Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ERFURT: BORIS GODUNOW – „Was ist Macht wert?“ Halbszenisch

14.04.2014 | KRITIKEN, Oper

Was ist die Macht wert? Choroper „Boris Godunow“ hatte im Erfurter Theater Premiere am 13. April 2014 im halbszenischen Format

12 godunow
Copyright: Theater Erfurt

„Boris Godunow“ ist in bestem Sinne ein Volksmusikdrama. Die Oper entwickelt ein facettenreiches Bild, ähnlich wie Shakespeares Königsdramen. Das Volk ist die Hauptfigur der Oper. Außerordentlich sind die Kontraste arrangiert und die Personagen mit außergewöhnlicher Tiefe und psychologischer Einsicht skizziert. In der Musik wird mit ungeheurer Kraft die Tragik der Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit des Zaren offenbart und der rebellische Geist des russischen Volkes wird innovativ umgesetzt.

 Der Prolog besteht aus zwei Szenen. Die orchestrale Einleitung zu Beginn drückt Trauer und tragische Hoffnungslosigkeit aus. Der Chorus ähnelt den klagenden russischen Volksliedern. Das zweite Bild des Prologs kommt als eine monumentale Chorszene, durch das Läuten der Glocken eingeleitet.

 Das feierliche Jubeln für Boris „Oh, wie ist der Himmel so rot “ basiert auf einer echten Volksmelodie. In der Mitte des Bildes steht der Boris-Monolog „trauernden Seele“, die Musik nimmt seine eigene Tragik vorweg, die seine königliche Pracht mit seinem tragischen Untergang kombiniert. Godunow versteht, dass er nie als legitimer König akzeptiert wird.

 Der zweite Akt entfaltet in groben Zügen das Bild von Boris Godunow. Ein langer Monolog voll unruhigen und traurigen, ängstlichen Kontrasten. Boris geistige Dissonanz verdeutlicht sich in einem Gespräch mit Fürst Schuiskij, dessen Stimme klingt sanft und zugleich heuchlerisch verschärft, so erreicht die Szene eine Grenzspannung vor allem in der Schlussszene, die in Halluzinationen kulminiert.

 Die zweite Szene des vierten Aktes endet, psychologisch sich steigernd, mit dem Tod von Boris. Sein letzter Monolog, “ Lebe wohl, mein Sohn!“ wird umrahmt von tragisch friedlichen Tönen. Der mittlere Abschnitt des Chors: „Oh, Sie zwingen “ ist eine geschwungene Melodie eines russischen Reigen-Songs. Die Oper endet mit dem feierlichen Einzug des Prätendenten und die Menge bricht in Jubel aus, nur der Gottesnarr klagt: „Wehe dir, du armes Volk!“

 Nils Stäfe ist der gewaltgeile Oberpolizist, er prügelt und schnauzt ein bisschen auf die Leute ein und zwingt sie auf die Knie. Sie sollen den Boris Godunow als neuen Zaren anbeten und ihn damit in seine neue Rolle drängen.

 Er war enger Berater des verstorbenen Zaren, und die eigentlichen Strippenzieher im Hintergrund, allen voran Kartal Karagedik als Minister Schtschelkalow, Geheimschreiber der Duma, sehen in ihm einen willfährigen König. Nun gilt es nur noch, ihn zu überzeugen und die aufständischen Bojaren klein zu halten. Das geschieht vor allem mittels bombastisch angelegter Chor- und Orchestermassen, Posaunenfanfaren und großem Glockengeläut.

 Das meist durchgehend rezitativische Singen der – durchweg ausgezeichneten – Solisten klingt wie ein lautes Gemurmel, immer in Moll, immer klagend, anklagend, verzweifelnd, weinend, ausweglos. Da ist wenig Raum für Spaß und keine Zeit für Fröhlichkeit.

 Hank Irwin Kittel hat mit seiner szenischen Konzeption und seiner Ausstattung diese klangliche Düsternis nicht etwa konterkariert, sondern die grandiose Niedergeschlagenheit Mussorgskys vollkommen in sich aufgesogen und eine Bühne voller Schwarz- und Brauntöne geschaffen, ein minimalistisch gestalteter Raum in dem sich die deprimierende russische Geschichte von Macht, Gewalt und Amoral abspielt.

