt, dass man doch j e t z t nicht gehen könnte.

Nun gut, wir lassen uns breitschlagen, verschlingen noch schnell ein kleines Schnitzerl mit Preiselbeeren, stürzen in letzter Minute einen doppelten Espresso hinunter, und weiter gehts (zumindest für einen Akt, denkt man bei sich, dann könnte man ja noch immer gehen)…

Es ist dreiundzwanzig Uhr. Das Schwert wird geschmiedet, der Wanderer stellt seltsame Fragen, der Wurm wird getötet, das Waldvöglein singt…

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Siegfrieds Kampf mit Faner. Foto: Festspiele Erl

Fafners Wunsch “ Lasst mich schlafen ! “ scheint jedoch mittlerweile auch dem vieler Zuschauer zu entsprechen bzw. von ihnen bereits in die Tat umgesetzt worden zu sein.

Und hat nicht Maestro Kuhn selbst höchstpersönlich die Genehmigung erteilt, das Waldweben als günstige Gelegenheit zum Wegbüseln zu benützen ?

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Erda und der Wanderer. Foto: Festspiele Erl

Vor dem letzten Akt wird aber noch einmal die Red Bull Bar gestürmt, und so gedopt ist man fürs vorläufige Finale gerüstet.

Auf Brünnhildens Felsen-Rundbett haben sich während der Jahrzehnte ihres Schlafes auf mysteriöse Art und Weise jede Menge Kissen eingefunden, Siegfried (mit einem Teddybärchen bewaffnet) macht die erstaunliche Entdeckung, dass das Weib kein Mann ist, und dann wird drauf los gejubelt, allerdings unter strikter Vermeidung, dem Partner in die Augen zu schauen. Zum orgiastischen Höhepunkt kommen viele kleine Kinderlein auf die Bühne und setzen sich, ihrerseits jedes mit einem Teddybärchen im Ärmchen, am Rand der Schlafstatt nieder. Verstehe das wer will. Auf alle Fälle ist es jetzt drei Uhr dreißig, und es ist fast vollbracht, denn zwei Drittel des Rings sind durchgesessen.

Was allerdings jetzt folgt, ist eine siebenstündige Pause, und das ist doch irgendwie feig.

Warum geht’s nicht gleich weiter ? Wenn schon, denn schon : Marathon !

Schlafen jetzt mit dem ganzen Koffein im System ? Und das noch im Hotel, wo man sicherlich ganz aus der schönen Stimmung gerissen werden würde ?

Wenn dann schon lieber vor Ort! Und man überlegt ernsthaft, die Couchen im neuen Festpielhaus oder die bereitgestellten grünen Liegstühle für eine Ruhepause zu benützen, so wie am Flughafen zwischen zwei Flügen…

Die unfreundliche Witterung zwingt  einen aber leider von solchen Plänen wieder Abstand nehmen.

Sonntag, 11 h vormittag. Alle Selbstversuchsteilnehmer sind wieder vollständig versammelt, geschneuzt und gekampelt und frisch geduscht. Es herrscht eine feierliche Atmosphäre wie vor der Sonntagsmesse, wie vor dem Hochamt.

Götterdämmerung also. Keine Lücken im Saal wie noch bei Siegfried, nein, alles bis auf den letzten Platz vollgerammelt.

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Götterdämmerung. Festspiele Erl

Es gibt einen zweiten Siegfried, und eine dritte Brünnhilde, und Gustav Kuhn, der Werktreue, entdeckt plötzlich den Regietheaterregisseur in sich. Gunther erscheint bei ihm als blasses, bleiches, koksendes Weichei, das sich vor der furibonden Ex-Walküre zu Tode fürchtet, und Siegi tritt nach seiner Hochzeit nicht nur mit einer Gutrune im spießigen weißen Kostümchen mit weißem Handtäschchen (Stil Doris Day Filme der 50 Jahre) auf, sondern mit gleich zehn Exemplare der selben Sorte. Was nicht weniger angsteinflössend wirkt als die wilde, aggressive, blutrünstige Brünnhilde.

Einige wenige Zuschauer durften sich bei ihrem Versuch, ihr Regenerierungsdefizit der vergangenen, allzu kurzen Nacht auszugleichen, von Alberichs Worten “ Schläfst du, Hagen, mein Sohn ?“ durchaus auch angesprochen gefühlt haben, aber spätestens nach dem Trauermarsch waren dann alle wieder notgedrungen hellwachst.

Das unvergleichlich schöne Welterlösungsende wurde durch eine weitere Kuhnsche Regieidee, nämlich vier gemischtrassige,miteinander spielende Kinder in karierten Hemden(United Children of Benetton ?), fast wieder zunichte gemacht.

