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DRESDEN/ Semperoper: LA JUIVE – Premiere

13.05.2013 | KRITIKEN, Oper

Dresden / Semperoper: “LA JUIVE / DIE JÜDIN“ – 12. 5. 2013  Premiere


Tatiana Pechnikova, Gilles Ragon. Foto: Matthias Creutziger/ Semperoper

Bei ihrer Uraufführung 1835 in der Pariser Opéra Garnier war die Oper „La Juive“  von Jacques Fromental Halévy ein grandioser Erfolg. Sie wurde von Giuseppe Verdi genauso geschätzt wie von dem wegen seiner „Kollegenschelte“ gefürchteten Richard Wagner. Dieser war voll des Lobes und bekannte „nie eine dramatische Musik gehört zu haben, die mich so vollständig in eine längst vergangene Zeitepoche versetzt hätte“ und bescheinigte Halévy, „Musik zu schreiben, wie sie aus den innersten, gewaltigsten Tiefen der reichsten menschlichen Natur hervorquillt“. Später leitete er selbst eine Aufführung der „Jüdin“ in Dresden.

 Der Welterfolg dieser Oper konnte jedoch nicht verhindern, dass sie wegen des jüdischen Komponisten und des Sujets der, mit G. E. Lessings „Nathan
der Weise“
bis auf den Schluss fast identischen, Handlung (Libretto: Eugen Scribe), in der das Judentum gegen das Christentum verteidigt wird, während der NS‑Zeit von den Bühnen verschwand.

 Sie wurde auch später kaum wieder aufgeführt – vermutlich wegen der hohen Anforderungen an die Sänger. Es ist eine Grand opéra in 5 Akten für die ganz großen Stimmen. Mit ihnen steht und fällt die Oper. Das waren auch die Ansprüche des Publikums im Paris des 19. Jh., weshalb dort Wagners „Tannhäuser“ kein Erfolg beschieden war.

 Jetzt hatte „La juive“ erneut in Dresden Premiere – als Übernahme einer Neuproduktion der Staatsoper Stuttgart von 2008.

 Die Handlung führt nach Konstanz in das Jahr 1414, am Vorabend des Konstanzer Konzils, das die Christen einigen sollte. Es entsteht ein christlich jüdischer Konflikt, der nach hochdramatischen Szenen mit dem Tod eines reichen jüdischen Goldschmieds und seiner vermeintlichen Tochter, die jedoch Christin und die tot geglaubte Tochter des christlichen Kardinals ist, endet. Die beiden erfahren immer wieder Anfeindungen auf Leben und Tod und verteidigen sich und ihren Glauben mit unversöhnlichem Stolz.

 Jossi Wieler & Sergio Morabito nahmen eine entscheidende Neuinterpretation vor und deuten manches anders als im Original. Hier rückt die Gestalt des Juden in seiner unbeugsamen Haltung in den Vordergrund. Wegen des Todes seiner beiden Söhne auf dem Scheiterhaufen durch den Kardinal hat er bis zum bitteren Ende ewige Rache geschworen und lässt sich auch durch keinen Versöhnungsversuch umstimmen. Die Handlung wurde in die Gegenwart verlegt, obwohl hier religiöse Probleme und Gewissenskonflikte (schon durch die Ökumene) zumindest im Privatleben und in Europa kaum noch eine Rolle spielen. Ausflüge in die Vergangenheit mit historisierenden Kostümen finden in dieser Inszenierung nur spielerisch statt, wenn z. B. bewusst dilletantisch der Sieg über die Hussiten als Fest mit Hoppelpferdchen, geflochtenen (oder gehäkelten) Kamelen und „Elfenreigen“ von Kindern nachgespielt und in den arabischen Raum verlegt wird, obwohl, historisch gesehen, die „Hussitenkriege“, eine Bewegung, die von Böhmen ausging, erst eine Folge des Konzils waren. Alles Historische wird ins Lächerliche gezogen. Als „Krönung“ schwebt ein kleines Friedenstäubchen an sichtbarem Stab über die Bühne. Hier ist alles erlaubt, was Abwechslung, Verblüffung und Effekte schafft.

