Dresden / Semperoper: EINE DER SELTENEN LIEDERMATINEEN VON ANJA HARTEROS – 17.3.2019
Nachdem es längere Zeit in der Semperoper keinen Liederabend berühmter Sängerinnen und Sänger mehr gab, folgte 10 Tage nach dem Liederabend von Michael Volle (7.3.) Anja Harteros mit einer ihrer seltenen Lieder-Matineen und damit leider auch schon wieder der vorläufig letzten Veranstaltung dieser Art.
Sie hat sich mit ihrer Stimme und Wandlungsfähigkeit in zahlreichen Opernrollen, wie Marschallin („Rosenkavalier“), Mimi („La bohème“), Desdemona („Otello“), Arabella u. a. sowie mit Liederabenden und gemeinsamen Konzerten mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden in die Herzen der Dresdner gesungen. Mittlerweile ist sie mit den großen Sopranpartien auf den Opernbühnen der Welt zu erleben, hat sich aber den Sinn und die Gesangstechnik für die Feinheiten des Liedgesanges bewahrt. Gemeinsam mit ihrem langjährigen Begleiter Wolfram Rieger, der ihren Intentionen mit sehr sensiblem Anschlag und feinem Ton bis ins letzte Detail folgte, interpretierte sie, die äußersten Feinheiten auslotend, sehr bekannte, aber auch völlig unbekannte romantische Lieder, die den Begriff „Romantik“ anschaulich untermauerten.
In ihrem reichhaltigen Programm wurde nach dem, einer Freundin gewidmeten, Lied „An die Hoffnung“, eines der selten aufgeführten Lieder Ludwig van Beethovens, ein großer Bogen von der Früh- zur Spätromantik gespannt. Mit ihrem schlichten, unspektakulären, aber herzlichen Auftreten und großer Einfühlsamkeit gestalteten Anja Harteros und Wolfram Rieger diese Lieder von meist unerfüllter Liebe und Sehnsucht, Liebestreu und Liebesleid, Melancholie und Sinnieren, romantischer Empfindung, Suche nach Seelenfrieden, Gedanken an die Vergänglichkeit und Flucht in die Natur bekannter Dichter, wie Johann Wolfgang von Goethe, Eduard Mörike, Heinrich Heine, Paul Heyse, Joseph von Eichendorff u. a., aber auch heute völlig unbekannten und/oder vergessenen Poeten.
Vertont wurden diese Gefühlsregungen von keinen Geringeren als Franz Schubert („Rastlose Liebe“, „Im Frühling“, „Der Jüngling an der Quelle“ und „Litanei auf das Fest Allerseelen), Robert Schumann („Stille Tränen“, „Was will die einsame Träne“, „Ich wanderte unter den Bäumen“ und „Der Hidalgo“), Johannes Brahms („Der Strom, der neben mir verrauschte“, „Liebestreu“, „Auf dem Kirchhofe“, „Wie rafft ich mich auf“, „Am Sonntag Morgen“, „Der Gang zum Liebchen“ und „Meine Liebe ist grün“) und Hugo Wolf („Gesang Weyla‘s“, „Verschwiegene Liebe“, „Verborgenheit“, „Storchenbotschaft“ und „Er ist’s“).
Hier stand das Poetische, Gefühlvolle, aus tiefstem Herzen erdachte und komponierte Lied im Vordergrund, was Anja Harteros mit wunderbarer Nuancierung und dem feinstem Piano und Pianissimo ihrer Stimme in oft relativ langsamem Tempo fast bis ins Extreme „auskostend“, zum Ausdruck brachte. Sie beherrscht die Kunst der leisen Töne, von denen keiner im Raum unterging. Stimmführung und musikalische Feinfühligkeit sowie eine große Gedächtnisleistung (sie sang alles ohne Noten) gestatteten der Ausnahmekünstlerin eine äußerst sensible Wiedergabe dieser Lieder, von denen sie jedes mit besonderer Sorgfalt, mitunter auch mit gebotener Verhaltenheit und unterstrichen von dezenten, aber viel ausdrückenden Gesten, sang. Sie überzeugte mit jedem Ton, mit dem sie die Innigkeit und Beschaulichkeit dieser Lieder zum Ausdruck und den Zuhörenden nahe brachte. Rieger richtete sich ganz nach ihr auch und besonders bei sehr langsamem Tempo.
Als Zugabe wählte Anja Harteros zwei Lieder von Richard Strauss: „Zueignung“ (Ja, du weist es, liebe Seele“) und „Morgen“ („Und morgen wird die Sonne wieder scheinen“), die so ganz zu der Stimmung dieser Liedermatinee passten und ihrer Stimme und Timbre sowie ihrer Interpretationsart sehr entgegenkamen und nicht zuletzt an das Ausnahmenprojekt erinnerten, bei dem sie mit der Aufführung von Strauss‘ letztem Lied “Malven“ für Furore sorgte.
Wolfram Rieger begleitete am Flügel sehr, sehr einfühlsam und mitgestaltend, ja „mitatmend“, ging bei den beiden Strauss-Liedern aus sich heraus und ließ mit den allerletzten Tönen die Sensibilität und Feinsinnigkeit des erlebten Liederabends leise im Raum stehen. Da hatte die Hektik des Alltags einmal für fast zwei Stunden (mit Pause) stillgestanden.
Ingrid Gerk