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ERFURT: 5. SINFONIEKONZERT (Brahms/ Schostakowitsch. MDR Sinfonieorchester)

25.01.2015 | Konzert/Liederabende

Erfurt/Theater/5.Sinfoniekonzert/ MDR-SINFONIEORCHESTER: JOHANNES BRAHMS, Doppelkonzert a-Moll, op. 102 und

DMITRI SCHOSTAKOWITSCH, Symphonie Nr. 7 op. 60

 Erfurt/Theater/MDR-SINFONIEORCHESTER: Kristjan Järvi dirigiert BRAHMS und SCHOSTAKOWITSCH, 24.01.2015

 Kristjan Järvi ist ein Dirigent, der zwischen den musikalischen Welten wandelt und das Beste zum Funkeln bringt. Mit überzeugender Leidenschaft dirigierte er im Theater Erfurt zwei Meisterwerke:

JOHANNES BRAHMS, Doppelkonzert a-Moll, op. 102 und

DMITRI SCHOSTAKOWITSCH, Symphonie Nr. 7 op. 60.

 Musikgeschichtliche Reminiszenz: Doppelkonzerte für Violine und Violoncello sind vor Brahms kaum zu finden. So waren es ganz private Motive, die Brahms offenbar zu der Kombination dieser Soloinstrumente bewegt haben. Den Violinpart schrieb er für den damals berühmtesten Geiger Deutschlands, Joseph Joachim, den Cellopart für Robert Hausmann, den Cellisten im Streichquartett Joachims. Die beiden Solisten hatten es also täglich im Quartettspiel miteinander zu tun und konnten die großen Dialoge zwischen Geige und Cello in der Kammermusik sozusagen aufs Orchester übertragen.

 So dialogisch und harmonisch abgestimmt spielen auch Anna-Liisa Bezrodny mit ihrer Amati-Geige und der Cellist Jan-Erik Gustafsson zusammen. Beide gehören zu den gefragtesten Solisten der internationalen Musikszene.

 In dem letzten seiner Solokonzerte lässt Brahms Violine und Cello auf ähnliche Weise miteinander dialogisieren wie in seinem c-Moll-Klaviertrio. In beiden Werken kündigt sich in der lakonischen Knappheit der Motivverarbeitung und dem herbstlich-melancholischen Duktus der späte Brahms an.

 Das Doppelkonzert beginnt mit wenig versöhnlichen Tönen. Es setzt ein wie ein Schicksalsschlag, knapp und wuchtig, aber auch kompromisslos wird das Hauptthema gesetzt, das aus nur drei Tönen a-g-e entwickelt ist. Den Aufschwung des Orchesters zum üblichen weit ausgreifenden Vorspiel verhindert das Cello mit einer Kadenz, deren schmerzliche Doppelgriffe, weite Lagen und Pizzicati um das Hauptthema kreisen. Danach werfen die Holzbläser das Seitenthema ein, das nun wiederum der Violine das Stichwort liefert. Aus der Violinkadenz wird rasch eine Duofantasie für die beiden Solisten, die in immer wildere und fast verzweifelte Passagen mündet. Aus dieser Ballung streicherischer Energie in den Soloinstrumenten heraus entsteht das eigentliche Orchester-Vorspiel. Es handelt sich um eine geniale Umkehrung der Verhältnisse im gewöhnlichen Solokonzert.

 So wie Brahms zu Beginn das “männliche” Cello dem kraftvoll-knappen, tragischen Hauptthema zuordnet, die “weibliche” Violine dem weich-seufzenden Seitenthema, so ist auch die Rollenverteilung im weiteren Verlauf des Satzes. Ähnlich der Romeo und Julia-Ouvertüre von Tschaikowsky handelt es sich um ein Ringen zwischen lieblicher Idylle und tragischer Verstrickung. Das Cello zieht die Violine immer wieder in düster-gefärbte Dialoge hinein, bei der Geige behauptet sich das liebliche Seitenthema. Brahms hat dies auch in den Klangfarben des Orchesters wunderbar differenziert ausgemalt: hier hohe Flöten- und Oboenklänge, dort tiefe Streicherlagen mit Klarinetten und Paukenwirbeln. Am Ende behält der tragische Ton des Hauptthemas die Oberhand. Geigerin Anna-Liisa Bezrodny und der Cellist Jan-Erik Gustafsson verkörpern diese Einheit der Gegensätze meisterlich an diesem Abend.

