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DVD DER NUSSKNACKER (The Royal Ballet, 2016)

DVD Cover Nutcracker x~1

DVD
DER NUSSKNACKER
von P.I.Tschaikowsky
Covent Garden, London / The Royal Ballet / 2016
1 DVD, Opus arte

Der „Nussknacker“ ist nicht nur ein Longseller des Royal Ballets in London, seit Jahr und Tag immer wieder hervorgeholt, zumal zu Weihnachten; Die Aufführung – sie hatte im Jahr 1984 Premiere, ohne dass sie in den Jahrzehnten runzelig geworden wäre! – ist an sich schon eine Legende. Peter Wright, der 90jährige (der die Ballettwelt zuletzt mit seinen offenherzigen, zynischen Memoiren geschockt hat), hat sie geschaffen. Die Aufzeichnung von 2016 beweist wieder einmal, wie ein Werk, das man optisch (wollte man böswillig sein) in die Welt des Kitsches verweisen könnte, einfach nur den Mut zum ultimativen Zauber beweist.

Der „Nussknacker“ basieret auf einer Erzählung von E. T. A. Hoffmann, und Ballett-Zauberer Marius Petipa verfasste das Libretto, das er aus Krankheitsgründen nicht selbst realisieren konnte. Die Handlung ist hier einfach – die junge Clara (aus reichem Haus) bekommt von Onkel Drosselmeyer, der auch ein bisschen ein Zauberer ist, zu Weihnachten einen hölzernen Nussknacker geschenkt, der nicht nur lebendig wird, um den Mausekönig zu besiegen, sondern auch, um mit Clara in das Reich der Süßigkeiten zu reisen, bevor sich der Rahmen wieder schließt – zuhause, in der Weihnachtsnacht.

Die Uraufführung 1892 im Mariinski-Theater in Sankt Petersburg choreographierte dann Lev Ivanov, auf dessen Version sich Peter Wright in London stützte. Es ist zweifellos die am wenigsten „interpretierte“ und am stärksten auf den kindlichen und weihnachtlichen Effekt hin ausgerichtete Fassung, die man sich denken kann, ganz auf das optische Gesamtkunstwerk ausgerichtet (Designer: Julia Trevelyan Oman).

Als eines der drei „großen“, abendfüllenden Tschaikowsky-Ballette – neben „Schwanensee“ und „Dornröschen“ – schien „Der Nussknacker“ auf Anhieb am wenigsten Erfolg zu haben, bis er zu „dem“ Weihnachts-Stück mutierte (auch die Wiener Staatsoper setzt zu Weihnachten mehrere Vorstellungen an) – in London ohnedies immer ausverkauft.

Dabei mixt das Werk die „Spielzeug“-Szenen für die Kinder sehr raffiniert mit dem, was Erwachsene in einem großen Tschaikowsky-Ballett auch sehen wollen: Wenn Clara auf ihrer Reise durch ein Reich des Schnees kommt, übernehmen die Schneeflocken die Funktion von zumindest der „kleinen Schwäne“, im Zuckerland gibt es dann „exotische“ Tanzeinlagen wie in „Schwanensee“ (spanisch, arabisch, chinesisch, russisch) – und die Zuckerfee nimmt es mit allen Feen von „Dornröschen“ und fast auch der Schwanensee-Odette auf.

Für die Kinder quirlt das Spielzeug über die Bühne, wenn in Claras Familie Weihnachten gefeiert wird, Nussknacker gegen eine Mäuseschar ist auch mehr als kindergerecht – und an der „Wright nach Iwanow“-Choreographie wird in London offenbar ununterbrochen gefeilt, denn Präzision und witzige, „darstellerische“ Details (auch in der Familie – Vater, Mutter, Bruder) sind schier unübertrefflich. Selbst mit den doch sehr kitschigen Engeln kann man in dieser Welt leben.

Ein Artikel im Beiheft erzählt sehr hübsch, wie die meisten heutigen Hauptdarsteller ihren Weg durch die Minirollen des „Nussknackers“ gemacht haben, ob Schneeflocke, ob Maus, und auch diese Vertrautheit mag mitwirken, dass alle Solisten untereinander und das Corps dazu eine solche beschwingte Einheit ergeben.

Die Clara der Francesca Hayward ist nicht zuletzt so bezaubernd, weil man ihr das halbe Kind glaubt, das junge Mädchen, verliebt in den Spielzeug-Nußknacker und mehr noch in den lebenden jungen Mann, den Alexander Campbell tanzt und springt. Daneben ist das Paar Lauren Cuthbertson und Federico Bonelli als Zuckerkönigin und ihr Prinz für die brillanten „klassischen“ Nummern (allein und gemeinsam und hööchst kunstvoll) zuständig. Und weil es immer in diesen Balletten „Magie“ geben muss, hat man hier den unendlich liebenswürdigen, aber auch hintergründigen Gary Avis als Drosselmeyer. In diesem Rahmen stellen alle ideale Besetzungen dar.

Ein russischer Dirigent wie Boris Gruzin lässt die Musik so schweben wie die Tänzer, schließlich stammen vor allem aus dem zweiten Teil des Balletts einige von Tschaikowskys allerberühmtesten Melodien. Und das ist eben Musik, die für Ballett geschaffen wurde und entsprechenden Schwung weitertragen muss.

Am Ende, beim stürmischen Applaus, strahlt der 90jährige Peter Wright, der sich noch immer sehr gerade hält, und darf den persönlichen Triumph einer seiner „unsterblichen“ Schöpfung auch auf DVD verewigt wissen.

Wenn man seine Kindheit in die Tasche gesteckt hat und sie für zwei glückliche Stunden hervorholen will, ob Weihnachten oder nicht (aber dann wohl besonders), dann kann man sich nichts Besseres tun, diesen „Nussknacker“ ins DVD- oder BlueRay-Gerät zu schieben. Und ihn Menschen zu schenken, die man sehr mag und von denen man weiß, dass sie unblasiert genug sind, ihn zu würdigen zu wissen …

Renate Wagner