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ERFURT: ORPHEUS UND EURYDIKE von Chr. W. Gluck. Premiere

27.02.2016 | Oper

Orpheus und Eurydike Oper von Christoph Willibald Gluck/ Premiere Theater Erfurt am 27.02.2016
Glucks Reformoper als Tanztheater-Projekt mit viel Rhythmus und Akrobatik

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Copyright: Theater Erfurt

Orpheus und Eurydike wird zu Recht als ein Meisterwerk des musikalischen und dramatischen Genies von Christoph Willibald Gluck betrachtet. In dieser Oper wird zum ersten Mal die Musik vollkommen organisch auf die dramatische Entwicklung komponiert. Rezitative, Arien, Pantomimen und Chöre entfalten ihre Bedeutung symbiotisch auf der Bühne. Generalintendant Guy Montavon hat, aus dieser Erkenntnis gespeist, die Choreographin Ester Ambrosino für die Gesamtinszenierung engagiert. Sie leitet das Tanztheater Erfurt e.V. und erhielt 2015 den Kulturpreis der Stadt Erfurt. Ester Ambrosino hat sich für eine frühere Version von Glucks Oper entschieden: die italienische Urfassung, wie sie am 5. Oktober 1762 im Wiener Burgtheater erklungen ist.

Die Aufführung enthält einige Einschübe aus der zwölf Jahre späteren Fassung für die Pariser Opéra. Und das Programmheft gibt zu verstehen, dass die Idee des Gesamtkunstwerkes Pate steht.

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Copyright: Theater Erfurt

Der erste Akt wird, in der Regie Ester Ambrosinos, zu einem Fresko der Trauer. Majestätisch und traurig wirkt der Klang des Beerdigungs-Chores. Vor diesem Hintergrund erhebt sich ein leidenschaftliches Heulen der Trauer, gesungen von Mireille Lebel als Orpheus. Die Solo-Episode von Orpheus mit den Echos der expressiven Melodie wird vom Chor eindrucksvoll wiederholt: „Wo bist du, meine Liebe“. Im Geiste dieses Lamentos durchdringt Lebel den Raum. Sie hält provozierend ihre Arien den dramatischen Rezitativen entgegen. Konzeptionell hat Ester Ambrosino den Sängerinnen jeweils einen Tänzer an die Seite gestellt. Das sind: Anton Rudakov (Orpheus), Magali Sander Fett (Eurydike) und Johanna Berger (Amor). Die Tänzer verschmelzen mit den Sängern zu einer Rolleninterpretation, bei der jedoch jede künstlerische Eigenständigkeit bleibt. Was die Sängerinnen Mireille Lebel (Orpheus), Margrethe Fredheim (Eurydike) und Nicole Enßle (Amor) singen, das setzen die Tänzer in tänzerischen Gestus um. Wobei das Spektrum von Elementen des klassischen Tanzes bis zur Tanztheatersprache Pina Bauschs reicht. In den neunziger Jahren gehörte Ester Ambrosino zu Pina Bauschs Companie.

Ester Ambrosino gelingt mit ihrer Inszenierung eine dramatische Steigerung, die vor allem in der Unterwelt im zweiten Akt einen expressiven Höhepunkt erreicht. Chor und Tänzer zeigen eine gemeinsame Bildaussage, der sich im Publikum emotional niemand entziehen kann. Die Tänzer zeigen hier auch ein unglaublich akrobatisches Geschick und eine rhythmische Synchronizität. Dmitrijs Toconijs, Susanne Ogan, Daniela Backhaus, Juliane Bauer, Alexei Bernard, Veronica Bracaccini, Léonor Clary, Stefan Kirmse, Daniel Carlos Medeiros Almeida, Manuel Schuler, Kai Siegel und Alekszandr Szivkov, Kathrina Wilke, Tabea Wittulsky sind hier das faszinierende Tänzer-Ensemble.

Gesanglich erweist sich die kanadische Mezzosopranistin Mireille Lebel als Glücksgriff in der Besetzung. Ihre brillante Stimme verleiht dem Wehklagen des Orpheus eine eindringliche aber auch subtile Gestalt. Glockenhell durchdringt sie die Düsternis des Hades und betört damit auch das Publikum. Nicht ganz so glanzvoll wirkt dagegen an diesem Abend Margrethe Fredheim als Eurydike. Sie wirkt ein bisschen angestrengt. Ihr Spiel ist allerdings ganz die Verkörperung der liebes-sehnsüchtigen Eurydike, wenn auch manchmal etwas blass. Als akustischer Wirbelwind tritt Nicole Enßle auf. Sie singt mit ihrem runden Sopran sonst im Opernchor des THEATERS ERFURT. In den Höhen singt sie nicht immer ganz sauber, hat aber mit dieser Solopartie ein insgesamt gelungenes Debüt gegeben. Quirlig stellt sie den Amor dar und ist das sängerische Bindeglied zwischen den anderen Akteuren.

Zoi Tsokanou, die in Thessaloniki geborene Dirigentin, hat an diesem Abend die musikalische Leitung. Ihr gelingt es die Spannungsbögen herauszuarbeiten. Mit dem Orchester unterstützt sie die Sänger gut und auch die rhythmischen Steigerungen des Balletts forciert sie ausgezeichnet. Sie arbeitet die schaurig schönen Momente heraus und schafft gemeinsam mit dem Chor, unter der Leitung von Andreas Ketelhut, diese prickelnde Atmosphäre des Jenseits und doch Gegenwärtigen. Aus der Unterwelt dringt eine transzendent himmelsschwingende Musik. Und auch im tragischen Ende, denn man den Schluss der Vergänglichkeit gewählt, verheißen die Töne kontrastierend mit den Bildern der Trauer eine fortdauernde Hoffnung. Ein dialektisches Ende, das die Tragik nicht ausklammert. Das dramatisch-musikalische Konzept wird vom minimalistischen Bühnenbild getragen, dessen Ausstattung Jeannine Cleemen und Moritz Weißkopf entwickelt haben.

Insgesamt ist diese Orpheus und Eurydike, Opern- und Tanzinterpretation, aus der Hand Ester Ambrosinos eine sehr eigenständige aber gut nachvollziehbare Neuinterpretation der Gluck-Reformoper. Vom Erfurter Publikum gab es dafür leidenschaftlichen Applaus.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

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