 Gegenüber dem gewaltigen Kopfsatz treten die beiden folgenden Sätze stärker zurück als in den anderen Konzerten von Brahms. Andante und Finale dauern zusammen so lange wie das Eingangsallegro. Dabei ist der Mittelsatz ganz als träumerisches Idyll angelegt. In Hörnern und Holzbläsern kündigt sich das Thema von fern an, das die beiden Solisten zu reichen Streicherharmonien verschwimmen.

 Mit den vielfältigen Wendungen gibt es beiden Solisten reiche Gelegenheit zu weit ausholenden Melodiebögen. Ein choralartiges zweites Thema ruft einen bewegten Dialog der Soloinstrumente hervor, der sich über zarten Klarinetten- und Flötenstimmen abspielt und eine dezente ungarische Färbung annimmt. Zusammengehalten wird alles mit tänzerisch-schwärmerischen Bewegungen des Dirigenten Kristjan Järvi. Er flößt seinem MDR-SINFONIEORCHESTER diese Schwünge ein wie ein Tanzlehrer, der jeden Schritt verinnerlicht hat und dem deshalb alles aus dem Bauch heraus gelingt.

 Ein ungarischer Ton beherrscht das Finale. Das Rondo-Thema ist dem Cello in die Saiten geschrieben. Ein eigenwillig trottender Tanz, in den die Violine schmachtende Terzen schmeichlerisch einstreut.

 Der lebhafter werdende Dialog der Solisten wird von wilden ungarischen Einwürfen des Orchesters begleitet. Ein zweites Thema, ganz aus dem Cello erfunden, öffnet weite Aussichten und schließlich bringen die Solisten die Hörer mit einem dritten wuchtigen Triolenthema in die ungarischen Tonwelten zurück. Zigeunermusik lässt nun einen Zug ins Virtuose erblicken. Am Ende geht es um einen virtuosen Schlagabtausch, glänzend pariert von beiden Solisten: Geigerin Anna-Liisa Bezrodny und Cellist Jan-Erik Gustafsson. Kristjan Järvi verwirklicht das brahmssche Doppelkonzert als Musterbeispiel eines sich erfüllenden Dialoges zwischen zwei Soloinstrumenten, die wie Schauspieler auf einer Bühne in ihren Charakteren differenziert entfaltet und entwickelt werden.

 Von diesem brillanten solistischen und orchestralen Wechselspiel erfüllt, gingen die Hörer in die Pause, um sich auf eine Orchesterschlacht vorzubereiten:

Die Symphonie Nr. 7 op. 60 von Dmitri Schostakowitsch

 Rückblick: Am 9. August 1942 erklang in Leningrad, der schon seit über einem Jahr von deutschen Truppen eingeschlossenen und hungernden Stadt, die Siebte Symphonie von Dmitri Schostakowitsch. Die Uraufführung war zuvor in im sicheren Kuibyschew.

 Die „Leningrader“ dirigierte damals Karl Eliasberg und ihm zur Verfügung stand ein Orchester aus 15 überlebenden Musikern seines Rundfunkorchesters und anderen Musikern, die eigens von der Front abberufen waren. Die Leningrader Philharmoniker unter Leitung von Jewgeni Mrawinski waren nach Novosibirsk evakuiert worden, wo sie bereits im Juli die Siebte Symphonie mit großem Erfolg aufgeführt hatten.

 Die Partitur der Symphonie gelangte in einem Sonderflugzeug, das die Blockade umflog, in die umlagerte Stadt. Ausgerechnet am Tag des Konzerts startete die Wehrmacht eine Offensive und flog heftige Bombenangriffe.

 Das Konzert verlief „stürmisch und leidenschaftlich – wie eine Festversammlung, großartig und feierlich – wie ein Nationalfeiertag“, schrieb der Komponist Walerian Bogdanow-Beresowski zwei Tage danach in der Leningradskaja Prawda, ein Freund Schostakowitschs und Teilnehmer des Konzerts. Für viele Leningrader erhöhte dieses Konzert den Glauben an einen Sieg. Die Musik soll auch in den Schützengräben der deutschen Soldaten zu hören gewesen sein.

