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ERFURT: EUGEN ONEGIN – Romantisch in Moll gehüllter Weltschmerz- Premiere

15.02.2014 | KRITIKEN, Oper

Romantisch in Moll gehüllter Weltschmerz – kraftvoll und subtil die Eugen Onegin Premiere im Erfurter Theater am 14.2. 2014

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Kartal Karagedik. Foto-Copyright: Theater Erfurt

 Das Erfurter Theater zeigt Tschaikowskis Eugen Onegin als intimes Seelendrama. Die Bühnengestaltung und die Personenführung in der Regie von Hermann Schneider arbeiten die Charaktere der Protagonisten heraus. Schon die konisch sich nach hinten verjüngende Bühne vergrößert die handelnden Personen: Tatjana, Onegin und Lenski. Dass der Regisseur Hermann Schneider Inneres nach außen kehren will, deutet sich schon im ersten Szenenbild an. Onegin, der Geschlagene, lehnt in Lumpen gehüllt an einer Birke. Der Beginn nimmt die Katastrophe seines seelischen Zusammenbruchs vorweg. Seine talentreichen Anlagen hat er verwirkt, sein Potential ist verschleudert. Onegin blickt zurück mit dieser tragödenhaften Erkenntnis und das Bühnenbild mit seinem unendlich weißen Raum fokussiert diese psychische Implosion für den Zuschauer. Entworfen hat dieses Bühnenbild Bernd Franke. Die Durchgängigkeit dieses konischen Bühnenprinzips erscheint für den Betrachter aber auch als statischer Eindruck, viele lebendige Szenen im hinteren Bühnenraum wirken entrückt.

Es ist schon faszinierend, wie Kartal Karagedik den Onegin in seiner Zerrissenheit präsentiert, um dann in den Rückblickszenen ganz den arroganten, weltgewandten und nutzlosen Schönling darzustellen. Teflonimprägniert und tänzelnd zerstört er mit spaßbetonter Glattheit das Leben derer, die ihn brauchen und etwas von ihm erwarten: Tatjana und Lenski. Es ist das Geschick der Schneiderschen Personenführung, wie in konzentrischen Kreisen immer wieder Schlüsselszenen herauszuarbeiten, in denen glaubwürdige Entscheidungsprozesse stattfinden. In der Briefszene wirkt Tatjana, brillant gespielt und gesungen von Ilia Papandreou, flippig und euphorisch:

Ich schreib an Sie ohn‘ all Bedenken,
 
ist damit alles nicht gesagt?
Sie dürfen ungestraft mich kränken,
ich beug mich wehrlos Ihrer Macht.“

Sie bewegt sich wie aufgezogen. Schreibt man so einen Brief? Nein! Die Szenenanlage soll ihr Glücksgefühl widerspiegeln und sie fällt nach Onegins Reaktion aus allen Wolken. Die zarte Liebe bekommt auch spielerisch einen eiskalten Dämpfer. „Dieser verdammte arrogante Onegin!“, möchte man ausrufen und begreift doch bald, dass der rückschauende Onegin in seinem Lumpengewand es selbst versteht. Die zweite große Schlüsselszene, das Duell mit Lenski, unterliegt ebenso einer enormen dramatischen Steigerung. Aus dem nichtigen Anlass wird Verderben und Tod, aus Partygeplauder entwickelt sich eiskalte Vernichtung. Doch bevor der gnadenlose Showdown beginnt, singt Richard Carlucci die Arie des Lenski:

Wohin, wohin seid ihr entschwunden, Jugendzeit, o Liebesglück?“

Das macht er mit wirklich großer Stimme und so viel Gefühl, das er seinen ganzen Abschiedsschmerz fließen lässt. Kaum verklungen, herrschte sekundenlang andächtige Stille, die sich in minutenlangem Szenenapplaus entlädt. Dieser täppisch bebrillte Carlucci/Lenski ergreift die Hörerherzen. Verstärkt wird das Gefühl des Verlassenseins noch durch die kalte Bühne und den stupiden Regelablauf. Der Tod so unspektakulär wie möglich und Onegin/ Karagedik  so zynisch, eisig, dass es einen fröstelt. Gregor Loebel als Saretzky und damit Leiter des Duells unterstreicht mit seinem Bass die formelhafte Sinnlosigkeit des Handelns.