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Götterdämmerung. Foto: Festspiele Erl

Dessen ungeachtet : aufbrausender, nahezu nicht enden wollender Jubel, das Fallen des Orchester und Sänger trennenden Gazevorhangs, ein Kniefall des Präsidenten-Sponsors Hans-Peter Haselsteiner vor den Musikern. Applaus, Applaus, Applaus. Einen Teil davon spendeten die Überlebenden des Härtetests sicher auch sich selber für ihr doch außergewöhnliches Durchhaltevermögen.

Manch Zuschauer ging sogar soweit, sich als gebührende Anerkennung eine Urkunde zu wünschen, wie nach einem gelungenem Gorilla-Trekking, oder nach dem Blutspenden, oder eben wie nach einem Marathon…Wo man ja auch eine Art „Zeugnis“, einen seinen Enkeln zu zeigenden Beweis bekommt, irgendeinen Wisch, auf dem zumindest das Wort FINISHER steht.

Und dieses eine Wort haben sich an diesem 46stündigen Wochenende 1500 Leute wirklich redlich verdient.

 Um in diesem Bild zu bleiben, gibt es hier für die Mitwirkenden ausnahmsweise keine Einzelbesprechungen, sondern nur ein „Zeugnis“ mit Noten(zwischen 1 und 10)

 RHEINGOLD: Michael Kupfer (Wotan) 8, Hermine Haselböck (Fricka) 10, Thomas Gazheli (Alberich) 9, Johannes Chum (Loge) 9, Elena Suvorova (Erda) 9

 WALKÜRE: Andrew Sritheran (Siegmund) 7, Marianna Szikova (Sieglinde), Vladimir Baykov (Wotan) 7, Bettine Kampp (Brünnhilde) 7, Hermine Haselböck (Fricka) 10

SIEGFRIED : Michael Baba (Siegfried) 6, Wolfram Wittekind (Mime) 8, Thomas Ghazeli (der Wanderer) 10, Bianca Tognocchi (Waldvogel) 9, Nancy Weißbach (Brünnhilde) 7, Elena Suvorova (Erda) 9

GÖTTERDÄMMERUNG : Gianluca Zampieri (Siegfried) 9, Michael Kupfer (Gunther) 9, Mona Somm (Brünnhilde) 8, Susanne Geb (Gutrune) 8, Andrea Silvistrelli (Hagen) 8, Thomas Ghazeli (Alberich) 9

 INSGESAMT: Gustav Kuhn(Dirigent) 9 Orchester 10

 Fazit: Und was hat unser dieser Belastungstest, diese Bewährungsprobe, diese sportliche Anstrengung, dieser Selbstversuch am eigenen Leib, diese Überdosis Ring an Erfahrungen und Erkenntnissen gebracht, die man nicht auch an einzelnen Abenden hätte gewinnen können ?

In erster Linie stellt sich in dieser engzeitlichen Zusammenschau vielleicht noch klarer dar als sonst, wie unterschiedlich, wie desperat unhomogen in jeder Hinsicht die einzelnen Teile in Wirklichkeit sind.

Und dass es Richard Wagners unsterblichstes Verdienst ist, den Marketing-Mythos RING in die Welt gesetzt zu haben als ein einzigartiges, zusammenhängendes, nur als Ganzes aufzuführendes Gebilde. Ein leicht falsifizierbares Postulat, dem aber die führendsten Opernhäuser der Welt bis heute erliegen.

Und zweitens, dass Ringverkürzungsversuche wie zuletzt der in Buenos Aires durchaus ihre Berechtigung und ihre Meriten haben.

 Die Idee des Ring-Marathons selbst fand jedoch allgemeinen Zuspruch. So sehr, dass einige Zuschauer sogar Änderungs- und Weiterführungsvorschläge machten.

Die „Warmduscher“ unter ihnen plädierten für folgende zuschauerfreundlichere Aufteilung:

  1. Tag : Rheingold um 11 h, Walküre um 17 h. SCHLAF. 2. Tag: 11h Siegfried, 17h Götterdämmerung

 

Die historisch-kritische Hardcore-Fraktion plädierte (mit guten Argumenten) für den 36  Stunden – SUPERRING in folgender Reihenfolge :

1. Rheingold 2. Walküre. 3. Die ersten beiden Akte Siegfried. 4. Tristan und Isolde 5. Meistersinger 6. Schluss Siegfried 7. Götterdämmerung

 Wer weiß,vielleicht macht das ja einmal noch jemand ?

 Robert Quitta, Erl

 

 

 

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