 Die Leningrader Symphonie wurde Schostakowitschs populärstes Werk, das nach seiner Uraufführung schnell einen Siegeszug durch die Konzertsäle aller Welt erlebte. Außer in den Städten der Sowjetunion gab es 60 Aufführungen allein auf dem amerikanischen Kontinent, ebenso in den meisten Hauptstädten Ost- und Westeuropas. In Berlin wurde sie erstmals im Winter 1946/47 in der Deutschen Staatsoper unter Leitung von Sergiu Celibidache aufgeführt. Überall gab es begeisterte Reaktionen. Musikkritiker, Musiker und Dirigenten verglichen Schostakowitschs Siebte Symphonie mit Beethovens Eroica und bezeichneten den Komponisten als Genie. Allgemein wurde seine Siebte mit dem Kampf der sowjetischen Bevölkerung gegen die faschistischen Truppen identifiziert.

 Dann geriet genau diese Symphonie in das Räderwerk des Kalten Krieges von sowjetischen Kulturfunktionären, die das Werk zu wenig siegesgewiss fanden und westlichen Kulturtheoretikern, die dieses Werk als Auftragspropaganda Stalins denunzierten.

 Über beides ist man heute glücklicherweise hinweg und die Leningrader Symphonie kann als authentische Komposition von Schostakowitsch wahrgenommen werden. Diese Gelegenheit hat Kristjan Järvi mit seiner Dirigentenvariante im Theater Erfurt angeboten und sie wurde mit vollem Haus genutzt.

 Der erste Satz mit dem plötzlichen Einbruch des Marschthemas und ihren elf Variationen, erst leise mit Geigen und Bratschen vorgetragen, begleitet von einer kleinen Militärtrommel, danach variiert durch Flöte, Oboe und Fagott, sich steigernd durch immer mehr Instrumente und schließlich kulminierend in einem Orkan von Bläsern und Trommeln auf dem prasselnden Hintergrund der Violinen, die mit dem Bogenschaft auf die Saiten geschlagen werden.

 Das so genannte Invasions-Thema ist der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ entlehnt, zugleich klingt es an das Operettenlied „Da geh’ ich zu Maxim“ aus Franz Lehars „Lustige Witwe“ an, der Lieblingsoperette Hitlers.

 Unheimlich schleicht sich das Trommelostinato ein. Die codaratigen Schlusstakte wehen aus der Ferne herein, als bliebe der Schrecken ewig. Fast geisterhaft beginnt das Scherzo Moderato bis eine marschartige Episode sich Bahn bricht, die wieder bald in einen Alptraum kippt. Das Adagio schwankt zwischen Traum und Wirklichkeit. Ein melancholischer Rückblick auf eine friedvolle Zeit mit wehmütiger Schönheit.

 Das Finale scheint zunächst in fahles Licht getaucht. Signale sind zu hören, marschartige Bewegungen werden synkopenartig vorwärtsgetrieben und schließlich noch von donnerndem Blech und jagenden Streicherfiguren vorwärtsgepeitscht. Und dann aus einem blockhaft wirkenden Trauermarsch entwickelt sich sehr langsam die Schlussapotheose. Immer deutlicher nimmt das Hauptthema Gestalt an bis es von der Pauke gehämmert und den Blechbläsern drohend geschmettert wird. Jetzt kehrt das Thema des Kopfsatzes wieder, bis der Satz von der Pauke mehr zerschlagen abreißt als ausklingt.

 Mit dem Dirigenten Kristjan Järvi und dem MDR-Sinfonieorchester wird dieser Konzertabend zu einer Reise durch die Nacht zum Licht. Kraftvoll und zugleich mit schwingender Zerbrechlichkeit bewegt sich Järvi auf seinem Podest. Er ist der Klangmagier, der diese abenteuerlich schaurige Reise anführt und ihm folgen an diesem Abend gebannt die Hörer durch die Untiefen menschlichen Daseins. Mit seinen zurückhaltend aber kraftvollen Bewegungen befeuert Kristjan Järvi das Orchester mit dieser mythischen Energie und das Publikum folgt gebannt bis zum Schlussakkord, nach dem es sich, Sekunden-Bruchteile der Stille aushaarend, in einem orkanartigen Jubelapplaus entlädt, der lange anhält.

 Ein Konzertabend, der sich wie ein Feuermahl in das musikalische Gedächtnis der teilnehmenden Hörer einprägen wird. Auch die dramaturgische Steigerung des Abends insgesamt sei hier noch einmal ausdrücklich gelobt.

 

Thomas Janda

 

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