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DRESDEN/Semperoper: EIN SOMMERNACHTSTRAUM. Choreographie Frederick Ashton und David Dawson. Premiere

Begeistert aufgenommene Ballett-Premiere

11.03.2018 | Ballett/Tanz

Dresden / Semperoper: BEGEISTERT AUFGENOMMENE BALLETT-PREMIERE: „EIN SOMMERNACHTSTRAUM“ – 10.3.2018

„Was gibt’s für Zeitvertreib an diesem Abend? Was für Musik und Tanz?“. Diese Worte aus William Shakespeares meistgespielter Komödie „A Midsummer Night’s Dream“ von 1595 (oder 1596) können jetzt, 2018 leicht beantwortet werden: Es gibt einen sehr gelungenen zweiteiligen Ballettabend „Ein Sommernachtstraum“ der beiden britischen Ausnahmechoreografen Frederick Ashton und David Dawson, getanzt vom Semperoper Ballett. Dafür überließ der seit 12 Jahren erfolgreiche Ballettdirektor der Semperoper, Aaron S. Watkin, der für seine großen, abendfüllenden Handlungsballette bekannt ist und mit der Dresdner Ballettcompanie auch international Erfolge feiert, das Feld der sehr erfolgreichen Choreografie des Altmeisters Ashton und einer Uraufführung von Dawson und kombinierte beides zu einem überaus gelungenen programmatischen Ballettabend der Gegensätze.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden leitete unter der musikalischen Leitung von Benjamin Pope mit sanften, zärtlichen Klängen den Ersten Teil „The Dream“ von Frederick Ashton mit der Musik zu „Ein Sommernachtstraum“ (op. 61), dem Geniestreich des jungen Felix Mendelssohn-Bartholdy ein, arrangiert von David Lanchbery, ein (Neo-)Klassiker, den Ashton 1963, ein Jahr nach seiner Übernahme des Royal Ballet in London als Handlungsballett nach Shakespeares Schauspielklassiker anlässlich dessen 400. Geburtstag schrieb und der 1964 in London uraufgeführt wurde. Shakespeares Original spielt zu einer unbestimmten Zeit, an drei Sommertagen und -nächten in Athen und einem angrenzenden verzauberten Wald. Ashton wählte den künstlerischen Stil des 19. Jahrhunderts für seine Version, der gut zur Musik Mendelssohns passt.

Ein sehr naturnaher, in mystisches Licht (Bert Dalhuysen) getauchter, zauberhafter Wald füllt die Bühne und erfreut das Auge. Es ist Bühnennaturalismus pur wie im 19. Jahrhundert, aber gekonnt, künstlerisch überhöht, kein Kitsch, kein Staub, einfach nur ein Augenschmaus wie ein gutes, lebendig gewordenes Gemälde der Romantik. Zierliche Gestalten erscheinen in sehr feinen, eleganten Kostümen aus romantischer Zeit in dezent abgestimmter Farbigkeit (Bühnenbild und Kostüme: David Walker), und schließlich brechen in das filigrane, zarte „Säuseln“ der Elfen die herberen Töne des „Volkes“ herein.

Die aus damaliger Sicht humorvolle Handlung, in der vier verwirrende Handlungsstränge um die Hochzeit des Herrscherpaares Titania (Anna Merkulova) und Oberon (Denis Veginy), die ausgedehnten Vorbereitungen zu dieser Hochzeit mit einer Gruppe einfacher Leute, Handwerker (Marco Giombelli, Joseph Gray, Skyler Maxey-Wert, Rodrigo Pinto, Houston Thomas), die ein Theaterstück proben, und der Konflikt um die Heirat zweier aristokratischer Paare (Aidan Gibson als Helena, Svetlana Gileva als Hermia, Casey Ouzounis als Demetrius und Christian Bauch als Lysander), umschwirrt von Elfen (Elena Karpuhina, Gina Scott, Kanako Fujimoto, Susanna Santoro u. a.), kann, wenn auch von Ashton stark reduziert, uns heute nicht mehr allzu viel sagen, aber diese Inszenierung traumwandlerischen Tanzes mit dem Fingerspitzengefühl leichten Humors und Spritzigkeit hat auch gegenwärtig ihren Reiz.

Man konzentriert sich gern auf die meisterhaft gespielte Musik Mendelssohns, der die Stimmen der beiden Sopranistinnen Ute Selbig und Roxana Incontrera das „Sahnehäubchen“ aufsetzen und der der Sinfoniechor Dresden, Extrachor der Sächsischen Staatsoper, einen „schwebenden“ musikalischen Hintergrund für die anmutige, witzig-spritzige Choreografie, verleiht.

Ashton orientiert auf ästhetische Bewegung und schöne Bilder, weniger auf ausgefallene Schwierigkeiten. Die Hebefiguren reichen oft nur bis zur Hüfte, mitunter auch höher, aber das ist hier weniger von Belang. Es ist immer alles im Fluss, grazil, anmutig und mit scheinbarer Leichtigkeit, als würde jeder Ton der liebe- und klangvoll gespielten Musik die Körper der Tanzenden durchdringen.

