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ERFURT/Theater Erfurt: 6. SINFONIEKONZERT – Mirga Grazinté-Tyla. Expressiv-lyrische musikalische Reise

09.01.2016 | Konzert/Liederabende
  1. Sinfoniekonzert /Theater Erfurt/ 8. Januar 2016

Expressiv-lyrische musikalische Reise

Wenn sie den Taktstock hebt, fällt alle Aufregung von ihr ab, sagte Mirga Gražinytė-Tyla einmal in einem Zeitungsinterview mit dem Standard und weiter: „Dieser Augenblick ist einfach nur wunderschön. Man gibt sich zu hundert Prozent dem Moment der Musik, der Kommunikation mit dem Orchester hin. Davor gibt es die Stunden der einsamen Vorbereitung. Diese Einsamkeit braucht man, um zu jener Überzeugung zu gelangen, die notwendig ist, um vor die Menschen hinzutreten. Das ist vermutlich das Wichtigste beim Dirigieren: Überzeugung und Begeisterung.“

Geboren 1986 in Vilnius, wurde der Urenkelin eines Posaunisten beides, Überzeugung und Musikbegeisterung, buchstäblich schon an der Wiege gesungen: Die Mutter ist Sängerin und Pianistin, der Vater ist ein Chorleiter.

Mirga Gražinytė-Tyla begann ihre Theaterlaufbahn als 2. Kapellmeisterin am Theater Heidelberg, wo sie unter anderem die Musikalische Leitung von Verdis „Aida“, Bizets „Carmen“ und Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ übernahm. Ab der Spielzeit 2013/14 war sie als 1. Kapellmeisterin am Theater Bern tätig und leitete unter anderem Janáčeks „Das schlaue Füchslein“, Verdis „La Traviata“ und die Tanztheaterproduktion „ZERO“. Internationale Aufmerksamkeit brachte ihr 2012 der Sieg beim „Nestlé and Salzburg Festival Young Conductors Award“ ein. Sie besuchte Kurse unter anderem bei Herbert Blomstedt, Peter Gülke, Kurt Masur und Colin Metters.

Mirga Gražinytė-Tyla tritt mit der Spielzeit 2015/16 die Nachfolge von Leo Hussain als Musikdirektorin am Salzburger Landestheater an.

Quirlig und energiegeladen begann Mirga Gražinytė-Tyla das 6. Sinfoniekonzert der Saison am Theater Erfurt mit der Ballettsuite Nr. 4 aus Mieczysław Weinbergs Ballett Burattino oder Das goldene Schlüsselchen. Die litauische Dirigentin interpretierte Weinbergs Ballettmusik als groteske, abenteuerlustige Geschichte voller rhythmischer Themengesten, dabei folgte ihr das Orchester mit einer großen Ladung innerer Energie. Für die Zuschauer war es als würden sie die Reise Burattinos begleiten, nicht zuletzt, weil Mirga Gražinytė-Tyla mit zackigen Bewegungsabläufen hundertstelgenau jede Note präzis vorzugeben schien. Einen solchen dirigentischen Tanz hatten die Erfurter noch nicht erlebt. Expressiv und mit plötzlichen und unerwarteten Wendungen setzte Mirga Gražinytė-Tyla die russische Variante des Pinocchio-Stoffes um. Der filmmusikalisch inspirierte Weinberg schuf eine slapstickhafte Musik, die vom Orchester unter Gražinyte-Tylas Leitung mitreißend umgesetzt wurde. Noch atemlos spendeten die Erfurter viel Beifall.

Danach ging das Konzert in einen mystischen Teil über. Alexander Skrjabins Konzert für Klavier und Orchester fis-Moll op. 20 stand auf dem Programm. Der Russe Alexander Skrjabin gilt als absoluter Exzentriker in der Welt der Klaviermusik. Seine Werke zählen nicht nur zu dem pianistisch anspruchsvollen, sie begeistern auch heute noch durch ihre Emotionalität, ihre Radikalität, ihre Wucht und so sollte auch dieser Abend fortgespielt werden als Andrei Korobeinikov sich ans Klavier setzte. Er studierte am Konservatorium in Moskau und schloss sein Studium bereits mit 19 Jahren ab. Sein Studium setzte er am Royal College of Music in London fort. Bereits 2008 spielte Andrei Korobeinikov eine CD mit Werken von Skrjabin für Mirare/Harmonia Mundi ein. Eine weitere CD mit sämtlichen Etüden Skrjabins ist 2014 erschienen und hat ein begeistertes Presseecho erfahren. An diesem Abend schuf Korobeinikov eine lyrisch-metaphysische Atmosphäre. Mit brillanter Technik spielte er die schwierigsten Passagen und zauberte einen durchsichtigen verträumten Klang in dem 2. Satz.

Es war als folgte man seinem Tastenspiel auf einer Reise hinter den Horizont des Bedingten. Mirga Gražinyte-Tyla sorgte für perfektes Zusammenspiel zwischen Korobeinikov und Orchester. Einige Male im ersten Satz hatte der Pianist allerdings Mühe sich gegen die laute Wucht des Orchesters durchzusetzen. Auf dieses spirituell wagnisreiche Spiel folgte Dauerapplaus und Korobeinikov revanchierte sich mit einer Zugabe.

Mit Jean Sibelius Lemminkäinen-Suite op. 22 ging es nach der Pause weiter. Bevor sie den Taktstock nahm, kündigte Mirga Gražinyte-Tyla noch eine Vertauschung der Sätze an. Den Schwan von Tuonela setzte sie an die dritte Stelle der vier Sätze.

Diese nordisch-sehnsuchtsvolle, aber auch abenteuerlich-burleske Musik rundete diesen Konzertabend ab. Mirga Gražinyte-Tyla hatte das Philharmonische Orchester Erfurt zu einem Klangkörper geformt, der sowohl ein eindrucksvoll intensives Volumen entwickelte als auch feinabgestimmt vollkommen überzeugte. Mirga Gražinyte-Tyla führte die großen Klangbögen, steigerte die Dynamiken und sorgte für ein feinabgestimmtes Zusammenspiel. Mit ihrer Spielenergie riss sie das Orchester förmlich mit. Die Facetten reichten vom einfühlsamen Englischhorn-Spiel über die Geigen und Celli-Gruppen, die an diesem Abend zu einer Hochform fanden, dass das Publikum sich beim Beifall nicht mehr bremsen konnte.

Mirga Gražinyte-Tyla gab in Erfurt nicht nur ihr Debüt als Dirigentin, sondern auch als Klangmagierin, die sowohl das Publikum als auch das Orchester verzauberte und damit allen ein nachdrückliches Erlebnis vermittelte.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

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