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DRESDEN/ Semperoper und Zwinger: LETZTE „AUFKLANG“-VERANSTALTUNG EIN BEETHOVEN-SONDERKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE UNTER THIELEMANN – mit Live-Übertragung in den Zwingerhof

12.07.2020 | Konzert/Liederabende


Christian Thielemann. Foto: Markenfotografie

Dresden/Semperoper und Zwinger: LETZTE „AUFKLANG!“-VERANSTALTUNG: EIN BEETHOVEN-SONDERKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN UNTER CHRISTIAN THIELEMANN MIT LIVE-ÜBERTRAGUNG IM ZWINGERHOF ‑ 11.7.2020

Eigentlich wollte die Sächsische Staatskapelle Dresden die Konzertsaison 2019/20 mit einem Symphoniekonzert unter Herbert Blomstedt und mit Krystian Zimerman als Solist im „Klavierkonzert Nr. 5 von Ludwig van Beethoven sowie der Symphonie Nr. 5 von Jean Sibelius beenden, aber wegen der „Corona“-Situation mussten alle Symphoniekonzerte abgesagt werden. Da machte Christian Thielemann aus der Not eine Tugend und präsentierte als Abschluss der leider sehr verkürzten Konzertsaison ein Beethoven-Sonderkonzert mit den beiden „Symphonien Nr. 1 C‑Dur“ (op. 21) und „Nr. 2 D‑Dur“ (op. 36), die schon im 4. Symphoniekonzert (16./17.12.2019) als Teil des Dresdner Beethoven-Zyklus unter seiner Leitung erklungen waren (der Neue Merker – online berichtete darüber), und der „Ouvertüre c‑Moll zu ‚Coriolan‘ “ (op. 62) anstelle der damals gebrachten „Symphonie. Nr. 3“.

Ein reiner Beethoven-Abend bedeutet für Dresden immer einen „Run“ auf die Tickets, erst recht im Beethoven-Jahr, wo so viele Konzerte abgesagt werden mussten. Wenn dann auch noch die Staatskapelle unter Thielemann spielt, reicht selbst bei dreimaliger Aufführung die volle Platzkapazität der Semperoper nicht aus, aber was, wenn nun an nur einem Abend außerdem maximal nur etwa ein Viertel der Plätze im Opernhaus besetzt werden darf?

In Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen und der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsens GmbH entstand eine geniale und im doppelten Sinne naheliegende Idee. Erstmals wurde ein Symphoniekonzert als besonderes Open-Air-Format auch live aus der Semperoper in den Dresdner Zwinger übertragen. Zu den derzeit maximal nur 330 Plätzen im Opernhaus kamen noch zusätzlich fast 1.000 im, unmittelbar neben Semperoper und Theaterplatz gelegenen, Zwinger-Areal hinzu, wo die Besucher das Konzert gleichzeitig auf Großbild-Leinwand verfolgen konnten, ermöglicht durch Volkswagen, den langjährigen Partner der Staatskapelle. Da durften auch ausnahmsweise einmal die Grünflächen betreten werden.

Das „Zwinger Open Air“ wurde zum Großereignis, bei dem es sich Sachsens Ministerpräsident, Dresdens Oberbürgermeister und der Geschäftsführer der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsens nicht nehmen ließen, das Konzert mitzuerleben und einige Worte an das enthusiastische Publikum zu richten, das zusätzlich noch in den mehrfachen Kunstgenuss einer Verbindung von Musik, Architektur, Historie und Malerei kam, denn die Tickets galten gleichzeitig auch für einen einmaligen Besuch der Ausstellung „Raffael – Macht der Bilder. Die Tapisserien und ihre Wirkung“ in der Gemäldegalerie „Alte Meister“, auch ein Bau von Gottfried Semper zwischen Semperoper und Zwinger gelegen. Hier liegt alles dicht beieinander, nicht nur räumlich, sondern auch künstlerisch, historisch und musikalisch, was immer seinen besonderen Reiz und in Dresden eine lange Tradition hat.