 Auf die transparente Wand, hinter der das Orchester sitzt, werden Bilder projiziert. Da fällt immer wieder ein Tropfen und Wellen breiten sich aus. Allerdings werden solche Bildelemete überstrapaziert. Solche Bilder bieten zur eindrucksvollen Musik viel Raum für eigene Gedanken. Atmosphärisch trägt dazu auch die Lichtregie von Stefan Winkler bei.

 Mikhail Kazakov als Boris Godunow schlägt mit seiner Art zu singen das Publikum in seinen Bann. Er nimmt die Zuhörer mit in diese dunklen Räume seiner selbstquälerischen Gedanken.

 Dirigent Samuel Bächli steht mit Gelassenheit vor dem Erfurter Orchester auf der Hinterbühne und hat das alles sehr präzis im Griff, ohne bei jedem klanglichen Überraschungseffekt gleich hysterisch zu werden. Die Historienoper „Boris Godunow“ von Modest Mussorgsky ist lang und es wird viel passieren, bis Fürst Boris an seiner eigenen Macht zerbricht. Das dirigiert er mit gut dosiertem Atem im Wechselspiel mit einem gut voluminiertem Chor unter der Leitung von Andreas Ketelhut. Synchron unterstützt von Juri Lebedev, dem Bühnendirigenten.

Eindrucksvoll zeigt sich auch der greise Mönch Pimen (Vazgen Ghazaryan), der vom Kindsmord berichtet und er vermittelt es dem jungen Mönch Grigori (Richard Carlucci) nachdrücklich.

 Jörg Rathmann als Gottesnarr erhebt Klage gegen Godunow, der den Zarewitsch ermordet hat. Als Nicht-Russe fängt Rathmann den Archetyp des Gottesnarren gut ein und stellt ihn überzeugend dar, damit sorgt er für das notwendige Wechselspiel, allerdings mehr im Tragischen als im Komischen verharrend.

 Das Ende ereilt Godunow im Beisein spielender Kinder Fjodor (Mireille Lebel) und Xenia (Akiho Tsujii). Ihre Stimmen intonieren glockenklar. Gregor Loebel als Warlaam erweist sich immer wieder als solide Bassstütze und sowohl sängerisch als auch dramaturgisch. Auch Katja Bildt als Wirtin wurde mit starkem Beifall aufgenommen vom Erfurter Premierenpublikum.

 Die große musikalische Erfahrung des Abends ist Mikhail Kazakov als Godunow. Generalintendant Guy Montavon hat ihn bei einem Wettbewerb in Minsk erlebt und sofort engagiert. Für die Erfurter Inszenierung ist das natürlich der Hauptgewinn. Er ist schon lange kein Unbekannter mehr und tritt im Bolschoi-Theater und der Wiener Staatsoper auf.

 Genau wie Puschkin es damals schwer hatte, sein Drama unter Zar Nikolai I. aufzuführen, genauso schwer hatte es Mussorgski seine, zu der Zeit etwas chaotische, gleichnamige Oper zur Aufführung zu bringen. Erst nach seinem Tode erlangte sie durch die Fassung von Rimski-Korsakow Weltbekanntheit. Auch der Diktator Stalin liebte diese Oper. Zum Schluss gibt es Projektion einer Moskauer Maiparade mit Putin. Natürlich drängen sich diese Bilder auf, aber vielleicht hätte man sie deshalb nicht verwenden sollen, denn das Zuschauer-Volk in Erfurt stellt solche Assoziationen selbst her.

„Boris Godunow “ hat enormes Charisma. Viele Zuschauer zeigten sich emotional berührt. Die Tiefe dieser Oper wird gerade in diesen politisch brisanten Tagen noch oft gedeutet werden. Über Mussorgskys Oper “ Boris Godunow “ ist eine mentale Annäherung möglich und danach ist es unmöglich, dieses Meisterwerk der russischen Kunst zu vergessen.

 Thomas Janda

 

Diese Seite drucken