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DRESDEN/ Semperoper: SIEGFRIED unter Thielemanns Leitung

27.01.2017 | Oper

Dresden / Semperoper: „SIEGFRIED“ UNTER CHRISTIAN THIELEMANN 26.1.2017

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. In Vorbereitung der beiden kompletten Aufführungen von Richard Wagners gesamtem „Ring des Nibelungen“ innerhalb weniger Tage – (Zyklus 1: 13.-20.1.2018, Zyklus 2: 29.1.-4.2.2018) unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann, dem zurzeit unübertroffenen Kenner der Musik Wagners, der nacheinander alle Teile mit der Sächsischen Staatskapelle wieder neu einstudiert, hatte nun nach „Walküre“ (23.2.2016) und „Rheingold“ (18.10.2016) auch „Siegfried“ (22.1.2017) mit Starbesetzung als Wiederaufnahme „Premiere“. Musikalisch und darstellerisch nimmt der „Ring“ immer mehr Gestalt an. Bereits die nunmehr ersten drei Teile sind in ihrer musikalischen Interpretation einfach großartig, so dass verständlich ist, dass die beiden „Ring“-Zyklen binnen eines Tages ausverkauft waren. (Es gibt nur noch wenige Restkarten für Einzelvorstellungen ab März 2017).

Wenn man bei der schon etwas älteren, 2001-2003 herausgekommenen, Inszenierung von Willy Decker von einigen, aus heutiger Sicht nicht mehr ganz so aktuellen Details wie den, in Mimes Höhle (fast) funktionslos im Raum drapierten, Stühlen und der Wandtafel (Mime als Lehrer) und einigen sehr naiven „Accessoires“ wie Teddybär (statt Braunbär aus dem Wald) und Handspielpuppe, mit denen Siegfrieds unbekümmerte Naivität und Unerfahrenheit etwas zu naiv ausgedrückt werden soll, sowie den gewöhnungsbedürftigen Kostümen mit Mime im Arbeitsmantel, Siegfried, etwas unvorteilhaft, und Waldvogel wie sein verkleinerten Ebenbild, beide ganz in Weiß, Brünnhilde im roten Kleid usw. (Wolfgang Gussmann, Frauke Schernau) absieht, ist sie immer noch akzeptabel und in der Gestaltung der Bühnenbilder (Wolfgang Gussmann) sehenswert.

Schade, dass die „Premiere“ (22.1.) unter dem unpassenden Publikum (Teilnehmer eines  Firmen-Events) litt und Thielemann das Publikum zur Ruhe ermahnen musste, was er sehr ungern tut, denn er vertieft sich viel lieber ganz in die Partitur und ihre Umsetzung durch die Kapelle. Die 2. Aufführung (26.1.) war dann so, wie man es sich wünscht. Das Publikum lauschte andächtig und nahm jeden Ton der von Thielemann geführten Sächsischen Staatskapelle und der international bekannten und geschätzten Sängerinnen und Sänger auf, verfolgte jede ihrer Gesten, denn alle Beteiligten gaben ihr Bestes für eine Aufführung, die zu neuen, ungeahnten Einsichten in die Musik Wagners führte.

Mit den leisesten, allerfeinsten Paukentönen wurden die an diesem Abend sehr aufmerksam zuhörenden, jeden Ton förmlich aufsaugenden Musikfreunde auf ein großes Opernereignis eingestimmt. Es ist nicht alltäglich, dass bei Wagner auch die wunderbar ausgeführten Instrumentalsoli genussreich zu hören waren. (In lautstarken Aufführungen gehen sie oft unter). Wann hat man sie je so wunderbar, so sauber mit den feinsten, zartesten Tönen gehört, was bei dieser andächtigen Stille im Zuschauerraum auch möglich war. Kaum ein Huster war zu hören – trotz Erkältungswetter.

Bei den Sängern war auch das feinste, leiseste Pianissimo zu hören  (bei Wagner eine Seltenheit), denn Thielemann achtete u. a. auch auf die Lautstärke für eine angemessene Orchesterbegleitung der Sänger, ließ aber auch – vorzugsweise in dramatischen Steigerungen – gewaltige Klangballungen (3. Akt) fast an der Schmerzgrenze zu, aber immer folgerichtig und logisch aus dem Vorhergehenden sich entwickelnd und dem Höhepunkt der Spannung zutreibend. Man war einfach gebannt. So atemlos habe ich noch nie einer Oper gelauscht.

Jede Partie war überzeugend und ihrem Charakter entsprechend besetzt. Es gab keine Fehlbesetzung, alle Stimmen und Darsteller entsprachen dem Charakter ihrer Rollen. Stephen Gould bot einen stimmlich kraftvollen Siegfried, dessen Kräfte sich bis zum Schluss steigerten, ein unbekümmerter, kraftstrotzender Held, den nichts kümmert, der sein Ziel unerschrocken verfolgt und sich von nichts zurückhalten lässt. Gerhard Siegel überzeugte nicht nur stimmlich mit guter Höhe, sondern auch mit seinem Spiel als unsympathischer, listiger, hinterhältiger Mime.

Markus Marquardt erschien als Wotan mit noblem Gesang, zu Beginn mitunter etwas zurückhaltend, da er entsprechend Regie öfters auch im Hintergrund zu singen hat. Seine Stimme klang würdevoll, wie ein humanistischer Gott, der erkennt, dass sich seine Herrschaft dem Ende zu neigt, der nicht versucht, seine Macht herrisch zu verteidigen. Er forderte nicht, seinen Einfluss geltend zu machen, sondern erschien wie das langsam verblassende Bild einer Religion in der Vorstellungswelt der Menschen.

Sehr gut und überzeugend gestalteten auch Albert Dohmen den Alberich und Georg Zeppenfeld mit seiner immer wieder bewundernswerten Tiefe den Fafner. Eindrucksvoll und mit geschmeidiger, ausdrucksstarker Stimme sang Christa Mayer die Erda. Die Stimme des Waldvogels stellte mit Tuuli Takals (Junges Ensemble), die mit ihrer jungen geschmeidigen Stimme tirilierende Koloraturen in schönster Ausführung präsentierte, schlechthin eine Idealbesetzung dar, wie man sie sich nicht schöner vorstellen könnte.

Eine Offenbarung war Nina Stemme als mit edlem Gesang überzeugende Brünnhilde, die nach den langen Erzählungen im 1. und 2. Akt wie ein freudiges Erwachen wirkte und mit den Worten „Heil dir, Sonne!“ nach ca. 4 Stunden noch ein unglaublicher Aufschwung und sängerischer Höhepunkt begann, der die gesamte Aufführung noch bekrönte.

Und dennoch, ganz besonders beeindruckte, man möchte sagen, das „einmalige“ Orchester unter Thielemanns, bis in die tiefsten Tiefen vordringenden, Leitung, das Fundament der gesamten Aufführung, das Feinheiten (auch bei den Sängern) hören ließ, wie sie selbst in Bayreuth nicht selbstverständlich sind. Es war ein Fest der Sänger und des Orchesters und damit auch der Musik Richard Wagners, bei der man plötzlich vieles entdeckte, was sonst bei den oft allgemein lautstarken Interpretation verlorengeht. Hier wurde bei allgemein guter Textverständlichkeit kein Detail vernachlässigt, wurden bis dahin kaum gehörte Feinheiten und geistige Tiefen hör- und erlebbar.

Ingrid Gerk

 

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