Im Zwinger, der barocken Festkulisse vom Anfang des 18. Jahrhunderts, einer „Poesie aus Stein“, die vor 301 Jahren anlässlich der Hochzeit des Sohnes und Thronfolgers des Sächsischen Kurfürsten und Königs von Polen mit der österreichischen Kaisertochter pompös mit sagenhaftem Prunk und tagelangen Feierlichkeiten eingeweiht wurde, und noch immer eine festliche Atmosphäre und in den Sommermonaten mediterranes Flair vermittelt, lauschte nun eine andächtige Menge bei besonderer Stimmung und passendem Wetter den Klängen der Staatskapelle.

Der Eindruck von der Leinwand ist im allgemeinen nicht vergleichbar dem unmittelbaren Erleben im Raum, aber durch die ausgezeichnete Bild- und Tonqualität ging kaum etwas von der schwungvoll frischen, kontrastreichen, aber auch sehr feinsinnigen Interpretation und ihrem Nuancenreichtum verloren. Es waren alle Facetten vom leisesten, fast gehauchten, kaum noch wahrnehmbarem, Pianissimo (ppp) der Streicher, feinsinniger Phrasierung und Differenzierung bis hin zum gewaltigen Fortissimo wahrzunehmen.

Hier stimmte einfach alles, ausbalanciertes Tempo, Temperament und gebändigte Leidenschaft, innerer Jubel, „tirilierende“ Flöte, sehr schöne, klangvolle Soli von Oboe und Fagott, akribische Genauigkeit, bei der auch ein noch so kleiner „Kratzer“ auffällt, und Sinn für die Feinheiten, mit denen die Kapelle Beethovens musikalische Sprache in all ihren kompositorischen Facetten, aber auch seine musikalische Persönlichkeit und unterschwelligen Emotionen auslotete, die das Publikum mitempfinden konnte.

  Trotz Entfernung von 1,50 m zwischen den Musikern, die in der Semperoper auf der Abdeckung des wie bei Wagner-Opern erweiterten Orchestergrabens vor dem Schmuckvorhang Platz genommen hatten, da der Bühnenboden zurzeit erneuert wird, musizierten Streicher und Bläser völlig konform, und auch die Pauke brachte sich adäquat ein. Mit ihrem spezifischen Klang wurde die Kapelle, die hier ganz in ihrem Element war, zu der „Wunderharfe“, die einst Richard Wagner rühmte. Da störte auch ein kurzer Tonausfall gegen Ende bei der Übertragung kaum.

Anders als die Besucher des „Original“-Konzertes in der Semperoper kamen die Besucher des „Zwinger Open Air“ neben einer einmaligen Atmosphäre aus festlicher Stimmung und Naturverbundenheit zusätzlich – als besonderes „Schmankerl“ – in einem Vorprogramm noch in den Genuss eines Live-Auftrittes der Blechbläser der Staatskapelle vor der Gemäldegalerie, die die ideale „Bühne“  für „The Earl of Oxford March“ von William Byrd und „Trumpet Tune and Air“ von Henry Purcell bot.

Außerdem wurden vor und nach der offiziellen Live-Übertragung die in der kürzlich erfolgten Kooperation der Staatskapelle mit den Staatlichen Kunstsammlungen für die ZDF/ARTE-Produktion „Staatskapelle@Dresden“ aufgenommenen Video-Clips gezeigt, in denen die Verbindung von Musik, Malerei, bildender Kunst und Architektur von Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle solo oder in Kammermusik-Besetzung mit Kompositionen von Telemann, J. S.Bach, C. P. E. Bach, G. Kurták und J. G. Pisendel in den Prunkräumen des Schlosses, der Gemäldegalerie und der Skulpturensammlung als lebendige Symbiose der Künste praktiziert wird.

Es war ein sehr gelungener und mit der leider reduzierten Konzertsaison versöhnender Abschluss, der Lust und Neugier auf die neue Saison weckte.

Ingrid Gerk

 

 

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