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DÜSSELDORF: DEATH IN VENICE – zweite Vorstellung

18.06.2014 | KRITIKEN, Oper

Düsseldorf: Death in Venice      Zweitvorstellung am 18.Juni 2014  (Premiere am 14. Juni)

 „Ich bin hier als Dein Mundstück und ich lebe in Deiner Musik – und ich kann Dir und dem Schicksal nie genug danken für all die himmlische Freude, die wir zusammen seit nunmehr 35 Jahren haben… My darling, I love you.“ Schönere und bewegendere Worte über eine Liebes- und Künstlergemeinschaft wie die von Peter Pears an Benjamin Britten gerichteten sind wohl kaum je gesagt worden. Das homoerotische Verhältnis der beiden war zwar seit langem bekannt, fand in Brittens Bühnenwerken wie „Peter Grimes“, „Billy Budd“, „Turn of he Screw“ oder auch „Golden Vanity“ jedoch lediglich andeutenden, verschlüsselten Niederschlag. Mit „Death in Venice“ nach Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“ wollte der Komponist allerdings die „Erzählung des eigenen Lebens“ bieten. Das war ihm so sehr Herzensangelegenheit, dass er – herzkrank seit seiner Jugend – eine lebenswichtige Operation aufschob, um die laut Pears die „böse“ Oper zu Papier bringen zu können, welche ihn „umbringt“.

 Eine dezidierte „Schwulen-Oper“ wie Charles Wuorinens „Brokeback Mountain“ (DE nächste Spielzeit in Aachen) ist “Death in Venice“ nicht. Bereits in der Mann-Novelle finden sich beispielsweise in den Phaidros-Passagen viele reflektive Momente. Auch Britten, der anders als Pears das Thema Sexualität nicht gerne direkt, sondern lieber in sublimierter Form ansprach, überhöht die Handlung mit den Figuren von Apoll (für Geist) und Dionysos (für Körperlichkeit). Pikanter Zufall, dass am Premierenabend (14. Juni) in Wuppertal Karol Szymanowskis „Krol Roger“ gegeben wurde, wo das Dionysische gleichfalls eine zentrale Rolle spielt. Luchino Visconti hat in seinem optisch ungemein schwelgerischen Film von 1971 der Figur Gustav Aschenbachs starke Züge von Gustav Mahler gegeben, vielleicht nicht ganz unproblematisch, aber faszinierend und suggestiv (auch wegen des leitmotivisch eingesetzten Adagiettos aus der 5. Sinfonie). Musik von Bach und Wagner benützte hingegen John Neumeier in seinem Ballett von 2003 Er gestattete sich übrigens eine zeitweilige Körperintimität zwischen Aschenbach und Tadzio. Dieser war dem hochgewachsenen Edvin Revazov besetzt und gab dem Bild eines vorpubertären Unschuldsengels ungewohnten Umriss. Kevin Haigen, Neumeuers Joseph 1977 in Wien, wäre dem intendierten Typus näher gekommen.

 Die Deutsche Oper am Rhein hat mit Britten-Inszenierungen IMMO KARAMANs („Peter Grimes“, „Billy Budd“, „Turn oft he Screw“) den dritten Jubilar des Vorjahres neben Verdi und Wagner zyklisch geehrt; mit „Death in Venice“ ist der Komplex nunmehr abgerundet. Karaman arbeitet erneut mit seinem Lebenspartner FABIAN POSCA zusammen. Es verdient Respekt, dass (gerade im Zusammenhang mit Brittens „Coming-Out“-Oper) diese private Konstellation in den Programmheftbiografien wie selbstverständlich zur Sprache kommt.

Für sein (absehbar) letztes Bühnenwerk unternahm Benjamin Britten mit seinem Freund Peter Pears nochmals eine Reise nach Venedig, um sich die Schönheiten der Stadt vor Augen zu führen und sich klanglich authentisch inspirieren zu lassen. Die Eindrücke verarbeitete er zu einer imaginativen, klangreichen und wie meist sehr sanglichen Musik, die zudem aus atmosphärischen Kontrasten viel Wirkung bezieht. Dazu gehört auch die Zweiteilung des Gustav von Aschenbach in Handlungsfigur und Ich-Erzähler, was der stoffliefernden Novelle Thomas Manns besonders nahe kommt. Tadzio und seine Familie sind für Tänzer angelegt. Die konzeptionelle Absicht Brittens leuchtet durchaus ein, aber zumindest in Düsseldorf wirkt die Umsetzung doch etwas gekünstelt und überästhetisiert.

