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DRESDEN/ Semperoper: LOHENGRIN unter Thielemann

20.01.2013 | KRITIKEN, Oper

Dresden / Semperoper: “LOHENGRIN“ UNTER THIELEMANN – 2. UND 3. AUFFÜHRUNG – 17.1. und 20.1.2013


Kwangchul Youn (Heinrich der Vogler- ganz links), Christph Pohl (Heerrufer – an der Krone) und Robert Dean-Smith (Lohengrin – in Rot), dahinter Chor. Foto: Semperoper

 Wie unterschiedlich die Aufführungen ein und derselben Oper am gleichen Ort, in der gleichen Inszenierung, mit dem gleichen Orchester unter dem gleichen Dirigenten und mit weitgehend den gleichen Sängerinnen und Sängern doch sein können, zeigten die drei Aufführungen des „Lohengrin“ an der Semperoper mit renommierten Sängern und der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter dem für Wagner prädestinierten Christian Thielemann, der u. a. mit Fermaten „in eigener Regie“ (was traditionsgemäß einem Dirigenten zugestanden werden sollte) für die Zuspitzung der musikalischen Entwicklung und damit der Handlung durch ritardierende Momente sorgte, um Spannung und Dramatik zu erhöhen.

 „Um der Gerechtigkeit willen“ sei hier nach der 1. Vorstellung (13.1.) auch noch über die beiden anderen Aufführungen berichtet, bei denen die Solisten „voll zur Entfaltung kamen“ und die Opernbesucher an ihrem großartigen Können teilhaben ließen.

 Wer die Aufführung am 17.1. oder 20.1. in der Semperoper gesehen und vor allem gehört hat und den Artikel über die Aufführung am 13.1. liest, dürfte zu Recht geteilter Meinung sein. Die Kapelle war an allen drei Abenden, wenn auch unterschiedlich im Charakter, so doch immer überragend. Am 13.1. nahm Christian Thielemann mit Rücksicht auf die Sänger das Orchester stark zurück, wodurch viele Feinheiten außerordentlich gut zur Geltung kamen und vom Vorspiel bis zum letzten Takt die ganze Oper seitens des Orchesters zum Hörgenuss wurde. Bei der 2. Aufführung (17.1. und 20.1.) konnte Thielemann dann alle sich zuspitzenden Situationen der Handlung mit mehr dramatischer Wucht, aber ohne Härten herausarbeiten, so dass manche Passage noch mehr „unter die Haut“ ging. Die Sänger hatten sich offenbar mit der Inszenierung „angefreundet“ und konnten sich wesentlich besser entfalten.

 Jetzt kam der profunde, kraftvolle Bass von Kwangchul Youn als König Heinrich (Heinrich der Vogler) in schönster Weise zum Tragen. Seine Bewegungen waren gemessen und würdevoll und eines (humanen) Herrschers angemessen – einfach die Inkarnation dieser Partie.

 Robert Dean-Smith brillierte als glanzvoller Lohengrin – strahlend in Stimme und Erscheinung, ein Gralsritter ohne „Fehl und Tadel“.

 Soile Isokoski hatte sich als Elsa mit ihrem Spiel ebenfalls noch mehr in ihre Rolle vertieft. Jetzt wirkte sie wirklich wie die junge, unschuldige, arglose Elsa. Mit ihrer Stimme und ihren sängerischen Tugenden war sie schon von Anfang an überzeugend. Jetzt aber wurden in der Szene vor Elsas Haus zusammen mit der ursprünglich vorgesehenen Ortrud, Jane Henschel die konträren Charaktere der beiden Frauen besonders eindrucksvoll deutlich und spitzten sich im dramatischen Gesang immer mehr zu.

