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DRESDEN/ Weinbergkirche Pillnitz: „PETER RÖSEL UND F. W. JUNGE MIT UND ÜBER L. V. BEETHOVENS LETZTE „KLAVIERSONATE“

20.10.2015 | Konzert/Liederabende

Dresden / Weinbergskirche Pillnitz: „PETER RÖSEL UND F. W. JUNGE MIT UND ÜBER L. V. BEETHOVENS LETZTE „KLAVIERSONATE“ – 19.10.2015

Nicht nur Thomas Mann hat in seinem Roman „Dr. Faustus“ darüber sinniert, warum L. v. Beethovens „Klaviersonate Nr. 32 c‑Moll“ (op. 111) nur 2 Sätze hat. Dieses Thema und noch mehr die beiden Künstler zogen einen Strom von Besuchern in die kleine, barocke Weinbergskirche, die, idyllisch am Elbhang, inmitten von Weinbergen im Dresdner Ortsteil Pillnitz gelegen, ein „bewegtes Schicksal“ hat. Einst als Kirche für die Sommeraufenthalte der evangelischen Mitglieder des Dresdner Hofes von Matthias Daniel Pöppemann, dem Baumeister des Dresdner Zwingers entworfen und im Königlichen Weinberg errichtet (der katholische Teil des Hofes hatte seine Kirche im Neuen Schloss in Pillnitz), verfiel sie ab den 1950er Jahren zusehends.

Nach der politischen Wende begann 1990 ein „mächtiges Häuflein“ von einigen Enthusiasten, sich der Kirche anzunehmen. Mit Benefizkonzerten u. a. von Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle Dresden wurde der finanzielle Grundstein für eine sensationelle Sanierung und Instandsetzung dieses baulichen Kleinods begonnen, das nun in neuer alter Schönheit erstrahlt und sowohl durch seine Lage, als auch mit seinem schlichten Äußeren und der sehr beeindruckenden Innenausstattung die Besucher von nah und fern anzieht. Jetzt, nach genau 25 Jahren dieses Neubeginnes feiert die Interessengemeinschaft, die damals gegründet wurde, das Ergebnis ihrer selbstlosen Bemühungen, das sich sehen lassen kann, und lädt mit einem Programm erlesener Veranstaltungen ein.

Eine dieser Veranstaltungen war ein Abend mit dem von Dresden bis Tokio beliebten Konzertpianisten Peter Rösel und dem ebenfalls sehr beliebten Schauspieler Friedrich Wilhelm Junge, der nur „montags“ Zeit dafür hatte, denn die meiste Zeit verbringt er auf seinem berühmten „Theaterkahn“ auf der Elbe, einem ebenso kuriosen wie beliebten Veranstaltungsort. Der ungewöhnliche Wochentag hielt aber die Besucher keineswegs von diesem besonderen musikalisch-literarischen Abend ab. Die Kirche mit ihren 2 Emporen war bis auf den letzten Platz gefüllt.

Bevor sich Peter Rösel an den Flügel setzte, rezitierte der Vollblut-Schauspieler F. W. Junge in seiner lebhaften Art „Kapitel VIII“ aus „Dr. Faustus“ von Thomas Mann, worin es in humorvoller Weise darum geht, warum L. v. Beethovens letzte „Klaviersonate“ Nr. 32 c‑Moll (op. 111) keinen 3. Satz hat. Beethoven soll lakonisch gesagt haben, dass er „keine Zeit für einen 3. Satz“ habe, was auch zutreffen mochte, denn auch Genies sind Menschen und äußeren Zwängen wie Zeitmangel, Krankheit usw. unterworfen. Sie haben gute Zeiten mit vielen musikalischen Einfällen und auch schlechte Zeiten, wo ihnen wenig einfällt. Dafür sei „der 2. Satz etwas länger“. Beträgt die Aufführungsdauer beim 1. Satz 10 min., so sind es beim 2. Satz 20 min.

Außerdem beschäftigte Beethoven zu dieser Zeit die Arbeit an der „Missa solemnis“ und dem „Bagatellensyklus (op. 119). Möglich ist auch, dass zu dem genialen 1. und 2. Satz einfach kein 3. Satz mehr passen wollte, ähnlich wie bei Franz Schuberts „Symphonie in h‑Moll“, der „Unvollendeten“. Es ist nicht die einzige Sonate Beethovens, die nur 2 Sätze hat. Die „Leichten Sonaten“ op. 49, 54, 78 und 90 sind auch nur zweisätzig.

Das sach- und fachkundige (Liebhaber-)Publikum lauschte aufmerksam, interessiert und amüsiert den, von Junge mit äußerster Lebhaftigkeit vorgetragenen, Ausführungen Thomas Manns. Junge machte sich nicht vordergründig lustig über den Sprachfehler des Roman“helden“, aber über dessen Art, trotz Stottern mit viel Eifer seine „tollen“ Gedanken über Musik an die – im Buch wenigen, live aber sehr zahlreichen – Zuhörer zu bringen, das Ganze stark übertrieben, aber unwiderstehlich humorvoll.

Nicht übertrieben, sondern mit viel Gefühl für Beethovens Musik, aber auch mit „stürmischer“ Leidenschaft und Temperament widmete sich Peter Rösel dem ersten Satz besagter „c-Moll-Sonate“ op. 111 mit ihrer machtvollen „Maestoso“-Einleitung, teils dramatischen, teils wieder abschwächenden Passagen und polyphoner Durchführung und spürte mit sehr viel Feingefühl dem Geheimnis des sehr gefühlvollen 2. Satzes nach, das von vielen Pianisten als einer der erhabensten Momente des gesamten Repertoires angesehen wird.

Rösels ausdrucks- und klangvoller Anschlag ist Legende. Mit kraftvollen, innigen und ergreifenden Klängen eröffnete er eine Geisteswelt voller Gefühl und Verstand. Fast unbewusst drang er, den Strukturen nachspürend, bis in die geistigen Tiefen dieses Satzes vor.

Bei Beethoven ist in einer Sonate oft eine ganze geistige Welt enthalten. Sie enthält oft so viel Substanz wie eine große Sinfonie, einen „Mikrokosmos“, mit dem erfahrbar wird, was Sprache nicht auszudrücken vermag. Äußerlich ganz ruhig, steigerte sich Rösel in diese Welt hinein, die nur unter seinen Händen zu entstehen schien. Völlig unveräußerlich, nur dem Werk verpflichtet, berührte er mit Beethovens Musik das Innerste der menschlichen Seele wie ein Mittler zwischen Beethovens Musik und dem aufmerksam Zuhörenden. Er verfolgte jede musikalische Linie und erfasste die gesamte Struktur der Sonate.

Thomas Mann lässt seinen „Helden“ im Roman sagen, dass das Thema nach dem 2. Satz ausgeschöpft sei. Nach dieser Interpretation von Peter Rösel konnte wirklich nichts mehr kommen.

Ingrid Gerk

 

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