 Das Bühnenbild von Bert Neumann verwendet zwar die gegenwärtig auf allen Bühnen üblichen Inszenierungs-Elemente, aber so, dass sie den Inhalt der Oper nicht beschädigen und der Handlung folgen. Ein „gut gezimmertes“, realistisches Fachwerkhaus, das als Wohnhaus des reichen Juden und Silberschmiedes Eléazar, gedreht als Versammlungsraum zum Passahfest in seiner Wohnung, Zuschauerraum zum Siegesfest usw. wird, erinnert an Wagners „Meistersinger“.
Gegenüber befindet sich eine trutzige Kirchenfassade (Münster) – wie aus Beton „gegossen“ – mit unfertigem Turm und gerüstartigem Kirchenschiff, das als „auch bei der Kirche alles nur Fassade“ gedeutet werden könnte. Beides wird verbunden durch die übliche Gerüstkonstruktion, die wie eine gute Zimmermannsarbeit aussieht (auch die Eisenteile) und als Festtribüne, Boudoir und riskanter Ort der Begegnung feindlich aufeinandertreffender Kontrahenten dient, unterstützt durch eine gekonnte Lichtregie (Lothar Baumgarte). Das Bühnenbild wirkt oft wie eine ewige Baustelle. Durch Drehungen und Verschiebungen kann einfach alles stattfinden. Es gibt immer theaterwirksame Bilder, wenn auch zuweilen verfremdend und mitunter auch etwas befremdlich.

 Die Kostüme von Nina von Mechow bieten eine reiche Palette von der Gegenwart bis in die vergangenen Jahrhunderte, vom farbenfreudigen Renaissancekleid und dem prächtigen Ornat der Kirchenfürsten bis zum ärmlichen Hemdchen, je nach Situation und Gemütsverfassung der handelnden Personen. In Erinnerung an sein verlorenes Familienglück tritt der Kardinal im schwarzen Anzug und nur noch mit rotem Kardinalskäppchen und Kette auf, oder wird später mit dem abgeschnittenen, nur noch schulterbedeckenden Rest des roten Kardinalsmantels und roter Kapuze zum bedrohlichen Scharfrichter. Die beiden „Juden“ laufen nach der „Liebesnacht“ von Rachel und Léopold und dem damit verbundenen Eklat zwischen den Glaubensrichtungen nur noch in Unterwäsche umher, weil ihnen die Ehre genommen wurde. Das „Outfit“ deutet mit wenigen Mitteln die jeweiligen Seelenzustände oder die Wandlung der inneren Haltung an. Wie in einem Vexierbild werden bestimmte Klischeevorstellungen genutzt, um Brüchigkeit und Versagen des „christlichen Abendlandes“ gegenüber Andersdenkenden aufzuzeigen.

 Dass alle historischen Klischees nur „Spiel“ sind, deutet die Figur des Kaisers Sigismund (stumme Rolle) an, der in legerer Tageskleidung, Krone auf dem Kopf, Kaisermantel über dem Arm, selbstvergessen zu Beginn, während die Kapelle im Orchestergraben noch ihre Instrumente stimmt, vor dem Vorhang hin und her spaziert und dann eiligst durch selbigen schlüpft, damit das „Spiel“ beginnen kann. Bei den kurzen Auftritten im weiteren Verlauf der Handlung blieb sein Erscheinen blass (von der Regie wahrscheinlich so gewollt).

 Das Wichtigste aber bei dieser Oper ist die Musik, bei der die persönliche Anteilnahme des Komponisten spürbar ist. Neben großangelegten dramatischen Szenen, die eine virtuose Stimmführung der Sänger erfordern, gibt es immer wieder Momente der Verinnerlichung und berührender Intimität. Der Schwerpunkt liegt hier eindeutig auf dem Gesang. Bei dieser Oper kommt es auf die Gesamtwirkung zwischen Sänger und Orchester an, die scheinbar mühelos und wie selbstverständlich an diesem Abend funktionierte.

 Die Sächsische Staatskapelle Dresden, mochte sich, an anspruchsvollere Musik und größere Schwierigkeiten gewöhnt, vielleicht unterfordert fühlen, aber sie spielte prächtig unter der Leitung von Tomás Netopil. Das Orchester unterstrich und „untermalte“ den Gesang sinnvoll und gezielt, wie es besser nicht sein könnte. Sie begleitete die Sänger in schönster Weise durch den langen Abend, nahm zurück, wo es angemessen war und war doch immer präsent. Die „Orgel“ kam beim „Te deum“ vom Band und die Trompeten zur Ankündigung des Konzils ebenfalls, dazu noch recht blechern (wie die Regie es will).

