Dresden / Semperoper: GUSTAV MAHLER JUGENDORCHESTER MIT BACH UND BRUCKNER – 3. 9. 2016
Die neue Konzertsaison in der Semperoper hat begonnen. Eröffnet wurde sie gleich zweimal mit einer Symphonie von Anton Bruckner, beim Gustav Mahler Jugendorchester unter Philippe Jordan und bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Christian Thielemann, ergänzt jeweils durch ein weniger umfangreiches Werk, was allein durch die zeitliche Nähe einen unmittelbaren Vergleich geradezu heraufbeschwört.
Bevor sich die besten Musikstudenten aus aller Welt Anton Bruckners „Symphony Nr. 9 d‑Moll“ zuwandten, stand Johann Sebastian Bachs Solokantate „Ich habe genug“ auf dem Programm, wobei es nicht etwa um Lebensüberdruss, sondern um den befriedigenden Lebensabschluss des greisen Simeon geht, der in Ruhe sterben kann, weil er den Heiland gesehen hat. Christian Gerhaher setzte all seine sängerischen Qualitäten und Tugenden eines (sehr) guten Oratoriensängers ein, um dieser Gestalt Wärme, Innigkeit und Lebensweisheit zu verleihen. Unterstützt und ergänzt wurde er dabei von der Solo-Oboe Bernhard Heinrichs.
Mit dem sehr schönen, weichen Klang seiner Stimme ist Gerhaher prädestiniert für Bachs Gläubigkeit, der in seinen Kantaten Ausdruck verliehen wird. Gerhaher ließ sich die Partie sehr angelegen sein. Mit Sachlichkeit sang er jedes „Recitativo“. Ohne großes Pathos, aber mit seelenvoller Stimme und Aufrichtigkeit spürte er der seelischen Stimmung in der „Aria“ „Schlummert ein, ihr matten Augen“ nach. Selbst das zarteste Piano war bei ihm noch gut vernehmbar, eine Kunst, die leider immer seltener wird. Die Musikerinnen und Musiker des hierbei sehr kleinen Bach-Ensembles nahmen seine Intentionen auf und setzten sie mit zartesten Streicherlängen fort, woran der Cellist mit seinem wunderbaren Ton großen Anteil hatte.
Gerhahers Gesang ist ungekünstelt und kommt von innen. Er wirkt natürlich und setzt nur verhaltene Dramatik ein. Als Kontrast hatte das Orchester bei der „Aria“ „Ich freue mich auf meinen Tod“ das Tempo sehr angezogen, um der Freude Ausdruck zu verleihen, fast zu viel des Guten, aber Gerhaher setzte auch das stimmig um. Allgemein war das Tempo gut gewählt, so dass die Musik ausschwingen und sich in ihrer Emotionalität dem Publikum mitteilen konnte. Dennoch hätte man sich mehr Inspiration durch das Dirigat gewünscht.
Mit Anton Bruckners unvollendeter “Symphony Nr. 9 d‑Moll“ hatte sich das Gustav Mahler Jugendorchester unter Philippe Jordan ein großes Werk vorgenommen, bei dem der Vergleich mit Christian Thielemanns an Intensität und geistigem Verständnis wohl unerreichter Interpretation der Werke Bruckners sehr nahe liegt.
Jordan und die jungen Musiker setzten vor allem auf eine sehr exakte Ausführung, Homogenität des Orchesterklanges und starke Akzente. Nach einem sehr feinsinnigen Beginn des „feierlichen“ 1. Satzes, bei dem einzelne Instrumente eine Naturstimmung zu assoziieren schienen, gab es starke Kontraste zwischen lautstarken, gewaltigen und kraftvoll triumphalen Passagen, mitunter nicht ohne Härten, und sehr klangvollen lyrischen Passagen im feinsten Pianissimo und auffallend schönem Diminuendo. Kleine Brüche konnten dabei den positiven Gesamteindruck nicht stören.
Hier wurde vor allem die musikalisch-technische Seite betont. Kraftvolle Teile wechselten mit „lyrischen“. Allgemein wurde sehr klar und sauber musiziert, wenn auch kleine Unebenheiten bei den Bläsern nicht zu überhören waren, aber jeder weiß, wie schwer das ist. Für die jungen Musiker war es eine enorme Leistung, eine Herausforderung, bei der nur allzu verständlich war, dass sie sich nach bestandener Feuerprobe glücklich in den Armen lagen.
Ingrid Gerk