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Elfriede Hammerl: ALTE GESCHICHTEN

BuchCover Hammerl, Alte Geschichten

Elfriede Hammerl:
ALTE GESCHICHTEN Erzählungen
190 Seiten, Kremayr & Scheriau, 2018

Das „alt“ des Titels hat den absolut beabsichtigten Doppelsinn: Einerseits sind es die alten, weil immer dieselben Geschichten des Alltags, als deren genaue Beobachterin wir Elfriede Hammerl seit Jahrzehnten in ihrer Eigenschaft als ironisch-bissige Kolumnistin kennen. Andererseits sind es Geschichten über das Älterwerden, Altwerden, Altsein, was jedem, der nicht jung stirbt, bevorsteht – wenn man es sich auch nicht vorstellen kann, solange es nicht da ist.

Neunmal Beziehungsgeschichten, teils zwischen Paaren, teils in Familien, auch über Eltern und Kinder hat die Autorin einiges zu sagen (nicht immer zum Vorteil der Nachkommenschaft). Anfangs ist es die Männerwelt, die im Vergleich zu den Frauen nicht allzu gut wegkommt – die Männer, die rücksichtslos durchs Leben zischen und links und rechts die Gefühlsleichen liegen lassen, oder jene Männer, die in ihrer sturen Unbeweglichkeit die intelligenten Frauen an ihrer Seite ersticken.

Elfriede Hammerl spart auch nicht mit Kritik an jenen Frauen, die ihr Leben lang „brav“ alle zugeteilten Rollen von Tochter, Gattin, Mutter und vor allem Oma erfüllen (und folglich immer mehr oder minder widerstandslos von allen ausgebeutet werden) – und nicht an jenen, die dieses Rollenbild auch der Umwelt aufdrängen wollen: Besonders tragikomisch ist jene Geschichte, wo sich die junge Mutter am Stadtrand wieder findet, stolz „im Grünen“, bis sie merkt, dass niemand sie besucht und ihr vor allem niemand hilft – und sie vor Empörung kocht, dass die ältere Dame im Haus nebenan so absolut nicht bereit ist, als Reserve-Oma einzuspringen… das erwartet man doch von jemandem in ihrem Alter?

Elfriede Hammerl mag auch die Frauen nicht, die bereit sind, ihr Leben für die Rolle der betuchten „Trophäe“ oder „Beutefrau“ zu verkaufen und dann ziemlich ausschließlich damit beschäftigt sind, in sinnlosen Übungen ihre Körper für die Designer-Kleider fit zu machen. Und sonst? Nichts sonst.

Je weiter das Buch fortschreitet, um so gnadenloser werden die Geschichten. Etwa die eines alten Paares – beide „Has Been“ (der Cambridge Dictionary erläutert: „A person who in the past was famous, important, admired, or good at something, but is no longer any of these“), er offenbar einer der Philosophen, die man mitdiskutieren ließ, sie wurde in Fragen der Gesundheitsproblematik vor die Kameras gezerrt, aber mittlerweile erinnert man sich nicht einmal an einen runden Geburtstag des Alten, während bedeutungslose Kollegen noch immer im Rampenlicht stehen… ja, ja, man kennt das. Zwei alte Leute, die sich subtil gegenseitig herunter machen, weil sie nicht liebevoll, sondern neidvoll miteinander umgehen. Die leise Bosheit der Frau, mit der die Hammerl die Geschichte erzählt, erzeugt Gänsehaut, und wenn er endlich, endlich wieder ein Interview geben darf (dem „Globus“, das klingt ja fast wie „Der Spiegel“) – dann muss sie ihm die Freude zerstören und ein letztes Angebot für eine Konferenz annehmen (so zuwider ihr das eigentlich ist)… aber sonst könnte er sich ja überlegen fühlen. Es geht doch nichts über die menschliche Kleinlichkeit.

Ja, und am Ende, wenn die alte Frau, die einmal eine junge, selbständige Frau war und geistig noch ganz die Alte ist, im Altersheim behandelt wird wie ein unartiges Kind, das man zurechtweisen und erziehen muss… das ist geradezu gruselig.

Das sind Schlaglichter, die Elfriede Hammerl auf unsere Zeit und auf unsere gesellschaftlichen Gegebenheiten wirft, und sie tut es, wie es ihre Art ist, analytisch und absolut illusionsfrei. Und obwohl es teilweise unter der heiteren Oberfläche durchaus schmerzliche Geschichten sind – man liest sie gerne, unterhält sich dabei und legt die eine oder andere gewonnene Erkenntnis ab. Vielleicht, um sie demnächst im Alltag zu verwerten…

Renate Wagner