 Bei den Hauptpartien gab es sehr gute sängerische Leistungen. Tatiana Pechnikova als vermeintlich jüdische Tochter Rachel, Nadja Mchantaf als ihre „Konkurrentin“ in Liebesangelegenheiten und Gattin des Reichsfürsten, Prinzessin Eudoxie, Gilles Ragon als Jude Eléazar, der unversöhnlich auf seinem Glauben beharrt, Dmitry Trunov als Reichsfürst Léopold, der sich als siegreicher christlicher Feldherr wegen einer Liebesbeziehung zu der vermeintlichen Jüdin Rachel als Jude tarnt und immer unter Gewissenskonflikten leidet, und insbesondere Liang Li als siegreicher, in Liebes- und Glaubensangelegenheiten jedoch auch fühlender, toleranter Kardinal de Brogni bewältigten ihre schwierigen Aufgaben mit bewundernswerter stimmlicher Kondition und glaubhafter Darstellung der Personen in ständiger Zuspitzung der dramatischen Szenen bis zum Schluss, und es gab sehr schöne ausgewogene, musikalisch sehr gut gestaltete Ensembleszenen.

 Tatiana Pechnikova bewältigte überzeugend die hochdramatischen Szenen und Arien mit kräftiger Stimme, faszinierte aber auch durch ein berührendes großangelegtes Decrescendo. Die von der Regie vorgesehene Wandlung zwischen Jüdin, gespielter Araberin und eigenwilligem „Naturkind“ spielte sie mit natürlicher Selbstverständlichkeit.

 Nadja Mchantaf beeindruckte als ihre Gegenspielerin und verwöhnte „Salondame“ mit schöner Stimme und dramatischem Ausdruck.

 Lian Li verfügt über eine außergewöhnlich kraftvolle Stimme mit erstaunlicher Tiefe, konnte aber auch Versöhnlichkeit, Milde und Wehmut ausdrücken, wenn er sich an seine verlorene Frau und Tochter erinnert und aller kirchenfürstlicher Machtanspruch von ihm abfällt. Mit ungeheurer Kraft und Tiefe in der Stimme verflucht er als Kardinal die beiden „Juden“ samt Lépold – und fällt, so will es die Regie – echauffiert danach zu Boden (vielleicht Herzinfarkt).

 Der Jude bleibt ziemlich ungerührt davon. Er hat immer die Hände in den Taschen, als ginge ihn das alles nichts an, wie ein innerlich protestierender Jugendlicher, der nichts wirklich entgegenzusetzen hat. Er triumphiert über die Schwäche seines verhassten Gegners. Gilles Ragon hatte in dieser Rolle eine umfangreiche und schwierige Tenorpartie zu singen, die er bewundernswert bewältigte. Bei dem breit dargestellten Passahfest blühte seine Stimme als Vorsänger auf. Er schaffte die „tiefsten“ Tiefen und meisterte die geforderte, fast überfordernde Höhe, sang mit kräftiger Stimme, konnte aber auch sanfte Töne anschlagen wie im Terzett mit Rachel und Léopold, wo alle drei den Himmel um Verzeihung bitten.

 Dmitry Trunov beeindruckte durch seine profunde, kraftvolle Stimme mit sehr guter, sicherer Tiefe und großer Dramatik. Er spielte sehr realistisch bis zu naturalistisch gestalteten Szenen, wenn er beispielsweise schluchzend die Verleugnung seines Christseins bereut, oder von Eléazar verflucht, – wie einst Saulus – durch einen Blitzschlag zu Boden geschleudert wird und sich wie nach einer Herzattacke in Krämpfen und Schwächeanfällen windet. Seitens der Regie ist aus dem Kriegsherrn und Fürsten eher ein Gentleman geworden, der von Frau zu Frau eilt, nirgends bleiben kann und unter ständigen Gewissensqualen leidet.

 Matthias Henneberg sang und spielte den Oberrichter von Konstanz namens Ruggiereo mit gleichmäßig kräftiger Stimme und bewegte sich wie ein „normaler“ Bürger.

 Bei Allen Boxer war keine Bewegung zu viel. Die Rolle des Albert schien ihm in der Höhe leichte Schwierigkeiten zu bereiten, aber er schaffte es.

 Der Chor aus Hofdamen und -herren, Geistlichen, Offizieren, Soldaten, Wachen, Herolden und Volk war von Pablo Assante einstudiert worden. Eine kleine „Abordnung“ stimmte sehr harmonisch beim Passahfest ein.

 Es war ein Glücksfall, dass alle Hauptpartien mit so guten Sängerinnen und Sängern besetzt waren, die ihre Rollen sowohl stimmlich als auch darstellerisch ausfüllten.

Dem jetzigen Operntrend entsprechend, musste natürlich auch noch eine Pistole ins Spiel kommen. Der Kardinal will zum Schluss mit Gewalt erfahren, wo seine Tochter ist. Eléazar entwindet sie ihm und erschießt, nachdem er ihn aufgeklärt hat, erst Rachel und dann sich selbst. Das (Bühnen-)Volk johlt. Der Vorhang fällt – betretene Stille im Publikum – und dann Applaus.

 Ingrid Gerk

 

 

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