Dresden / Semperoper: “MANON LESCAUT“ – EINMAL GANZ ANDERS – Pr. 2.3.2013
Foto: Mathias Creutziger
Zweifellos gilt ChristianThielemann gegenwärtig als besonderer Wagner-Spezialist, aber warum sollte er deshalb keine Ausflüge zu anderen Komponisten unternehmen, auch wenn ihm Wagner so „in Fleisch und Blut“ übergegangen ist, dass er sich bei der jüngsten Premiere von Giacomo Puccinis „Manon Lesaut“ nicht davon lösen konnte und am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden der Aufführung seine spezielle Handschrift „aufdrückte“. Schließlich ist „Manon Lescaut“ die Puccini-Oper, die am meisten von Wagner beeinflusst ist. Das Orchester ist ähnlich wie bei Wagner und Verdi besetzt.
Die Kapelle begann die fast symphonische Einleitung mit ausgesprochen feinsinnigem Streicherklang, in den nach und nach die anderen Instrumente ebenso feinsinnig einstimmten. Dann aber dröhnten zuweilen Blech und Pauke wie bei einer großen Wagner-Oper, wobei die Sänger erfreulicherweise nicht „zugedeckt“ wurden. Im Verlauf des Abends klangen aber auch immer wieder im Orchester sehr klangschöne, sensible Passagen an, um der empfindsamen Liebe zwischen der sehr schönen 16jährigen Manon und dem Theologiestudenten Des Grieux, der auf „seine“ Manon ein ideales Frauenbild projiziert hat, Ausdruck zu verleihen.
Nach dem Libretto sind die beiden Hauptfiguren zunächst jung und unerfahren. Die Liebe trifft sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Manon, die auf Beschluss ihrer Familie von ihrem Bruder ins Kloster gebracht werden soll, versteht sehr bald, lebens- und liebeshungrig und auch anspruchsvoll, wie sie ist, den Reiz ihrer Schönheit einzusetzen, um zwischen der aufrichtigen Liebe des Studenten und den Verlockungen von Glanz und Glamour, die ihr der reiche, aber alte Geronte bietet, ihre Wünsche durchzusetzen. Als sie fühlt, dass Geld und Gut nicht alles sind, was glücklich macht, findet sie zu Grieux zurück. Dann aber schlägt das Schicksal hart zu. Sie wird wegen ihres „unmoralischen“ Lebenswandels mit anderen „leichten Mädchen“, die letztendlich wie Müll auf einen Haufen geworfen werden, nach Amerika deportiert. Des Grieux bietet alles auf, um sie dahin zu begleiten, aber Glück ist ihnen auch dort nicht beschieden. An dem einzigen Ort, wo sie ihrer Liebe hätten leben können, stirbt Manon in der Wüste, verzweifelt, verdurstet und entkräftet. Die Umsetzung durch die Inszenierung aber sieht ganz anders aus.
Puccini schuf seinerzeit aus der Vorlage des (fast) kolportagehaften Romans von Antoine-Francois Prévost mit einer „Liebegöttin“ und Femme fatale als „Hauptheldin“, die die Männer ins Verderben bringt, eine Oper in der Art des Verismo, d. h. er setzte einen Stoffes aus dem „Alltag“, eine „echte Geschichte aus dem Leben“ musikalisch um, die – ganz im Gegensatz zu Wagner und seinen mythischen Stoffen – als Neuerung und Revolutionierung der traditionellen Oper, auf die Bühne kommen und die Gemüter der Menschen berühren und bewegen sollte.
Bei der Uraufführung mussten die Besucher Prevosts, damals sehr populären Roman kennen, um die Oper zu verstehen, da es in der Oper statt einer durchgehenden Handlung nur einzelne Bilder in verschiedenen Ebenen gibt. Jetzt muss man die Handlung der Oper genau kennen, um die Inszenierung von Herheim zu verstehen. Es ist nicht leicht für die Besucher, die die Oper noch nicht kennen und nicht in der Einführungs-Matinee waren, Inhalt und Anliegen der Oper zu erkennen. Das trifft besonders für die Jugendlichen zu, die man so gern in der Oper haben möchte und die tatsächlich gelegentlich „schnuppern“ kommen. Die meisten Besucher möchten die Oper so erfassen, wie sie auf der Bühne geboten wird, denn wer liest schon vorher noch ein Textbuch und bereitet sich geistig auf die Oper vor? Die Übertexte lesen ist mühsam und von manchen Plätzen aus auch nicht möglich
Das schon lange zusammenarbeitende “Triumvirat“ Stefan Herheim (Inszenierung), der an der Semperoper bisher „Rusalka“ und „Lulu“ inszeniert hat, Heike Scheele (Bühnenbild) und Alexander Meier-Dölzenbach (Dramaturgie) setzte in Koproduktion mit dem Opernhaus Graz, wo die Produktion im vergangenen Herbst Premiere hatte, den Stoff in sehr eigenwilliger Weise um. Nicht Paris, nicht Le Havre, nicht Amerika kommen auf die Bühne, sondern eine Bildhauer-Werkstatt in Paris, wo die Freiheitsstatue für Amerika gefertigt wird, ein Geschenk des französischen Staates, das an die Unabhängigkeitserklärung von 1776 – damals vor 100 Jahren – erinnern und Hoffnung symbolisieren soll. Herheim ließ sich vor allem von der Fackel als Symbol der Freiheit inspirieren, worauf die gesamte Inszenierung von Beginn an orientiert, schon bevor die beiden Hauptprotagonisten die Bühne betreten und eigentlich noch gar nichts voneinander und ihren bevorstehenden gesellschaftlichen Problemen wissen. Mit dem Inhalt der Oper hat diese Statue lediglich den Weg von Frankreich in die Neue Welt und den Gedanken der Freiheit gemein und evtl. noch so in etwa die Entstehungszeit. Die Freiheitsstatue wurde 1886 in New York eingeweiht, die Oper 1893 in Turin uraufgeführt.