Es ist Tanz im wahrsten Sinne des Wortes, die Umsetzung von Musik in adäquate Bewegungen. Alles ist mit der Musik inszeniert und choreografiert, leicht und schön. Zur Abwechslung gibt es auch heitere Episoden, drollige und solche, die mit einem freundlichen Augenzwinkern, liebenswürdigem Humor und freundlich-spitzer Ironie wie von einem Gemälde Carl Spitzwegs entlehnt zu sein scheinen und für liebenswürdig-humorvolle Aufmunterung sorgen, wie der Streit um das „Indische Wechselbalg“, das Auseinanderbringen zweier heftig streitender Frauen oder der drollige Esel in Menschenkleidern, der auf Spitze tanzt und sich am Baumstamm wetzt.

Eine Meisterleistung vollbrachte der äußerst agile James Potter als Puck, wenn er mit hohen, dynamischen Sprüngen, witzigen Posen und dazu passender Mimik mit scheinbarer Leichtigkeit quicklebendig tanztechnische Schwierigkeiten meistert.

Ob man es nun historisch, als Nostalgie oder einfach nur als ein gelungenes neoklassizistisches Ballett betrachtet, es ist eine gekonnte Adaption des viel bearbeiteten, viel gespielten „Sommernachtstraum“-Stoffes, die ganz aus der Musik resultiert und Auge und Ohr genießen lässt.

Anders als bei mancher Opernpremiere, gab es einhelligen, tosenden Beifall, Jubel, viele Bravos und Blumen für die drei Hauptakteurinnen die nicht – wie üblich – von „Blumenmädchen, sondern als „Neuerung“ (?) von drei jungen Herren überreicht wurden.

Ganz anders hat David Dawson seine anspruchsvolle Choreografie „The Four Seasons“ für die Uraufführung mit dem Semperoper Ballett angelegt, zeitgemäß, abstrakt und modern. „Kahle“ Bühne und ein Spiel mit vier, sich sehr langsam, fast unmerklich, aber kontinuierlich bewegenden und sich in ihrer Gestalt und gegeneinander wie in Metamorphose verändernden geometrischen Grundelementen: Dreieck, Viereck, Linie und Kreis, der auch zum Halbkreis bzw. Oval werden kann, alles in farbiger Neon-Optik, bilden die einzige Bühnendekoration. Die Tanzenden treten in engen schwarzen bzw. bräunlichen Anzügen auf, die ihre schlanken, schönen und sehr geschmeidigen Körper noch unterstreichen. Sie sind nur durch ihre durchweg guten tänzerischen Leistungen zu unterscheiden.

In diesem Teil geht es nur um den Tanz, die Körperbewegung mit der Musik, von allem Überflüssigen befreit, um Suggestion und Emotion freizusetzen. Auch hier ist immer alles im Fluss, ein ständiges Wechselspiel zwischen Soli, Pas de deux, zahlreichen anspruchsvollen Hebefiguren, Gruppenformationen und Ensembleszenen zur Musik von „The Four Seasons“ von Antonio Vivaldi, recomposed von Max Richter, dem 1966 im deutschen Hameln geborenen, sehr vielseitigen britischen Komponisten aller Genres (auch experimentelle Musik, Elektronik und Filmmusik, er schrieb u. a. die Musik für den Animations-Dokumentarfilm „Waltz with Bashir“ von Ari Folman).

Obwohl Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ gegenwärtig ohnehin von Klassik bis Pop strapaziert und in allen möglichen (und auch unmöglichen) Versionen, Instrumentierungen und Besetzungen aufgeführt werden, schuf Max Richter, noch eine weitere, kraftvolle Bearbeitung, bei der gelegentlich Vivaldis Original zärtlich durchschimmert, ein gutes Klangfundament für ein Ballett.

Eigentlich sind die Elemente, aus denen Choreografie und Inszenierung aufgebaut werden, nicht wirklich neu. Es dreht sich alles um tänzerische und abstrahierte gestalterische Elemente des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die hier die Fantasie anregen und in bestimmte Richtungen lenken, aber gut arrangiert und mit viel Sinn abwechslungsreich und dynamisch als Synonym für die sich ändernden Jahreszeiten eingesetzt. Wenn sich der große monumentale Neon-Reif wie eine abstrakte Riesensonne aufbaut und zwei Gestalten in ihrer Kleinheit per „Räuberleiter-Hebefigur“ danach langen, wie um die Sonne oder den Himmel zu berühren oder nach dem Weltall zu greifen, ist das schon irgendwie beeindruckend.

Daniel Hope, der südafrikanisch-britische Geiger und neue Artistic Director der Dresdner Frauenkirche, dessen 2017 veröffentlichtes Album „Four Seasons“ neben einer Neueinspielung von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ auch einen Satz aus der Neukomposition von Max Richter enthält, übernahm den Violin-Solopart der Premiere und wird auch in einigen weiteren Vorstellungen zu hören sein.

Auch dieser Teil wurde umjubelt, gab es frenetischen Beifall und wieder überreichten die jungen Herren, stellvertretend für das Großaufgebot an Mitwirkenden, von denen manche in mehreren „Rollen“ auftraten, den Protagonistinnen die Blumen.

Dieser Ballettabend dürfte künftig wieder einmal ein Besuchermagnet werden und auch bei den internationalen Reisen nicht nur Spezialisten, sondern vor allem auch die Besucher, Nicht-Fachleute und Ballettfans begeistern, denn es ist für jeden das dabei, was er am meisten schätzt.

Ingrid Gerk

 

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