 Dafür ist das Bühnenbild KASPAR ZWIMPFERs (durch die Kostüme von NICOLA REICHERT attraktiv ausgeschmückt) außerordentlich sinnfällig. Der große, lampenbestückte Raum taugt für Innen- und Außenszenen gleichermaßen, ein Zwischenvorhang ermöglicht fließende Bildwechsel. Aschenbach befindet sich häufig in einer Art Zelle, die manchmal im Bühnenhimmel verschwindet und sich dann wieder herabsenkt. Sie dient zwar auch als Schauplatz diverser Szenen (Fahrstuhl, Friseurstube), fungiert aber vor allem als Aschenbachs Enklave, in welcher er sich – abgeschottet von der Außenwelt – mit seinen Gedanken und Gefühlen auseinandersetzt. Die Wände umgeben ihn am Schluss wie ein Gefängnis. Und nur hier vermag er die Worte auszusprechen, welche ihm schon lange auf den Lippen brennen: „I love you“.

 Die choreografische Besetzung der polnischen Familie (incl. Tadzios Spielgefährten Jaschiu) hat Karaman, der „Death in Venice“ bereits 2008 am Münchner Gärtnerplatz-Theater erarbeitete, offenbar den Gedanken eingegeben, auch viele der anderen Figuren, vor allem die des Hotelpersonals, einem ballettartigen Bewegungsstil zu unterwerfen. Dabei wird gezielt die Wirkung von Ironie gesucht, die sich als Kontrast zu der Emotionsschwere des Sujets nicht übel macht. Britten selber hat eine solche Idee gewissermaßen vorgegeben, indem er die Friseur-Bilder mit ausgesprochen skurril-burlesker Musik versieht.

 Sehr weit geht der Regisseur vor der Traum-Szene des 2. Aktes mit ihren orgiastischen Exzessen. Tadzios Mutter verabschiedet ihren Filius in sein Hotelzimmer. Aschenbach folgt und scheint willens, einen Zettel (mit Liebesgeständnis?) durch den Türspalt zu schieben. Er verzichtet dann aber darauf und späht durchs Schlüsselloch. Das entspricht der langen Wanderung durch Venedig bei Mann und Visconti, wirkt aber noch um eine Nuance voyeuristischer. Das Hin und Her zwischen Triebbegehren und Triebverweigerung muss auch Britten gequält haben. Sein Freund Peter Pears war in diesem Punkte wesentlich freier und direkter.

 Visconti hat übrigens lange gesucht, bis er für seinen Film-Tadzio in dem knabenhaften Björn Andresen die adäquate Besetzung fand. JAROD RÖDEL von der Staatlichen Ballettschule Berlin, darstellerisch durchaus angemessen, hat erotisch kaum etwas Geheimnisvolles an sich, wirkt lediglich wie ein braver Internatszögling. Ein nicht ganz gewichtsloses Besetzungsmanko. RAYMOND VERY, der sich mit seinem hellen, geschmeidigen Tenor kürzlich an Verdis Otello wagte, ist seinerseits kein schlank-nervöser Typ wie Dirk Borgade im Visconti-Film, sondern eher ein gesetzter Herr. Aber sein unforciertes Singen, seine variable Darstellung formen Aschenbach zu einer runden Figur, überzeugend in Selbstzweifel und Leidensqual.

Die Vertreter der Comprimario-Partien können zwangsläufig nur in Auswahl und mit einer lobend-pauschalen Namensnennung bedacht werden: YOSEMEH ADJEI (Apollo), FLORIAN SIMSON, ATTILA FODRE, ALMA SADÉ, CORNEL FREY. TORBEN JÜRGENS freilich hat vor allem mit dem Reisebüro-Angestellten eine besonders markante Szene, von Britten nur etwas ausufernd angelegt. Ganz und gar brillant: PETER SAVIDGE als Reisender ff. Der Chor der Rheinoper kommt auch darstellerisch zu starkem Einsatz. Souverän am Pult der DÜSSELDORFER SYMPHONIKER: LUKAS BEIKIRCHER. Starker Beifall im nicht ganz gefüllten Haus; aber es war die traditionell problematische 2. Aufführung, auch dürfte die WM eine Rolle gespielt haben.

 Christoph Zimmermann

 

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