Der Tote bleibt liegen, jetzt liegt er als Schatten über dem Leben des Dandys, aber es gibt eine weitere Dimension, um den hingeworfenen Körper tanzt die gehobene Gesellschaft. Sie stört sich nicht am Kadaver, der auch später so entsorgt wird. So wie sie beim Fest ausrufen: „Was für ein Fest, was für ein Skandal!“ so gleiten sie leichten Fußes über den Verlierer, als hätte er nie existiert. Hermann Schneider sucht mit seiner Regie auch diese gesellschaftskritische Seite und wird dabei von den Kostümen Götz Lanzelot Fischers unterstützt, der den Chor in verschiedene Kostüme von 1890 bis zum Vorabend des 1. Weltkrieges kleidet. Eine Gesellschaft tänzelt in Abgründe, so die Bildsprache.

Musikalisch ist Peter Feranec mit seinem slowakischen Temperament eine ausgezeichnete Wahl als Dirigent. Er bringt das Orchester zu diesem slawisch poetischen Strömen, das die künstlerische Wahrhaftigkeit so unterstützt. Man spürt das Feranec sich einem unverbindlichen Opernlyrismus verweigert, aber diese Opern-Elegie mit einem Orchester innerer kraftvoller Strömung stützt. So motiviert er vor allem die Sänger, die nur mit diesem verständigen Dirigat so authentische Leistungen vollbringen können. Die für Tschaikowski so typische „Pseudo-Realistik“ des Seelendramas artikuliert sich in den romanzenartigen zarten musikalischen Nummern, Walzern und Liedanklängen und genau das beherrscht Peter Feranec meisterlich. Er hält das Orchester gut zusammen, von kleinen Pannen abgesehen, und bringt es zu diesen quellenden Bögen, von denen das Publikum zu Recht sich beeindruckt zeigt. Peter Feranec modelliert musikalisch die seelischen Kurven des Bühnengeschehens. Sein Studium in St. Petersburg in Russland und seine Arbeit am Bolschoi-Theater in Moskau haben ihn sicher dazu reifen lassen.

Sehr überzeugend präsentiert sich der Chor unter der Leitung von Andreas Ketelhut und der Choreografie von Sten Miteis. Gerade diese Chorszenen verstärken den Fluss der Inszenierung.

Neben den Protagonisten bleibt die Rolle des Fürsten Gremin dramaturgisch vielleicht zurück, musikalisch aber liefert Vazgen Ghazaryan eine Bass-stimmfüllende-Präsenz, mit seiner Arie:

„Ein jeder kennt die Lieb‘ auf Erden,
ein jeder muss ihr Sklave werden:
der Jugend ungebrochne Kraft,
des reifen Alters Leidenschaft.
Und wer an Liebe nicht mehr glaubt
hat sich des schönsten Schmucks beraubt.“

Die Zuhörer fühlen zu langem Beifall motiviert. Bleibt noch anzumerken, dass er den russischen Text so natürlich singt, wie keiner der anderen Sänger. Dieses gute Bauchgefühl Ghazaryans teilt sich einfach mit.

Als Larina setzt Karan Armstrong ganz eigene Akzente. Ihr gelingt die Verkörperung einer echt russischen Gutsbesitzerin, bemüht um ihre Gäste und mütterlich streng, füllt sie die Rolle auch gesanglich so dicht aus, dass sie in dieser Nebenrolle schon imponiert. In symbiosehaftem Zusammenspiel mit ihr tritt Katharina Walz als Filipjewna, die Amme auf. Einen dramaturgischen Kontrapunkt zur euphorisch sehnsüchtigen Tatjana kann Henriette Gödde setzen. Sie porträtiert eine unbeschwerte und ausgelassene Olga, die gerade durch ihre Unbedarftheit den Konflikt zwischen Lenski und Onegin steigert. Sehr amüsant wirkt Triquets Auftritt, verkörpert von Christoph Dyck. Er spielt einen Maître de Plaisir mit clownesker Komik, Lachmuskel strapazierend.

Wer sich für den Valentinstag eine Premierenkarte gekauft hatte, der wurde vom Theater Erfurt mit einer stimmigen, werkgerechten Inszenierung verwöhnt. Kann man sich und seiner Liebsten Besseres schenken? Das Publikum hat sich belohnt gefühlt. Zweiter Besuch nicht ausgeschlossen!

Thomas Janda

 

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