Die Einzelteile der Monumentalstatue bestimmen das Bühnenbild, kombiniert mit den jetzt allgemein üblichen Elementen wie den „ewigen“ Stahlgerüsten, die in der Semperoper schon in zahlreichen Inszenierungen vorkamen und auf denen der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung Pablo Assante) und Mitglieder der Komparserie (meist) „untergebracht“ sind. …Und es rieselt wieder reichlich von oben – diesmal offenbar Geldscheine, die zu vielen Situationen passen. Ein Gewehrschuss (ohne wirkliche Notwendigkeit) und offenes Feuer durften auch nicht fehlen.
Herheim wäre aber nicht Herheim, wenn er nicht Bewegung in das Ganze bringen würde. Er bezieht endlich einmal einen Teil der reichlich vorhandenen und selten genutzten Bühnentechnik der Semperoper – die Drehbühne – mit ein, und zwar reichlich. Durch Drehen und Verschieben entsteht eine ständig neue Szenerie, immer neue Bilder und Situationen, immer neue Kompositionen aus Farbe und Form – alles in allem ein sehr kurzweiliger Abend, voller Action und spannungsreicher Szenen. Wer das Bühnengeschehen flüchtig betrachtet und nicht der Opernhandlung auf den Grund gehen will, kann ganz zufrieden sein. Es ist ständig „etwas los“. Man ist immer mit der Bühne beschäftigt, aber auch abgelenkt von Puccinis Musik, die ganz auf die Handlung bezogen ist.
Puccini brachte realistisches Leben auf die Bühne. Durch die Inszenierung wird die ursprüngliche Handlung wieder geistig-psychologisch verklausuliert und symbolisiert und aus der Realität gezogen. Mit den Kostümen (Gesine Völlm), vorwiegend in den Farben (Kupfer )Braun und irisierendem Grün wie Patina (Edelrost), die der korrodierenden Freiheitsstatue entlehnt sind, quasi als Sinnbild der Zeitdifferenz und Entwicklung von Des Grieux zum Liebhaber, kommt neben einem „stilgerechten“ Kleid der Manon (sonst trägt sie eine große Robe) und dem schlichten Look der Arbeiter (Chor) vor allem das Rokoko wieder durch die Hintertür. Wenn auch die sehr schön anzusehenden Kostüme vielleicht die überlebte, in Konventionen befangene Gesellschaft und ihre Überwindung andeuten sollen, zu Puccinis Zeiten waren sie jedenfalls schon längst „out“.
Als „Wegweiser“ wurde Puccini persönlich als handelnde“ Person hinzugefügt und von Matthias Kopetzki dargestellt. Er identifiziert sich mit Des Grieux als Schöpfer der Monumentalstatue, verführender Student, aufrichtig Liebender und gespaltene Persönlichkeit. Hin und wieder reicht er den Agierenden ein kleines Büchlein, wenn die Handlung an einem toten Punkt angekommen zu sein scheint. Soll es das Textbuch oder gar die Partitur sein? Denn das Libretto schrieb Puccini nicht selbst! Sein Pendant schreibt und korrigiert die Oper ständig. Schließlich zerreißt Manon das Büchlein, weil ihr der Schluss missfällt. Sie will nicht sterben.
Der Gestalt des gewissenlosen Bruders, der seine Schwester herzlos verschachert, hauchte Christoph Pohl mit seiner klangvollen Stimme und plausiblem Spiel Leben ein.
Mit voller, runder Stimme, lebensechtem Spiel und gewichtiger Figur verlieh Maurizio Muraro dem Geronte Profil.
Giorgio Berrugi hatte als Edmondo, Tanzmeister und Laternenanzünder leider nicht sehr viel zu singen, aber was er sang, war gut und mit Hinblick auf die Tenorstimme des „Haupthelden“ sehr angenehm anzuhören. Man hätte gern von ihm noch mehr gehört, aber das sah die Partitur nicht vor.
Beachtlich sangen vier Damen aus dem Chor (Beate Siebert, Monika Harnisch, Barbara Leo und Fumiko Hatayama) die Madrigalistinnen.
Die Manon war bei Norma Fantini in den besten Händen. Sie liebt die Musik Verdis und Puccinis. Ihre Favoritenrolle ist die „Tosca“, aber auch für die Manon ist sie prädestiniert und hat sie schon oft an den verschiedensten großen Opernhäusern gesungen. Dennoch gibt es bei ihr keine Routine. Mit viel Leidenschaft und Hingabe und jugendlicher Erscheinung sang und spielte sie die Manon und konnte stimmlich und darstellerisch voll überzeugen.
Der brasilianische Tenor Thiago Arancam gab mit dem Des Grieux sein Debut an der Semperoper. Es ist seine 3. Produktion in dieser Rolle. Obwohl er mit dem Belcanto-Gesang durchaus vertraut ist, konnte er mit seiner stark gutturalen Stimme nicht so ganz überzeugen, auch wenn er – vor allem im letzten Akt bei entsprechender Lautstärke durchaus auch gute Momente hatte. Das brachte ihm am Ende einen Widerstreit zwischen Bravo- und Buh-Rufen ein.
Allgemein aber hielt sich der Beifall sehr in Grenzen.
Ingrid Gerk