 Vom wunderbar leisen, geheimnisvollen Flüstern im Pianissimo, bei dem noch im letzten Winkel des Hauses jeder Ton und jedes Wort zu vernehmen war, bis zum äußerst dramatischen Fortissimo in großen dramatischen Ausbrüchen ließ Jane Henschel als Ortrud in unterschiedlichen Situationen immer wieder aufhorchen und neue Seiten dieser Partie entdecken. Bei ihr liegt aller Ausdruck in der Stimme und deren Gestaltung. Bei ihrem Gesang ist alles psychologisch durchdrungen. Allein, wie sie langsam und mit viel List Gift in Elsas aufrichtige Seele träufelt oder ihren Ehegatten in einer großartigen Szene für ihre Zwecke gefügig macht, war mehr als beeindruckend.

 Lag letztere Szene am ersten Abend (13.1.) zwischen Wolfgang Koch und der eingesprungenen Judith Nemeth vor allem im Komplott des Bösen, so wurde jetzt (17.1.) die Gegensätzlichkeit der beiden Charaktere in atemberaubendem Gesang sehr deutlich. So unterschiedlich können selbst diese bekannten Rollen immer wieder gestaltet werden.

 Am 1. Abend wirkte Wolfgang Koch noch eher zurückhaltend. Ab dem 2. Abend ließ er nicht mehr den geringsten Wunsch offen. Mit Stimme und schauspielerischer Gestaltung machte er den Zwiespalt zwischen dem, sein Leben bestimmenden Ehrbegriff und dem Befangensein in seiner ehelichen Liebe zu Ortrud deutlich, bis er sich schließlich für ihr böses Spiel missbrauchen lässt – eine selten so deutlich herausgearbeitete Charakterisierung des Telramund, die dem Kern der Rolle sehr nahe kommt, wird doch vermutet, dass sich Wagner in dieser Rolle evtl. selbst gesehen hat – einer, der als Königlich-Sächsischer Hofkapellmeister vom König alles bekam, was er für das Opernhaus wollte und sich für die Revolution überreden ließ, bis er schließlich „am Boden lag“ und nach der Flucht aus Dresden für ihn (zunächst) „alle Herrlichkeit dahin“ war.

 Christoph Pohl der am 13.1. sein Rollendebut als Heerrufer gab, hat sich erstaunlich schnell in diese Rolle gefunden, so dass er schon am 17.1. keine Wünsche mehr offen ließ. Er war einfach der Heerrufer, wie man ihn sich vorstellt, mit ausgesprochen schöner, fester Stimme und stattlicher Erscheinung.

 Es war eine Aufführung mit Idealbesetzung (17.1.), bei der sich alle in guter Form befanden. Hier stimmte einfach alles: das wunderbare Orchester unter der Leitung von Christian Thielemann, die Abstimmung zwischen Dirigent und Orchester und zwischen Orchestergraben und Sängern, was für eine gute Aufführung unverzichtbar ist, sowie das Zusammenspiel und das Sich-Aufeinander-Einstellen der Sänger untereinander. Bereits das Finale des 1. Aktes gestaltete sich zu einem grandiosen, aufregenden Höhepunkt, der dann in der gesamten Aufführung seine Fortsetzung fand.

 Bei der 3. Aufführung (20.1.) waren dann zwei „Einspringer“ erforderlich. Die „gestandene“ Ortrud, Evelyn Herlitzius, die ihre Partie immer sehr gut durchdacht aufbaut und ihrer Stimme offenbar alles zumuten kann, ohne irgendwelche Schwächen zu zeigen, konnte mehr als überzeugen. Sie brachte wieder eine ganz andere, aber unbedingt auch plausible Sicht auf diese Partie zum Ausdruck.

 Als Heerrufer war Detlef Roth eingesprungen. Obwohl man in diesem Fall sehr viel Nachsicht walten lassen sollte, wirkte er doch ziemlich schwach.

 Bei diesen drei Aufführungen wurde wieder einmal deutlich, dass auch gestandene Sänger nicht „als Meister vom Himmel fallen“, sondern auch ihnen zuweilen eine gewisse „Einarbeitungsphase“ zugestanden werden sollte. Selbst berühmte Künstler, die die großartigsten Leistungen vollbringen können, sind Menschen und keine Maschinen. Sie sind aber immer wieder zu besonders großartigen Leistungen fähig, wie die 2. und 3. Aufführung zeigten.

 Ingrid Gerk

 

 

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